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Zum Verhältnis des Menschen zu technischen Entwicklungen erfand schon Freud den Begriff des »Prothesengottes«: Das Streben nach Perfektion mit Hilfe von Hilfsmitteln macht den Menschen zu einem Wesen, der seine eigenen Mängel ausgleicht. Zum Verhältnis des Menschen zu technischen Entwicklungen erfand schon Freud den Begriff des »Prothesengottes«: Das Streben nach Perfektion mit Hilfe von Hilfsmitteln macht den Menschen zu einem Wesen, der seine eigenen Mängel ausgleicht.

Gemachte Wirklichkeit

Schwerpunkt

Das Web 2.0 ist Alltagskultur geworden und wird wohl auch einen Kulturwandel mit sich ziehen, ob demokratieförderlich oder nicht.

Öffentliche Kommunikation versteht sich erst seit der Aufklärung als ein allgemeines Recht: Immanuel Kant erkannte in seinem Traktat »Zum ewigen Frieden« im Jahr 1795 das Grundrecht auf Publizität an, insbesondere Freie Rede und öffentlichen Vernunftgebrauch. In der historischen Entwicklung gab es dazu natürlich viele Widerstände. Der »Masse« wurde freilich die intellektuelle Fähigkeit abgesprochen, sich zu Politik und anderen Themen eine kompetente Meinung zu bilden. Oder wie der Wissenschafter Noam Chomsky drastisch kritisiert: Die Führungsklasse verordnet dem gemeinen Volk die »richtige Meinung«. Da das gemeine Volk - so meinen die Eliten - aufgrund unterschiedlicher Voraussetzungen nicht befähigt ist, sich eine »richtige Meinung« zu bilden.

Fördern Medien Demokratie?

Für den nicht unumstrittenen Chomsky gilt dies im Wesentlichen noch heute für die vorherrschende Medien- und Politikpraxis. Er begründet dies in seinem Propagandamodell mit verschiedenen Parametern: Der Aufbau von klassischen Medien zwinge schon per se dazu, eine Auswahl vorzunehmen. So sind beispielsweise TV-Nachrichten relativ kurz, zu kurz, um ein tatsächliches Abbild der Wirklichkeit zu geben. Das gilt natürlich auch für die Nachrichtenstruktur anderer Medien. Durch die Auswahl und Aufbereitung findet eine bestimmte - von Eliten gewollte - Darstellung der Wirklichkeit statt. Zudem haben neue oder komplexere Gedankengänge, die nicht in einer Kurzmeldung erklärbar sind, ohnehin wenig Chance, eine Verbreitung (und somit Öffentlichkeit) zu erleben.
Aus historischer Sicht bietet das moderne Web nie da gewesene Möglichkeiten der Öffentlichkeit: Jeder Mensch, der über die technischen Voraussetzungen verfügt, kann seine Inhalte und Meinungen mit der gesamten Web-Community weltweit teilen. Und noch dazu auf Knopfdruck und ohne Expertise. In der Praxis ist dies natürlich nicht ganz so einfach - aber theoretisch ist es möglich.

Web 2.0 als Demokratietreiber?

Vor wenigen Jahren, als die Chancen von Web 2.0 wesentlich deutlicher als die Gefahren gesehen wurden, bekam das Intenet den Ruf eines gewaltigen Demokratietreibers. Auch wenn dies mittlerweile von vielen Seiten kritisch hinterfragt wird, erlebt Web 2.0 einen Ausbreitungs- und Relevanzschub. 2009 explodierte die Anzahl derer, die entweder selbst typische Web-2.0-Anwendungen nutzen - oder sie zumindest kennen. Begriffe wie Blogs, Facebook, Twitter etc. müssen seltener erklärt werden. Selbst sogenannte »off-liner« haben oft schon einmal davon gehört.
De facto nutzen etwa zehn Prozent der ÖsterreicherInnen die Social Network-Seite Facebook und stellen darin - mehr oder eher weniger - relevante Informationen und Fotos für ihr eigenes Netzwerk zur Verfügung. Nachrichten vom Micro-Blogging-Dienst Twitter wurden bei der Iranberichterstattung sogar vom ORF zitiert, da traditionelle Kommunikationskanäle abgeschnitten wurden. Dies sind nur zwei Beispiele für die Ausbreitung bzw. allgemeine Relevanzanerkennung von Web-2.0-Anwendungen.

