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Mit der großzügigen finanziellen Ausstattung florierender Konzerne haben sie alle Ressourcen, in Konsultationsrunden stets in der Überzahl zu sein. Mit der großzügigen finanziellen Ausstattung florierender Konzerne haben sie alle Ressourcen, in Konsultationsrunden stets in der Überzahl zu sein.

"Goldene Regeln"

Schwerpunkt

In der EU haben Wirtschaft und Industrie oft größere Einflussmöglichkeiten auf EntscheidungsträgerInnen - ein demokratiepolitisches Problem.

Kurz nach dem Höhepunkt der Finanzkrise, im Spätherbst 2008, setzte die Europäische Kommission eine öffentliche Konsultation zum Thema Hedgefonds an. Wenige Wochen zuvor forderte eine Mehrheit Europäischer Abgeordneter, quer durch alle Parteien, einen entsprechenden Gesetzgebungsvorschlag. Nur dummerweise war die Konsultation etwas unglücklich angesetzt: Abgesehen von der eher unüblich kurzen Frist von sechs Wochen zur Stellungnahme, war genau dann auch noch Weihnachten: Von 18. Dezember 2008 bis 31. Jänner 2009 hatten InteressenvertreterInnen Zeit, ihre Expertise und Standpunkte einzubringen. Besonders kleinere beziehungsweise wenig finanzstarke Organisationen kommen bei so einem Vorgehen schnell an ihre organisatorischen und personellen Grenzen, für viele ist eine Partizipation praktisch unmöglich.

Ein Konsenspapier?

Was die Kommission später als Vorschlag vorlegte, um die Aktivitäten von Hedgefonds zu regulieren, erntete breite Kritik: Löchriger als ein Stück Schweizer Käse sei das Dokument; Interessen realwirtschaftlicher Unternehmen oder von ArbeitnehmerInnen seien einfach ausgeklammert worden im angeblichen Konsenspapier.
Dabei hat die Kommission nur das fortgeführt, was sie schon vorher machte: Sie formulierte ihre finanzpolitischen Vorschläge fast ausschließlich auf Rat der Finanzindustrie, mit der sie sich in Expertenrunden berät. Nach kommissionseigenen Richtlinien sollten diese Gruppen in ihrer Zusammensetzung heterogen sein, um so ein gesamtgesellschaftliches Interesse zu repräsentieren und damit Prozesse demokratisch zu legitimieren. In der Praxis ist es mit der diesbezüglichen Repräsentativität aber nicht weit her.
Schon als die Finanzkrise überkochte und sich Banken weltweit um staatliche Gelder anstellten, wandte sich die Kommission an BeraterInnen mit einer großen Nähe zum Finanzdienstleistungssektor. So wurden jene ExpertInnen zur Bewältigung der Krise konsultiert, die schon in der Gestaltung des Systems das Sagen hatten, das überhaupt zur Krise führte: In diesen Gruppen fanden sich vorrangig VertreterInnen von Privatbanken, Versicherungsgiganten und Finanzunternehmen. Der Finanzdienstleistungssektor hat so ein de facto Beratungsmonopol. Die Kommission legitimiert ihre Vorschläge aber genau mit der Beteiligung dieser Expertengruppen. Interessenvertretungen aus anderen Lebensbereichen, abseits des Finanzsektors, die auch eine gesamtgesellschaftliche Perspektive berücksichtigen würden, finden sich nur am Rande, in deutlicher Unterzahl oder eben gar nicht.
Die bis dato größte industrie-geleitete Kampagne löste ein ganz anderes Vorhaben der EU aus: Mit der Verordnung zur Registrierung, Bewertung und Zulassung von Chemikalien (REACH) sollte erstmals das weitgehend unkontrollierte und risikobehaftete Rechtsvakuum für chemische Produkte am EU-Markt beendet werden. Ein primär gesundheits-, umwelt- und arbeitsschutzrelevantes Thema mit immensen Auswirkungen auf die Chemieindustrie, was diese natürlich sofort auf den Plan rief. REACH beabsichtigte, eine große Zahl von chemischen Substanzen, eingesetzt in Industrie und Haushalt, erstmals einer Gesundheits- und Sicherheitsüberprüfung zu unterziehen. Der Plan war ambitioniert, so sollten etwa Chemikalien mit hohem Risiko verpflichtend ersetzt werden. Zum Beispiel Chemikalien, die sich in Kleidung, Spielzeug, Putzmitteln, Computern, Teppichen usw. fanden und deren gefährliche Wirkung auf Mensch und Umwelt durch Studien belegt waren. Kampagnenprofis in Fach- und Dachverbänden der Chemieindustrie bemerkten schnell, dass mit fachlichen Argumenten ihre Interessen nicht durchzubringen waren. Die Beweislage war sozusagen zu erdrückend, Umwelt-, Konsumenten- und ArbeitsschutzexpertInnen fühlten sich gut mit Argumenten und Fakten ausgestattet.

