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Die Mindestvoraussetzung ist eine Gewerkschaftsmitgliedschaft. Das wiederhole ich bei allen Veranstaltungen, aber es genügt eben nicht die passive Mitgliedschaft, sondern die aktive. Die Mindestvoraussetzung ist eine Gewerkschaftsmitgliedschaft. Das wiederhole ich bei allen Veranstaltungen, aber es genügt eben nicht die passive Mitgliedschaft, sondern die aktive.
Günter Wallraff - Aus der schönen neuen Welt

Ich bin Zweckoptimist

Interview

Der Enthüllungsjournalist Günter Wallraff über Veränderungen in der Arbeitswelt, BILD- und Kronen Zeitung und die Verteilungsdebatte.

Arbeit&Wirtschaft: Vor 45 Jahren haben Sie, Günter Wallraff, die ersten Reportagen in der Gewerkschaftszeitung Metall veröffentlicht. Noch immer sind Sie als Enthüllungsjournalist in der Arbeitswelt tätig - was hat sich verändert?

Günter Wallraff: Das ist vielfältig. Ursprünglich ging ich von dem Geschichtsverständnis aus, dass sich die Gesellschaft kontinuierlich zu besseren, sozialeren, gerechteren Formen hin entwickelt. Ich war und bin für den evolutionären Weg und glaube, ich selber hätte da einen gewissen Anteil daran, sozusagen als Beschleunigerteilchen. Ich habe einiges erreicht: Bewusstseinsveränderungen ohne Drogenkonsum, aber auch Verbesserungen vor Ort: Behörden mussten einschreiten, Gesetze eingehalten werden, Menschen kamen zu ihrem Recht. Insgesamt erkenne ich, dass das, was man langfristig erhoffte, heute in Frage gestellt ist. In Deutschland erfolgt das im freien Fall. Die seit Generationen von Gewerkschaften erkämpften Rechte sind teilweise schon abhanden gekommen. Man muss also wieder ziemlich von vorne anfangen. Andererseits sind Standards erreicht worden, die vorher als utopisch galten, d. h. Kinder-, Minderheiten- und Frauenrechte. Diese bestehen zumindest in Gesetzesform, inwieweit sie durchgesetzt werden ist eine andere Frage. Aber es ist inzwischen so etwas wie ein Weltgewissen entstanden. Das Internet sorgt mit dafür. Ich bin Zweckoptimist und tue so, als ob alles möglich wäre.

Auch bei Gewerkschaften und ArbeiterInnenbewegung hat sich in den vergangenen 45 Jahren eine Menge geändert. Wie sind Ihre Erfahrungen dazu?

Ich war immer Wechselwähler und stehe den Parteien nahe, die versuchen soziale Standards durchzusetzen. Mir wurde zweimal von verschiedenen Parteien ein Bundestagsmandat angeboten, was ich ablehnte. Dies ist nicht mein Weg, mich einzubringen. Damit bin ich womöglich in einem Fall meinem Parteiausschluss durch Nichteintritt zuvorgekommen. (lacht) Die Mindestvoraussetzung ist eine Gewerkschaftsmitgliedschaft. Das wiederhole ich bei allen Veranstaltungen, aber es genügt eben nicht die passive Mitgliedschaft, sondern die aktive. Ich sehe das Problem der Gewerkschaften bei uns in Deutschland - übrigens viel stärker als in Österreich - darin, dass sie keine gestaltende Kraft mehr sind, sondern zum Teil mit dem Rücken zur Wand stehen. Die Mitglieder laufen ihnen weg. Viele nehmen Gewerkschaften erst wahr, wenn sie selber Rechtsschutz in Anspruch nehmen müssen. Ich arbeite mit den Gewerkschaften zusammen, die an der Basis wirken, aber auch mit FunktionärInnen, die basisorientiert sind. Da gibt es gerade in der IG Metall, ver.di, IG Nahrung Genuss, IG Bau etc. viele KollegInnen, mit denen ich im Austausch bin.

