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Beseitigung von »Wahlbehinderungen« und »Wahlmanipulationen« - letztere finden z. B. immer öfter über fingierte Leih-ArbeitnehmerInnen statt, so soll eine von der Geschäftsleitung vorgeschlagene Liste gewählt werden. Beseitigung von »Wahlbehinderungen« und »Wahlmanipulationen« - letztere finden z. B. immer öfter über fingierte Leih-ArbeitnehmerInnen statt, so soll eine von der Geschäftsleitung vorgeschlagene Liste gewählt werden.
Alle Bücher erschienen im Verlag des ÖGB.

Recht menschlich

Schwerpunkt

Im aktuellen Regierungsprogramm ist eine »Modernisierung des Mitbestimmungsrechts nach Vorschlägen der Sozialpartner« für diese Legislaturperiode geplant.

Zur Einleitung eine persönliche Geschichte: Vor Jahren erkrankte ein Jugendfreund - als IT-Spezialist in einem namhaften Dienstleistungsunternehmen Österreichs beschäftigt - so schwer und langwierig, dass an ein Weiterarbeiten wie bisher nicht mehr zu denken war. Mitte 30 und mit zwei Kleinkindern, die gemeinsam mit seiner teilzeitbeschäftigten Frau zu versorgen waren, stand er plötzlich vor dem Nichts. Ganz abgesehen von der menschlichen Katastrophe, es sah auch die drohende Berufsunfähigkeitspension von der Höhe her nicht gerade üppig aus. Was das mit Demokratie in der Wirtschaft und Mitbestimmungsrechten am Arbeitsplatz zu tun hat? Ich kann es nur vermuten …

Guter Rat ist wählbar

Denn nun kommt der Betriebrat ins Spiel. Noch bevor der alle denkbaren ArbVG- und ASVG-Hebel in Bewegung setzte, unternahmen die KollegInnen in zahlreichen Gesprächen mit dem Abteilungs- und dem Personalleiter alles, um zumindest die finanzielle Zukunft meines Freundes bestmöglich abzusichern. Am Bildschirm konnte er nicht mehr arbeiten, sein hohes Erfahrungswissen konnte aber noch einige Jahre eingesetzt werden, bis auch das nicht mehr ging. In der Zwischenzeit hatte er wieder so viele Versicherungsmonate erworben, dass seine ASVG-Pension nicht mehr so schlecht aussah. Die Betriebspension wurde ebenfalls dank Intervention des BR noch etwas aufgebessert, und was am wichtigsten ist: All die Jahre standen ihm einzelne BR-Mitglieder zur Seite, erledigten mit ihm zahlreiche Wege zur PVA, Gewerkschaft und AK (siehe §§ 38 und 39 ArbVG), organisierten Rehabilitationsmaßnahmen, Arbeitserleichterungen (häufigere und längere Pausen; Ruhemöglichkeiten - siehe § 11 AZG und § 3 Abs. 2 ArbeitsinspektionsG), einen behindertengerechten Arbeitsplatz (§ 97 Abs. 1 Z 6, 8 und 9 ArbVG; § 22a Abs. 7 und 8 BehEinstG) und einiges mehr.
SkeptikerInnen werden nun einwenden, dass ähnliche Fälle auch in Unternehmen ohne BR human abgewickelt werden. Dabei wird aber vergessen, dass diesfalls unternehmerische »Gnade« - vielleicht auch, um die gesetzliche Mitbestimmung vom Unternehmen fernzuhalten - die Grundlage ist. Ein gesetzliches Mitbestimmungssystem ist dagegen ein Stück mehr Fairness am Arbeitsplatz, »iustitia distributiva« wie sie schon seit Aristoteles genannt wird: austeilende Gerechtigkeit. Und das in einem Rechtssystem, welches durchsetzbare Ansprüche und regelmäßige demokratische Gestaltung ermöglicht. Übrigens verdienen nach zwei österreichischen Studien die ArbeitnehmerInnen in Betrieben mit BR im Durchschnitt um 16 Prozent bzw. 14 Prozent mehr als in betriebsratslosen Unternehmen der gleichen Branche.
Im aktuellen Regierungsprogramm ist eine »Modernisierung des Mitbestimmungsrechts nach Vorschlägen der Sozialpartner« als eines der Vorhaben in dieser Legislaturperiode verankert. Hintergrund dafür sind vor allem Änderungen in den Unternehmens- und Konzernstrukturen unserer »globalisierten« Wirtschaft, aber auch neue Arbeitsformen, zunehmende Atypisierung, exzessiver Einsatz von überlassenen Arbeitskräften und andere Veränderungen der Wirtschaftslandschaft in den vergangenen Jahrzehnten.

