topimage
Arbeit&Wirtschaft
Arbeit & Wirtschaft
Arbeit&Wirtschaft - das magazin!
Blog
Facebook
Twitter
Suche
Abonnement
http://www.arbeiterkammer.at/
http://www.oegb.at/

Alles, was recht ist

Gesellschaftspolitik

Auch in Österreich sind politische und gewerkschaftliche Grundrechte immer wieder in Gefahr, wie aktuelle Urteile zum Tierschutz beweisen.

Die Haltung des Europäischen Gerichtshofes zu Gewerkschaftsrechten ist in dieser Zeitschrift mehrfach zu Recht kritisiert worden. Aber wozu in die Ferne schweifen? Österreichs Gerichte schicken sich an, die »europäische« Missachtung politischer und gewerkschaftlicher Grundrechte um ein Vielfaches zu übertrumpfen. Genügt es wirklich, eine politische Kampagne zu führen, dazu Seminare abzuhalten, Artikel zu schreiben und internationale Kontakte zu nützen, um eine »kriminelle Organisation« oder gar »terroristische Vereinigung« (§ 278a, § 278b StGB) zu bilden? Was bedeutet das für GewerkschafterInnen? Keine Frage: Wer Brandanschläge verübt, serienweise Fahrzeuge beschädigt oder systematisch Attentate mit Buttersäure verübt, stellt sich klar außerhalb jenes durch die Grundrechte geschützten Bereiches, der als ziviler oder außerparlamentarischer Widerstand, Freiheit der Meinungsäußerung und der politischen Aktion geschützt ist - auch wenn er/sie strikt darauf achtet, »bei Aktionen weder Menschen noch Tiere in Gefahr zu bringen« (Bekenner-Schreiben der »Animal Liberation Front« nach einem Brandanschlag auf den Circus Knie im Juli 2000).
Aber auch keine Frage: Wer sich politisch für Tierschutz, gegen Tierversuche und Tierfarmen etc. einsetzt, ist deswegen noch lange nicht verantwortlich für strafgesetzwidrige Aktionen militanter Gruppen; auch dann nicht, wenn diese ähnliche oder sogar gleiche Ziele verfolgen. So wenig die französischen Gewerkschaften für »Bossnapping« (vorübergehende Freiheitsberaubung gegenüber Managern) verantwortlich sind, so wenig sind es engagierte, legal tätige TierschützerInnen für Brandanschläge usw.

Nicht kriminalisieren

Wenn Straftaten begangen werden ist es die Aufgabe der Polizei, die TäterInnen auszuforschen und zu bestrafen. Die TäterInnen (!) - nicht irgendein »ideologisches Umfeld«, das gleiche oder ähnliche Ziele auf vollkommen legalen Wegen verfolgt. Vorträge an Schulen, das Veranstalten von Seminaren, das Herstellen von Videos und Flugzetteln, aber auch Demonstrationen, Verhandlungen, Kundgebungen - gerade das sind die erwünschten Formen ziviler Einmischung in die Politik, die das Herzstück jeglicher Demokratie sind. Wer diese Betätigung zu kriminalisieren versucht, unterläuft nicht nur die Menschenrechte und Grundfreiheiten, sondern die Demokratie schlechthin!
Gerade wir GewerkschafterInnen wissen, wovon wir reden: Nach wie vor ist es in vielen Staaten der Welt schon ein Verbrechen, sich überhaupt politisch bzw. für Gewerkschaften einzusetzen. Auch in Österreich wurden während der Monarchie unter den verschiedensten Vorwänden gewerkschaftliche Aktionen kriminalisiert. »Ständestaat« und Nazis brauchten dazu keine Vorwände. In totalitären Staaten gibt es zweifelhafte, dehnbare Strafrechtsbestimmungen, wie »Beleidigung des Türkentums« gemäß § 301 des türkischen Strafgesetzbuches (bis zur tw. Entschärfung durch Gesetzesänderung 2008) oder die Bildung »staatsfeindlicher Verbindungen« nach § 100 des szt. StGB der DDR. Sie wurden und werden dann herangezogen, wenn der Staatsführung missliebige politische bzw. zivilgesellschaftliche Aktivitäten zu erfolgreich werden.