Haben in unserer »schönen neuen Welt« Gewerkschaften noch Platz?

Es gibt in Deutschland sehr viele - junge - Menschen, die durch unsere Pseudospaßgesellschaft die Orientierung verloren haben. Wir haben hier einen extremen Bildungsnotstand, da brauchten wir Entwicklungshilfe z. B. von den skandinavischen Ländern. Zu meinen Veranstaltungen kom-men wieder viele jüngere Menschen. Die Spaßgesellschaft, das dumpfe Entertainment, hat ausgejuxt. Die Probleme sind zu drastisch und viele merken, dass sie trotz guter Schulabschlüsse, Studium, Praktika nicht einmal einen Arbeitsplatz bekommen, der ihnen ein menschenwürdiges Leben garantiert. Eine soziale Bewegung ist überfällig, die aus den Fehlern der Vergangenheit lernt, parteiübergreifend und antidogmatisch, keiner starren Ideologie verhaftet ist.

Welche Rolle spielt dabei das Internet?

Es sollte im Schulunterricht gelehrt werden, mit dem Internet umzugehen. Langfristig sehe ich große Chancen darin. Es wird alles bekannt. Es gibt keine geheimen Welten mehr. Jeder kann das Unrecht weltweit wahrnehmen und seinen persönlichen Wissensstand erweitern. Aber ich sehe gleichzeitig das ganz große Verwirrspiel im Internet. In einem Unterrichtsfach müsste man lernen, Seriöses von Wahnwelten zu unterscheiden. Wenn Jugendliche sich nur auf das Internet verlassen und nicht mehr lesen und sich anderweitig informieren, dann kann es zur großen Desorien-tierung kommen.

Vor 33 Jahren haben Sie als Hans Esser in der BILD-Zeitung Mediengeschichte geschrieben. Wo steht die BILD heute?

Der Springer-Konzern selbst ist nicht mehr der monolithische Block, der er zur Zeit von Axel Springer war. Aber die BILD-Zeitung hat sich in ihrem Charakter nicht grundsätzlich geändert. Sie ist immer noch ein Blatt, das die Verblödung fördert, Vorurteile schafft und immer noch aus Häme und Hetze besteht. Vor allem zu Wahlkampfzeiten ist diese Zeitung das Flaggschiff des jeweils »rechtesten« Kandidaten. Die Auflage ist in den Vorjahren dramatisch eingebrochen, das ist das Positive. Zusammenfassend: Immer wieder ein gefährliches Blatt. Zum Glück komme ich dort gar nicht vor oder wenn, dann negativ. Wenn die anfangen, mich zu loben, müsste ich mich fragen, was ich falsch gemacht habe.

Sie wurden damals ja auch geklagt?

Ja, es gab jahrelange Prozesse, die ich schließlich in letzter Instanz beim Bundesverfassungsgericht gewonnen habe. Auch meine Methode wurde als legitim angesehen. Das Oberste Gericht hat damals erklärt: »Wenn es um gravierende Missstände geht, hat die Öffentlichkeit das Recht, darüber informiert zu werden, auch wenn diese Informationen unter anderer Identität zustande gekommen sind.« Das hat den Spielraum auch von anderen KollegInnen erweitert.

Wir haben ja in Österreich die »Kronen Zeitung«. Ist Ihnen die ein Begriff?

In den 70er-Jahren bekam ich Besuch. Da kam ein aufgeschlossener, freundlicher Mann zu mir und bot mir an, doch regelmäßig für seine Zeitung Sozialreportagen aus aller Welt zu schreiben, Honorar spiele keine Rolle, Themen könne ich selbst wählen. Ich habe ihn damals in meiner Küche empfangen. Ich kannte Hans Dichand nicht und sagte, er solle mir doch vorher mal seine Zeitung zusenden. So lernte ich die Kronen Zeitung kennen. Die war garniert mit Hetzkolumnen eines gewissen Staberl. Ich habe Dichand freundlich geantwortet, dass dies wohl nicht ganz das Umfeld für mich sei.