Forderungen von AK und ÖGB

Seit März 2009 finden Sozialpartnergespräche im BMASK unter der fachlich kompetenten Leitung von Ministerialrätin Dr. Ritzberger-Moser statt. Der mehrere Einzelpunkte umfassende Forderungskatalog von ÖGB und AK lässt sich grob in folgende Kapitel gliedern:

  • Beseitigung von »Wahlbehinderungen« und »Wahlmanipulationen« - letztere finden z. B. immer öfter über fingierte Leih-ArbeitnehmerInnen statt, so soll eine von der Geschäftsleitung vorgeschlagene Liste gewählt werden;
  • Beibehaltung der bewährten Vertretung durch Angestellten- und Arbeiter-BR (könnte bei einem »einheitlichen Arbeitnehmerbegriff« in Frage gestellt werden);
  • Anpassung der Vertretungsstrukturen an veränderte Unternehmens- und Konzernstrukturen (»Standort-BR«, Unternehmens-Cluster-Mitbestimmung etc.);
  • Leih-ArbeitnehmerInnen besser einbinden und die Kompetenzen von Überlasser-BR und Beschäftiger-BR exakter definieren bzw. Zusammenarbeit regeln;
  • Informationspflichten des Betriebsinhabers (»ehestmöglich« und rechtzeitig) effektiv machen;
  • Datenschutz am Arbeitsplatz (v. a. Mail- und Internetüberwachung sowie Gesundheitsdatenspeicherung);
  • Verbesserungen bei Freistellung und Bildungsfreistellung (auch Ersatzmitglieder benötigen Weiterbildung);
  • Verlängerung der Klagsfrist bei Kündigungsanfechtungen.

»Demokratisierung der Arbeitswelt«

Der jahrzehntelange Kampf um eine humanisierte Arbeitswelt, um einen solidarischen Interessenausgleich in der Belegschaft und gegenüber den UnternehmerInnen war und ist nicht einfach. Umso mehr lohnt es sich, für den Schutz und Ausbau dieser Rechte weiterhin zu kämpfen. Die »Gegenseite« - und leider übernehmen viele Medien ungeprüft die Argumente der Wirtschaft - kämpft manchmal mit unlauteren Mitteln. Da werden BR-Vorsitzende persönlich angegriffen, mitunter »geködert« und dann der Presse »ausgeliefert«. Regelmäßig »zufällig« immer dann, wenn eine massive Umstrukturierung und schmerzhafte Personalreduktionen geplant sind, wird ein BR »angepatzt«: fettes Dienstauto, überhöhtes Gehalt ... Die täglichen Leistungen der ehrenamtlichen MandatarInnen - die sich im Gegensatz zu MandatarInnen anderer »Vertretungskörper« keine hochbezahlten BeraterInnen leisten können und wollen - werden meist ignoriert.
Wenn schon von Recht und Menschlichkeit die Rede ist: Bei rund 40.000 ehrenamtlich tätigen PersonalvertreterInnen und BR-Mitgliedern ist es auch nur menschlich, dass sich ab und zu eine Verfehlung feststellen lässt. Das Rechtssystem sollte man aber nicht in Frage stellen lassen. Viele KollegInnen bewundern die Breite und Durchsetzungskraft unseres Rechts, wie ich aus EU-weiten Koordinationstreffen weiß. Abgesehen von Skandinavien - wo über eine völlig anders geregelte Arbeitslosenversicherung eine enorm hohe Quote an Gewerkschaftsmitgliedern besteht - hat nur die BRD ein mit uns vergleichbares Mitbestimmungsrecht.
Kreiskys Schlagwort von der Demokratisierung aller Lebensbereiche wurde 1974 in ein Gesetz gegossen, das bis heute eine kaum schätzbare Bedeutung hat und zu einer »Humanisierung der Arbeitswelt« nachhaltig beigetragen hat. Man denke nur an den Höhepunkt der Finanzkrise 2008/2009, wo durch Kurzarbeitsregelungen der Zuwachs an Arbeitslosigkeit um ca. die Hälfte hintan gehalten werden konnte. Was wäre wohl ohne ArbVG und ohne BR in der Automobil-Zulieferindustrie, im Finanzsektor usw. passiert? Wie viele Arbeitsplätze wurden gerettet, weil ein geschickt verhandelter Sozialplan oder der Hinweis auf die soziale Betroffenheit älterer KollegInnen die ArbeitgeberInnen von übereilten Kündigungen abhalten konnten? Unabschätzbare Leistungen, die ehrenamtlich und zum Teil auch in der Freizeit erbracht werden!

Eine der besten Arbeitswelten

Winston Churchhill meinte »Demokratie ist die schlechteste aller Regierungsformen - abgesehen von all den anderen Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind.« Ersetzen Sie die beiden ersten Hauptwörter durch »Mitbestimmung« und »Arbeitswelt-Gestaltungsformen«. Nach der nächsten Novelle des ArbVG, die spätestens 2012/2013 abgeschlossen sein sollte, werden wir noch immer eine »schlechte« Gestaltung der Arbeitswelt haben. Im internationalen Vergleich aber eine der besten aller real existierenden Welten.

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