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Bisher gelang es den GegnerInnen der Proteste nicht, diese zu unterbinden. Vielmehr zeichnet sich im Moment eine Strategie ab, die versucht, die »wuchernde« Subjektivität Schritt für Schritt in gelenkte Bahnen zu bringen. Bisher gelang es den GegnerInnen der Proteste nicht, diese zu unterbinden. Vielmehr zeichnet sich im Moment eine Strategie ab, die versucht, die »wuchernde« Subjektivität Schritt für Schritt in gelenkte Bahnen zu bringen.

Es brodelt in der Uni

Schwerpunkt

Thesen eines besetzenden Lehrenden zu den aktuellen Protesten an den österreichischen Universitäten.

Jede Revolution beginnt mit einem Auflauf«, so steht es in der VoKü im Audimax geschrieben. Und jeder Auflauf besteht aus vielen Zutaten, die erst in einem Kochprozess ihre Konsistenz und Form bekommen. Im Folgenden werde ich einen ersten Einblick versuchen in die Zutatenmischung des Auflaufs, der an den Unis zurzeit kocht. Die folgenden Zeilen sind als Thesen zu verstehen, die einen anderen Blick auf die Proteste werfen wollen. Sie erheben nicht den Anspruch, alles erklären zu können, vieles allerdings erst in den Blick nehmen, was bisher nicht beachtet wurde.

Vorbei an der Politik

Betrachten wir die bisherige Berichterstattung zu den Protesten an den österreichischen Universitäten, wird immer wieder auf zwei, vermeintlich genuin neue Phänomene hingewiesen. Das sind die Basisdemokratie und die Entstehung des Protests vorbei an den etablierten Strukturen der Politik. Beide Phänomene dienen als Erklärungsmuster für die ausgesprochene Dynamik der Proteste. Meines Erachtens sind diese Phänomene aber nur Ausdruck tiefer liegender Prozesse der Subjektformierung, die schon vor Beginn der Proteste begonnen haben und sich nun verschränken mit dem Ausbruch der Bewegung.
»Diese Zukunft hat keine Zukunft mehr« Das war das Statement eines Studierenden am zweiten Tag der Besetzung des Audimax. Diese Worte geben einen ersten Einblick in die Tiefe der Unzufriedenheit. Beinahe schon ein Jahrzehnt bekommen wir in regelmäßigen Abständen von den politischen Eliten die Stehsätze zu hören, dass wir in einer Wissensgesellschaft leben würden, dass Wissen die wichtigste Ressource der heutigen »postindustriellen« Gesellschaft sei, dass Europa zum wettbewerbsfähigsten auf Wissen basierendem Wirtschaftsraum der Welt werden müsse. Die Realität an den Orten, wo dieses Wissen »produziert« wird, spießt sich mit der vermeintlichen Systemrelevanz dieser Orte.
Das Empfinden, dass hier etwas nicht stimme, geht weit über das alltägliche Erleben von überfüllten Hörsälen hinaus. Es ist das Gefühl einer weit verbreiteten Perspektivenlosigkeit, nicht nur während des Studiums. Eine ganze Generation von AkademikerInnen ist davon betroffen. »Prekarität« ist der adäquate Begriff, der die biografischen Situationen eines großen Teils der Universitätsangehörigen umschreibt. Die Versprechungen einer Wissensgesellschaft und die des Bologna-Prozesses delegitimieren sich jeden Tag im konkret Erlebten. Dem Fass den Boden ausgeschlagen hat sicherlich die aktuelle Wirtschaftskrise. Die enormen Summen, die nun locker gemacht wurden für die Rettung maroder Finanzinstitute, ließen den Zweifel an den Verheißungen der Wissensgesellschaft noch einmal wachsen. Für viele war es klar, nicht die Wissensgesellschaft ist Realität, sondern eine finanzmarktorientierte Gesellschaft. Die Uni schien nicht systemrelevant zu sein. Die Politik verspielte damit ihre Glaubwürdigkeit.