Wie sehen Sie die Lage der JournalistInnen in Deutschland? In Österreich häufen sich Privatkonkurse.

In Deutschland wird es auch immer schwieriger. Ich rate Jüngeren, die den Beruf erlernen wollen: Lernt noch einen anständigen zweiten Beruf, damit ihr nicht nachher darauf angewiesen seid und euch verbiegen müsst. Der Spielraum wird immer mehr eingeengt. Qualitätszeitungen verlieren an Auflage. Werbung und redaktioneller Teil werden oft vermischt. Viele Lokalzeitungen bringen zunehmend versteckte Werbung. Da sehe ich große Probleme. Man sollte über öffentlich rechtliche Zeitungen wie in Schweden diskutieren.

Sie werden immer wieder angegriffen. Zuletzt wegen des Films »Schwarz auf weiß«, in dem Sie als Schwarzer Deutschland bereisen.

Es gab sehr differenzierte Debatten und das finde ich erstmal positiv. Wenn es nur wohlwollende, laue Zustimmung gäbe, hilft das dem Thema nicht. Dem Anliegen kann nichts Besseres passieren als eine kontroverse Diskussion und hier gibt es jetzt zunehmend Vertreter von Schwarzen-Organisationen, die den Film nutzen, um ihre eigenen viel tiefer und weiter gehenden Probleme in die Öffentlichkeit zu bringen. Da kann ich mich nicht beklagen. Manche meiner Kritiker machen den Boten nieder, um die Botschaft nicht an sich ranzulassen. Aber der Zuspruch ist größer, vor allem von in Deutschland lebenden Schwarzen. Und darum geht es.

Bei Ihren Reportagen schlüpfen Sie nicht nur in die Opferrolle. Wie weit mussten Sie sich überwinden, als Call-Center-Agent Menschen am Telefon abzuzocken?

Ich habe mir immer heimlich die Telefonnummern notiert, um die erpressten Abschlüsse abends rückgängig zu machen. Diejenigen, die zu dieser Arbeit teils über die Arbeitsagenturen zwangsverpflichtet worden sind - wer sich weigert bekommt eine Sperre - sind die Bedauernswertesten. Die müssen sich da zu Betrügern ausbilden lassen. Daher ist dort die Fluktuation extrem hoch. Das ist wider die menschliche Natur. Es ist dennoch ein boomendes Gewerbe. Da habe ich durch meine Arbeit erreicht, dass ein neues Gesetz erlassen wurde. Die Bußgelder wurden erhöht, Telefonnummern dürfen nicht mehr unterdrückt werden und auch das Widerrufsrecht wurde erweitert.

Es ist gar nicht so einfach, als 67-Jähriger Jobs zu bekommen - sind Sie an Ihrer biologischen Grenze angelangt?

Ich habe eine gute Maskenbildnerin, die kriegt mich gerade noch so als 49-Jährigen hin. Mir ist aber bewusst, dass ich das irgendwann nicht mehr machen kann. Ich erarbeite gerade mit Gewerkschaften ein Konzept für ein Wallraff-Stipendium. Da sollen KollegInnen - JournalistInnen, SchriftstellerInnen, auch ArbeiterInnen oder Angestellte - ihre Erfahrungen beschreiben, aber auch gezielt in Bereiche hineingehen, um dann in Zeitschriften, Büchern, Filmbeiträgen, ihre Er-fahrungen darzulegen. Ich werde mitberatend tätig sein, eine Jury soll dann diese Projekte bezuschussen.

Eine Art Vorbote findet sich in der Reportage »Unfeine Küche« im Buch.