Der Prothesengott

Mit Web 2.0 kann also Otto Normalverbraucher für ein persönliches Anliegen weltweit mobil machen. Theoretisch. Praktisch muss man allerdings mitdenken, dass das Web immer noch in erster Linie Vermittlungsträger ist. Auch wenn besonders im New-Media-Bereich eine vielfältige Wechselwirkung zum Tragen kommt. Der Philosoph und Medientheoretiker Marshall McLuhan formulierte so schön treffend: »the medium is the message« - »Das Medium ist die Botschaft«. Kurz gesagt verstand McLuhan das Medium als Verlängerungsarm des Menschen. Das bedeutet auch, dass sich das Medium auf die Botschaft auswirkt. Heute hat dieser Satz wohl mehr Bedeutung denn je. Denn dieser Verlängerungsarm ist Allgemeingut geworden. Zum Verhältnis des Menschen zu technischen Entwicklungen erfand schon Sigmund Freud den Begriff des Menschen als »Prothesengott«: Das Streben nach gottähnlicher Perfektion mit Hilfe von allerlei Hilfsmittel macht den Menschen zu einem Wesen, der seine eigenen Mängel durch Prothesen ausgleicht. Es kommt allerdings zu dem Effekt, dass es sich um Prothesen - also Fremdkörper - handelt, und somit immer eine gewisse Schwierigkeit im Umgang damit bestehen bleibt.

Manipulation

Das moderne Web bietet die Möglichkeit, scheinbar grenzenlos zu publizieren und zu recherchieren. Das hat seinen Preis. Die Nutzung erfordert eine gewisse Medienkompetenz. Die Freude über Phänomene der kollektiven Intelligenz, wie z. B. Wikipedia, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch so etwas wie kollektive Dummheit gibt. Denn: Noch nie war es einfacher, Falschmeldungen schnell und effizient durch den virtuellen Raum zu schicken. Auch Wikipedia wurde bereits mehrmals Opfer absichtlicher Manipulation, welche ungeprüft von JournalistInnen übernommen wurde.
Unangefochtene Nummer eins bei der Web-Recherche ist Google: 80 Prozent aller Suchanfragen werden über die elf Jahre junge Suchmaschine gestartet. Und auch hier gibt es Nebenwirkungen, derer sich die Suchenden selten bewusst sind: Google speichert jeden Suchvorgang. Google weiß also, was die Suchenden für bedeutsam und interessant halten. Womit Google hauptsächlich Geld verdient, dürfte auch kein Geheimnis sein: Werbung. Es ist also die logische Konsequenz, dass zielgruppengerecht Werbung geschaltet wird. Das Speichern von Daten zieht natürlich vielerlei Problemstellungen nach sich. Neben einer Werbebelagerung und indirekten Bevormundung wird der Mensch äußerst durchsichtig. Dies kann natürlich - insbesondere in totalitären Staaten - zu einem ständig drohenden Damokles-Schwert werden. Aktuell gab es in China einen Hackerangriff auf die Konten von Menschenrechtsaktivisten. Offiziell heißt es nun seitens Google, dass die Bedingungen in China nicht mehr hingenommen werden. Gespräche mit der Regierung stehen an. Wie damit umgegangen wird bleibt abzuwarten. Ganz real geht es natürlich um Menschenleben, die durch solche Datenangriffe gefährdet werden können.
Die komplexen Rechenverfahren von Google lernen übrigens ständig dazu: Mit jeder Suchanfrage verändert sich auch das Ergebnis, die Suche wird also auf die (vermeintlichen) individuellen Interessen abgestimmt. Hier liegt die Gefahr nahe, dass sich ein gewisses Scheuklappendenken etablieren könnte: Man wird nur noch mit Informationen versorgt, die einen interessieren - der Horizont verengt sich. Dieses Dilemma geht auch von anderen Web-2.0-Diensten aus, so können über sogenannte RSS-Feeds beispielsweise bestimmte Nachrichten abonniert werden.

Wandel

Web 2.0 ist nicht mehr als Hype zu verstehen - es ist Alltagskultur geworden, und diese wird wohl auch einen Kulturwandel im Umgang mit sich ziehen. Ob demokratieförderlich oder nicht - Möglichkeiten und Gefahren sind ganz real vorhanden. Der Philosoph Walter Benjamin sah schon sehr früh diese Entwicklungen vorher: »Innerhalb großer geschichtlicher Zeiträume verändert sich mit der gesamten Daseinsweise der menschlichen Kollektiva auch die Art und Weise ihrer Sinneswahrnehmung«, meinte er 1936 und dachte dabei an eine gravierende Veränderung der Wahrnehmung, die eine politische, gesellschaftliche und technische Dimension miteinbezieht.

Info&News
Web 2.0 »Mit-Mach-Web«
Ist die zweite Generation vom Web, das sich durch verschiedene ineinander greifende Merkmale auszeichnet: interaktive Verwendung, kollaborative Nutzung (Zusammenspiel) von Technologien die das ermöglichen etc.
Soziale Netzwerke
Beziehungspflege-Plattformen, die unterschiedlich ausgerichtet sein können (z. B. Facebook eher privat; Xing -> Business)
Skriptum SK 07: Web 2.0
Skriptum bestellen bei:
margarita.skalla@oegb.at
VÖGB, Johann-Böhm-Platz 1, 1020 Wien

Weblink
Verband Österreichischer Gewerkschaftlicher Bildung:www.voegb.at

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