Bildung statt Ausbildung

Ein weiterer Aspekt betrifft die Auswirkungen der Bologna-Studienarchitektur. Die Umstellung auf das BAC- und Mastersystem an der Akademie der bildenden Künste und die darauf folgenden Proteste markierten den Auftakt des aktuellen Protetszyklus1. Innerhalb dieser Neuausrichtung der studentischen Laufbahnen passiert eine massive Verschulung des Studiums. Hintergrund ist das Ziel, einen einheitlichen Hochschulraum in der EU zu schaffen, der die Mobilität der Studierenden fördern sollte. An sich ein begrüßenswertes Anliegen, doch wurde der Bologna-Prozess sehr schnell zu einem Vehikel, mit dessen Hilfe die Hochschulbildung im Interesse der ökonomischen Verwertbarkeit zugerichtet wurde.
Einhergehend damit begann eine schleichende Umdefinition der StudentInnen zu Bildungskunden. Die damit Einzug haltende »Kosten-Nutzen-Rechnung« erhöhte den herrschaftlich-bürokratischen (dem Wortsinn nach bedeutet Bürokratie »Herrschaft des Büros«) Druck, die Lehrveranstaltungs-Vitae zu normieren und zu kontrollieren. Dieser Druck wurde an Lehrende - ein großer Teil davon prekär beschäftigt, allein an der Uni Wien über 1.900 - und Studierende weitergegeben. Allerdings bildeten sich individuelle Muster von Dissidenz gegenüber diesen Normierungsversuchen und verbreiteten sich weit. Bürokratische Vorgaben, wie zum Beispiel die elektronischen Anmeldesysteme, wurden auf Basis autonomer und relativ kleinräumiger Agreements zwischen Lehrenden und StudentInnen umgangen. Dies schuf einen fragmentierten Raum vielfältiger Praxen, die aufgrund von schieren Notwendigkeiten, einen dissidenten Lernprozess der Selbstorganisation ermöglichten. Diese individualisierten Formen der Dissidenz2, so meine These, sind maßgeblich dafür verantwortlich, dass trotz der katastrophalen Zustände an den Universitäten der Betrieb nicht zusammengebrochen ist.

Die »SelbermacherInnen«

Mit der Besetzung der Hörsäle wurde plötzlich ein größerer kollektiver Raum erschaffen, in dem diese Lernerfahrungen auf breiterer Basis in die Tat umgesetzt werden konnten. Die Besetzung der Räume wirkte hier katalytisch und eine enorme Beschleunigung der Prozesse war die Folge. Schnell wurden Praxen der Selbstorganisation an die neuen Möglichkeiten angepasst. Als ein Beispiel können die »squatting teachers« herangezogen werden, welche offene und kritische Lehre organisieren und so der bürokratisch-herrschaftlichen Zurichtung der Lehre in erweiterten Räumen entgegentreten.
Die etablierten Strukturen studentischer Politik, die selbst auf der Regelmäßigkeit bürokratischer Organisationen beruhten, konnten mit dieser Geschwindigkeit schlichtweg nicht mithalten. Nicht anders erging es der Uni-Leitung, den politischen Parteien oder anderen Interessenvertretungen. Die einen reagierten mit Solidarität, andere mit Entsetzen, doch bei allen herrschte eine vorsichtig abwägende Neugierde und ein »Nicht-Verstehen« der Dynamik vor.
Der Moment der Basisdemokratie, war ebenfalls Ausdruck der vorangegangenen Erfahrungen. Die Plena, insbesondere im Audimax, waren geprägt von einem oft zähen Ringen um kollektive Handlungsfähigkeit. Dabei zeigte sich, dass die zuvor erlernten individualistischen Praxen der Dissidenz kollidierten mit der notwendigen Herstellung von kollektiver Subjektivität. Selbstdarstellung und performative Inszenierungen lähmten viele Debatten. Schon am Beginn der Bewegung wurden Forderungen laut, wie: »Alle Macht den Arbeitsgruppen«. Diese Forderungen sind Ausdruck des Spannungsverhältnisses zwischen einer notwendigen Individualität und der persönlichen Befreiung von den oben genannten Zwängen und der erforderlichen Herstellung kollektiv-subjektiver Handlungsfähigkeit. Bis heute halten diese Diskussionen an.
Bisher gelang es den GegnerInnen der Proteste nicht, diese zu unterbinden. Vielmehr zeichnet sich im Moment eine Strategie ab, die versucht, die »wuchernde« Subjektivität Schritt für Schritt in gelenkte Bahnen zu bringen, um sie wieder zu objektivieren und herrschaftlich bearbeitbar zu machen. Dabei spielt der Faktor Zeit eine erhebliche Rolle. Das enorme Tempo welches die Bewegung zu Beginn hinlegen konnte ist auf Dauer nicht aufrechtzuerhalten.

Es kocht weiter

Die strukturellen Zwänge der ökonomischen Reproduktion und des Studiums erzwingen eine Entschleunigung. Gleichzeitig können wir aber auch beobachten, dass die Bewegung beginnt in andere Bereiche der universitären Strukturen einzusickern.
Bei Institutsvollversammlungen, im Betriebsratskollegium, den Fakultäten, den Lehrenden und Forschendenversammlungen werden abseits der medialen Inszenierungen die Diskussionen weitergeführt. Es scheint, als ob das kollektive Lernen hier fortgesetzt wird und der »Auflauf weitergekocht« wird.

1 An mehreren Universitäten wurde schon zuvor die Bologna-Studienarchitektur implementiert.
2 Diese existierten auch schon vor der Einführung der Bologna-Studienarchitektur, kamen nun aber immer stärker in Widerspruch mit derselben.

Weblink
Uni Wien Lehrenden-Unterstützung:
unsereuni.at/?page_id=1883

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