Hier hatte ein Lehrling den Mut, sich zu widersetzen. Jede Woche treten etliche Menschen an mich heran und bitten mich, Unrecht aufzudecken. Ich kann nicht alle bearbeiten. Im Fall von gravierendem Unrecht wende ich mich an die Firmenleitung und weise sie auf die Missstände hin. Von Zeit zu Zeit passiert dann etwas. Manchmal bringe ich als Mediator Leute an einen Tisch, auch gemeinsam mit GewerkschaftsvertreterInnen. Neuerdings wenden sich häufiger Menschen in leitenden Positionen an mich, z. B. der Deutschen Bahn. Leitende, die zu Leidenden wurden. Da bleibe ich dran.

Ich persönlich versuche bewusst zu konsumieren. Wie geht es dem wohl informierten Konsumenten Günter Wallraff?

Nachdem ich in dieser Lidl-Zulieferer-Brotfabrik gearbeitet hatte, habe ich auch noch in einer Bio-Bäckerei gearbeitet: Ein Unterschied wie Tag und Nacht. Ich wäre sehr für Positivlisten von Unternehmen, von denen man sagen kann, die sind glaubwürdig, da stimmen die Arbeitsbedingungen und auch die Produkte sind zu empfehlen. Ich bin bewusster Verbraucher. Ich bin allerdings auch bequem und ertappe mich, dass ich manchmal aus Zeitgründen in Geschäften einkaufe, die ich eigentlich boykottieren sollte. Ich bin also nicht in allem konsequent.

Wäre nach den vielen Reportagen über die »ganz unten« - nicht auch solche über die »ganz oben« notwendig?

Ich finde es für eine Gesellschaft gefährlich und ruinierend, wenn sie in immer verarmendere Schichten zerrissen wird, wo Armut weiter vererbt wird, wo es auch schulisch kaum Aufstiegschancen gibt und in der gleichzeitig große Vermögen immer mehr begünstigt werden. Wir haben ja nicht einmal eine Vermögenssteuer. Dies sichtbar zu machen wäre sicher ein Thema. Es muss nicht gleich eine Neiddebatte daraus entstehen. Wo Reichtum verprasst und auf Kosten von anderen schamlos ausgebeutet wird, das muss sichtbar gemacht werden. Dagegen sollte man aber auch diejenigen positiv herausstellen, die den Satz »Eigentum verpflichtet«, der im deutschen Grundgesetz steht, durch soziale und kulturelle Leistungen leben.

Sie haben viele Reportagen gemacht, auf welche sind Sie am meisten stolz?

Stolz - erst recht Nationalstolz - geht mir ab. Da fällt mir ein Sprichwort ein: Dummheit und Stolz wachsen aus einem Holz. Ich kann auch nicht sagen, welche meiner fünf Töchter mir am liebsten ist. Die haben sich alle dank ihrer Mütter trotz oft abwesenden Vaters hervorragend und eigenständig entwickelt.

Wir danken für das Gespräch.

Zur Person
Günter Wallraff
geboren am 1. Oktober 1942 in Burscheid ist ein deutscher Enthüllungsjournalist und Schriftsteller. Er ist durch seinen investigativen Journalismus bekannt geworden.
Zwischen 1963 und 1965 war Wallraff als Arbeiter in diversen Großbetrieben tätig. Die Gewerk-schaftszeitung Metall druckte 1965 erste Reportagen ab. 1966 veröffentlichte Wallraff einen ersten Sammelband »Als Arbeiter in deutschen Industriebetrieben«.
1974 wurde er nach einer Protestaktion in Athen gegen die griechische Militärdiktatur gefangen genommen, gefoltert und kam erst nach Zusammenbruch des Regimes im August frei.
Berühmt wurde auch Wallraffs Anti-BILD-Trilogie, für die er 1977 vier Monate lang als Redakteur der Boulevardzeitung in Hannover arbeitete. Die Axel Springer AG verklagte ihn daraufhin mehr-fach. Wallraff behielt in letzter Instanz Recht.
In Deutschland recherchiert Wallraff seit Mai 2007 für das wiederbelebte Zeit-Magazin »Leben«. Soeben ist sein Bestseller, die Reportagensammlung »Aus der schönen neuen Welt«, und der Film »Schwarz auf Weiß« erschienen.

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