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Beschäftigungseffekte und Kosten von notwendigen Investitionen in soziale Infrastruktur Zum Vergrößern bitte aufs Bild klicken!

Erratum erwünscht

Schwerpunkt

Wie mit Studien eine verzerrte Sozialstaatsdebatte auf Kosten der sozial Schwächeren geführt wird.

Am Beginn dieser Reflexion über den offensiv sozialstaatskritischen Teil der österreichischen Medienlandschaft soll ein Zitat von Thomas A. Edison (1847-1931) stehen: »Das ist das Schöne an einem Fehler: Man muss ihn nicht zweimal machen.«
Einen journalistischen Fehler zu begehen und ihn in Zukunft zu vermeiden, kann durchaus als wünschenswert gesehen werden. Diesen Fehler dann auch offenkundig zu deklarieren und richtigzustellen, darin offenbart sich aus meiner Sicht wahre Größe. Aber wie oft hat man in österreichischen Medien z. B. im Zuge der aktuellen Verteilungsdebatte im österreichischen Sozialstaat ein fundiertes »Erratum« lesen dürfen?

Solidargemeinschaft

Dass bestehende Systeme und Strukturen verbessert und modernisiert werden können, ist naheliegend, das Grundverständnis einer Solidargemeinschaft aber medial aushöhlen zu wollen, ist hingegen sehr problematisch.
Denn gerade die merkmals-, lebenssituationsbezogene und überwiegend auf sozialversicherungsrechtliche Prinzipien beruhende soziale Absicherung bedeutet den wünschenswerten sozialen Ausgleich innerhalb der Gesellschaft und über den kompletten Lebensabschnitt, z. B. von kinderlosen Haushalten zu Familien oder von den aktiv Beschäftigten zu den PensionistInnen.

Neuinszenierung von Mythen

Unseriöse, zu stark reduzierende Studien und tendenziöser Journalismus haben zu stark verzerrten Wahrnehmungen geführt. Als abschreckendes Beispiel ist in diesem Zusammenhang die im Herbst 2009 oft unsachlich geführte Debatte, wie auch der begleitende mediale Diskurs über das Wirken des Sozialstaats in Österreich zu nennen: Ein im internationalen Vergleich gut funktionierendes System wie der österreichische Sozialstaat wurde dadurch »todkrank geschrieben« und diffamiert; Mythen wurden moderner inszeniert und interessierte Menschen wurden eindeutig um qualitätsvollen Journalismus betrogen.
Mit der WIFO-Studie (Sept. 2009) »Umverteilung durch den Staat in Österreich« wurde eine breitere Diskussion zur »Verteilungsgerechtigkeit« und dem Wirken der Budgets öffentlicher Haushalte seriös begonnen. Die folgenden Präsentationen von »Gegenstudien« und manche Beiträge in Tageszeitungen ließen bereits eine verzerrte Darstellung eines so wichtigen Themas befürchten, das jeden Menschen in Österreich direkt oder indirekt betrifft.
Abwertende Schlagzeilen von Zeitungsartikeln stellen dabei negative Belege dar: »Geldregen auf die sozial Schwachen«, »Lohnt sich Leistung noch?« oder »Sozialsystem schafft keinen Anreiz, die Leistung zu erhöhen«. Diese unseriösen Angriffe auf den Sozialstaat und die vermeintliche »Überversorgung« von sozial Schwächeren, Arbeitslosen, PensionistInnen usw. bildet sich in der Realität definitiv nicht ab.
Vielmehr ist das Gegenteil der Fall: Der armutsgefährdete Teil der Bevölkerung wird größer und dies oft trotz Beschäftigung. Sehr verwunderlich erscheint dabei eine gewisse mediale Verharmlosung der bestehenden »working-poor«- bzw. Prekariatsproblematik, die gerade in der journalistischen Szene keine Seltenheit darstellt. Nachdem sich der Großteil der Sozialleistungen in Österreich am zuvor bezogenen Einkommen orientiert, verschärfen sich die existenziellen Rahmenbedingungen zunehmend gerade für diese Gruppe, sobald diese Personen z. B. länger arbeitslos oder krank, arbeits- bzw. berufsunfähig werden oder spätestens wenn sie in Pension gehen.

Studien oder doch keine?