Zweifelhafte Argumente

Also wurden vonseiten der Industrie zweifelhafte Argumente ins Rennen geschickt: Als methodisch unzureichend bewertete, aber gut verbreitete Studien wurden herangezogen, um mit drohenden Arbeitsplatzverlusten gegen REACH zu argumentieren. ArbeitnehmervertreterInnen sollten so an Bord geholt werden, um sich gegen die EU-Richtlinie zu stellen. Auf die positiven Gesundheitseffekte für die Bevölkerung Europas gingen diese Studien nicht ein - sie wurden aber auch von der Chemieindustrie in Auftrag gegeben. Plötzlich entdeckten Industrie-InteressenvertreterInnen auch ihr Herz für Tiere. Für die Umsetzung von REACH würden zwölf Millionen Tiere für Versuchszwecke benötigt, hieß es justament von jenen Organisationen, die sich noch kurz davor gegen weitere Tierversuchsbeschränkungen einsetzten. PolitikerInnen, die selbst oder deren MitarbeiterInnen bei Chemie-Unternehmen unter Vertrag standen, gehörten ebenso zum scheinbar demokratischen Geschäft im Sinne des gesamtgesellschaftlichen Interesses wie Premierminister, die sich ausschließlich von Industriedachverbänden beraten ließen, um anschließend zu intervenieren. Obwohl eine Vielzahl von Konsumentenschutz- und Umweltorganisationen sich für REACH stark gemacht hatten, war das Ergebnis im Endeffekt überwiegend von der Chemieindustrie beeinflusst. Die Industrie, die reguliert werden sollte, hatte sich also ihre Regeln weitgehend selbst gegeben.

Reiche Ressourcen

Europäisch oder international tätigen Unternehmen kommen die Strukturen der Europäischen Union durchaus entgegen. Mit der großzügigen finanziellen Ausstattung florierender Konzerne haben sie alle Ressourcen, in Konsultationsrunden stets in der Überzahl zu sein. Von einer Chancengleichheit der Partizipation sind die politischen Prozesse der Europäischen Union jedenfalls heute meilenweit entfernt.
Abseits von Unternehmerinteressen sind viele InteressenvertreterInnen in ihrer Organisation und politischen Einflussnahme noch immer national orientiert, mit wenig transnationaler Koordination. Die Gründe dafür sind vielfältig: Während Unternehmerverbände längst europäisierte und globalisierte Unternehmen vertreten, arbeiten ArbeitnehmerInnenvertretungen ebenso wie NGOs im Interessen von Menschen, die in der Eigenwahrnehmung noch immer auf nationaler Ebene leben, arbeiten und konsumieren.
Dazu kommt, dass sich die Teilorganisationen in den Mitgliedsstaaten oft schwer einigen und Interessenbündnisse über Grenzen hinweg schwierig sind; der Aufwand nach Brüssel zu kommen im Gegensatz zur Unmittelbarkeit der nationalen Hauptstädte, und die Schwierigkeit einen Konsens zu erreichen, wenn trennende Elemente auf Basis von Interesse, Kultur und Politik oft groß sind.
Zwar gibt es Tendenzen, dass die europäische Koordination zunimmt, oft fehlt es aber den europäischen Verbänden noch an repräsentativer Kraft oder Autorität, die noch immer bei nationalen Mitgliedsorganisationen liegen. Die Unmittelbarkeit der nationalen Hauptstädte und die Schwierigkeit einen Konsens mit anderen nationalen Organisationen zu erreichen führt dann zum Schwerpunkt der Einflussnahme auf nationaler Ebene. Der Aufwand, Anliegen europäisch zu formulieren, ist groß und Nutzen oder Erfolg sind oft sehr viel schwerer greifbar.
Die Notwendigkeit von Regulierungen auf europäischer Ebene ist unumstritten, ebenso die Einbeziehung sektorenspezifischer und gesamtgesellschaftlicher Interessen und Expertisen. Die gelebte Praxis, dass sich Wirtschaft und Industrie durch ihre praktisch deutlich größeren Einflussmöglichkeiten auf die relevanten EntscheidungsträgerInnen ihre Regeln selber schreiben, stellt ein eminentes demokratiepolitisches Problem dar.

In der EU gefordert

Interessenvertretung auf nationaler Ebene bleibt zwar ein wichtiger Faktor, Gewerkschaften oder NGOs können aber auf die Arbeit auf europäischer Ebene nicht mehr verzichten. Dort sind sie gefordert eine entsprechende Gegenmacht zu entwickeln. Zusätzlich ist der Bedarf nach klaren und besseren Transparenzregeln, die den wirtschaftlichen Einfluss auf politische Entscheidungen offenlegen, nach wie vor gegeben. Allerdings nicht nur in der EU.

Weblink
ÖGB-Europa-Büro:www.oegb-eu.at

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