Schutz der freien Meinungsäußerung

Und in Österreich? Eigentlich hätte man gehofft, dass diese Zeiten hinter uns liegen. Auch das Strafgesetzbuch ist ein einfaches Gesetz und muss jene Menschenrechte und Grundfreiheiten respektieren, die durch die österreichische Bundesverfassung, die im Verfassungsrang stehende Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) und ähnliche Grundrechtsgarantien verbürgt sind. Auch bei der Auslegung z. B. des § 278a StGB (»kriminelle Organisation«) muss daher der verfassungsrechtliche Schutz der freien Meinungsäußerung, der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit usw. berücksichtigt werden. Wenn österreichische Strafverfolgungsbehörden einen mehrere hundert Seiten langen Strafantrag verfassen, der genau diese brisante Problematik betrifft, ohne das verfassungsrechtliche Spannungsfeld auch nur in irgendeiner Weise anzusprechen, zeigt das einmal mehr, wie bedauerlich gering der Stellenwert der grundlegendsten Werte der Republik gerade bei deren Behörden immer noch ist. Man muss dann gar nicht erst den Vergleich zu eingestellten bzw. gar nicht eröffneten Strafverfahren gegen ranghohe Politiker bemühen, um zu sehen, welche Wirkungsrichtung die Staatsanwaltschaften dem Strafrecht bei »politischen Delikten« neuerdings (wieder) geben. Noch ist es nur ein Strafantrag, aber das ist schlimm genug: Betroffene TierrechtsaktivistInnen saßen monatelang in Untersuchungshaft, in einer Art staatlicher Kampagne wurde versucht, ihren Verein zu diskreditieren, aber auch durch zweifelhafte steuerliche Maßnahmen in die Knie zu zwingen usw. Eine gezielte politische »Gegenkampagne« gegen missliebige Organisationen der Zivilgesellschaft ist niemals Aufgabe des Staates!
Noch einmal: Wer Brandanschläge durchführt, ist strafrechtlich zu verfolgen. Man soll ihn wegen der Durchführung oder Beihilfe zu solchen Straftaten anklagen, überführen und verurteilen. Dazu bedarf es keiner Hilfskonstruktionen: Wer Straftaten auch nur organisatorisch, finanziell etc. wissentlich unterstützt, ist ohnedies Mittäter.

Eine Schande für Österreich

Aber es kann und darf nicht hingenommen werden, dass Bestimmungen des Strafgesetzbuches, deren einziges Anwendungsfeld die Erleichterung des Vorgehens gegen »genuin mafiöse Organisationen« zu sein hat (Klingenbrunner in juridikum 2008, 163), zur Unterdrückung von freier Meinungsäußerung und politischer Betätigung missbraucht werden. Zu Recht hat Univ.-Prof. Dr. Bernd-Christian Funk (Der Standard v. 17./18. 10. 2009) gemeint, Österreich brauche solche Bestimmungen nicht. Eigentlich muss man es schärfer formulieren: Solche Strafrechtsregeln bzw. derartige Interpretationen sind eine Schande für Österreich! Wir GewerkschafterInnen sind gut beraten, die Entwicklung der Verfahren gegen die TierrechtsaktivistInnen genau zu verfolgen und lautstark gegen solche Vorgehensweisen aufzutreten - ehe ähnliche »Verfahren« auch gegen uns angewendet werden!

Info&News
Gefährliche Aktivitäten!
Vorwürfe gegen Martin Balluch: Aus dem Strafantrag gegen die TierrechtsaktivistInnen:
Martin Balluch habe im Wissen, dadurch eine Vereinigung zu fördern, die strafbare Handlungen begeht, sich an deren Aktivitäten beteiligt durch u. a.
* Ausforschen von Pelztierfarmen zu Zwecken der Dokumentation und der Entwicklung von Strategien,
* im Rahmen der »Anti-Jagd-Kampagne« durch Erteilen taktischer Ratschläge,
* durch organisationsinterne Verbreitung der angewandten Taktik und Bekanntmachung verübter Straftaten,
* durch das Mitwirken am Kunstsymposion »Das Tier als Subjekt« und
* Veranstalten eines Tierrechtskongresses und Referat dort,
* durch Betätigung als »Vordenker« durch Verbreitung der Ideologie und Entwicklung von Strategien,
* durch Archivierung von Bekennerschreiben und Berichten zu Anschlägen einer »Animal Liberation Front«.

Weblink
Europäische Menschenrechtskonvention:
www.echr.coe.int/NR/rdonlyres/F45A65CD-38BE-4FF7-8284-EE6C2BE36FB7/0/GermanAllemand.pdf

Info&News
Aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK):
Artikel 10
Freiheit der Meinungsäußerung
(1) Jedermann hat Anspruch auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Freiheit der Meinung und die Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten oder Ideen ohne Eingriffe öffentlicher Behörden und ohne Rücksicht auf Landesgrenzen ein. Dieser Artikel schließt nicht aus, dass die Staaten Rundfunk-, Lichtspiel- oder Fernsehunternehmen einem Genehmigungsverfahren unterwerfen.
(2) Da die Ausübung dieser Freiheiten Pflichten und Verantwortung mit sich bringt, kann sie bestimmten, vom Gesetz vorgesehenen Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen unterworfen werden, wie sie in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen Sicherheit, der territorialen Unversehrtheit oder der öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und der Moral, des Schutzes des guten Rufes oder der Rechte anderer unentbehrlich sind, um die Verbreitung von vertraulichen Nachrichten zu verhindern oder das Ansehen und die Unparteilichkeit der Rechtsprechung zu gewährleisten.
Artikel 11
Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit
(1) Alle Menschen haben das Recht, sich friedlich zu versammeln und sich frei mit anderen zusammenzuschließen, einschließlich des Rechts, zum Schutze ihrer Interessen Gewerkschaften zu bilden und diesen beizutreten.
(2) Die Ausübung dieser Rechte darf keinen anderen Einschränkungen unterworfen werden als den vom Gesetz vorgesehenen, die in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen und öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und der Moral oder des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind. …

Kontakt
Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor
rene.schindler@proge.at
oder die Redaktion
aw@oegb.at

Artikel weiterempfehlen

Kommentar verfassen

Teilen |

(C) AK und ÖGB

Impressum