Während die WIFO-Studie mit rund 350 Seiten Umfang als umfassend und methodisch fundiert bezeichnet werden kann, stellen die dazu konkurrierenden »Studien« der Industriellenvereinigung (»Wohlstand, Armut & Umverteilung in Österreich«) oder des Joanneum Graz (bekannt als »Prettenthaler/Sterner«-Studie) mit 59 bzw. ursprünglich mit gar nur neun publizierten Seiten eher Positionspapiere von »SozialstaatskritikerInnen« dar. Der wissenschaftliche Anspruch ist in beiden Fällen nur bedingt bis kaum gegeben.
Nach einer eindeutigen AK-Kritik an der Glaubwürdigkeit und Nachvollziehbarkeit der Ergebnisse kam es zumindest in der Langfassung der Joanneum-Studie zu notwendigen Korrekturen, die aber den Gesamteindruck der »Studie« nicht verbessern konnten (vgl. auch Arbeit und Wirtschaft 12/09, S. 12f).
Was ist letztendlich von den »Studien« geblieben? Trotz der inhaltlichen Demontage blieb die Diskussion rund um die Einführung eines »Transferkontos« und das vermeintliche Bestehen einer »sozialen Hängematte«. Unter dem Vorwand der Intransparenz von sozialstaatlichen Geldflüssen an LeistungsbezieherInnen wurde eine Sozialabbau-Debatte in Gang gesetzt, die nur als gesellschafts- und wirtschaftpolitisch schädlich eingestuft werden kann.

Sozialstaat: Ausbau statt Abbau

Die Erfolge des heimischen Sozialstaats sind evident: Der Sozialstaat schützt in persönlichen und familiären Risikolagen, er hat sich als automatisch stabilisierende Säule selbst in Krisenzeiten bewährt und verhindert täglich ein zu starkes Auseinanderdriften der Gesellschaft.
Über den Lebenszyklus, also von der Geburt bis zum Tod, profitieren alle vom Sozialstaat - auch die selbsterklärten und scheinbar benachteiligten »LeistungsträgerInnen« und BefürworterInnen des Sozialabbaus: Während ihrer Kindheit und Jugend haben auch sie öffentliche Unterstützung erhalten (z. B. Familienleistungen, Schul- bzw. Studienkosten) - vielleicht sogar mehr als viele andere. Und in höherem Alter werden auch sie Pensionen beziehen und Gesundheitsleistungen in Anspruch nehmen müssen. Aber selbst wer über das ganze Leben mehr einzahlt als er herausbekommt, profitiert letztlich von sozialer Sicherheit, sozialen Ausgleichsmechanismen und vom stabilen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umfeld. Dauerhaft steigenden Wohlstand kann es nur geben, wenn alle - zumindest in einem gewissen Umfang - daran teilhaben können.
Die Forderung nach MEHR Sozialstaat ist angesichts stark steigender und sich verfestigender Arbeitslosigkeit unumgänglich: das beginnt beim Schließen von bestehenden Lücken im Sozialnetz bis hin zu notwendigen Strukturverbesserungen.
Notwendige Investitionen in die soziale Infrastruktur (Bildung, Pflege, Kinderbetreuung) in der Höhe von rund zwei Mrd. Euro können direkt und indirekt zwischen 40.000 und 50.000 neue Arbeitsplätze schaffen (siehe Tabelle). Direkte Effekte kommen dabei durch bauliche Maßnahmen wie auch durch das für die Dienstleistungen notwendige Personal zustande. Indirekt verbessert sich damit die Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

Qualität hat ihren Preis

Wie seriös, konstruktiv und öffentlich Diskurse zu wesentlichen Gesellschaftsfragen und -entwürfen sind, hängt wesentlich von der »Qualität« und Ethik der verschiedenen AkteurInnen sowie dem Freiheitsgrad der Forschung und Medien ab.

Zur Versachlichung der Diskussion

Was könnte im aktuellen parlamentarischen und journalistischen Raum zu einer Versachlichung der Diskussion über die Rolle und das Wirken der sozialstaatlichen Mechanismen beitragen?

  • Ein ehrlich gemeinter, überfraktioneller Anspruch der Politik, die Lebenssituation möglichst vieler Menschen in Österreich zu verbessern.
  • Faire Arbeitsbedingungen für prekarisierte JournalistInnen und RedakteurInnen mit ausreichend Zeit zur fundierten inhaltlichen Reflexion.
  • Mehr inhaltliche und budgetäre Unabhängigkeit der heimischen Medien- und Forschungslandschaft.

Schön wäre es, als Ausdruck dieser neuen Diskurskultur, bereits in naher Zukunft z. B. auf einigen Titel- oder Startseiten heimischer Medien zu lesen: »Erratum: Der Sozialstaat nützt uns allen!«

Weblink
WIFO-Studie »Umverteilung durch den Staat in Österreich«
www.wifo.ac.at/wwa/jsp/index.jsp?fid=23923&id=36822&typeid=8&display_mode=2

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