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Der Anstieg der Medikamentenausgaben von 1,97 Mrd. Euro im Jahr 2000 auf knapp drei Mrd. Euro im Jahr 2008 neben den Spitalskosten der größte Brocken für die Kostensteigerungen in den GKK. Der Anstieg der Medikamentenausgaben von 1,97 Mrd. Euro im Jahr 2000 auf knapp drei Mrd. Euro im Jahr 2008 neben den Spitalskosten der größte Brocken für die Kostensteigerungen in den GKK.

Kranke Kassen?

Wirtschaft&Arbeitsmarkt

Gesundheit muss uns etwas wert sein, so tönt es aus den Medien. Versteckte Botschaft: Nur wenn wir mehr zahlen, ist die Gesundheitsversorgung gesichert.

Immer wieder hören wir, dass wir in Österreich das beste Gesundheitssystem der Welt hätten. Bedroht sei dieses durch das Defizit der Gebietskrankenkassen (GKK), das dzt. 1,2 Mrd. Euro ausmache. Klingt alarmierend. »Reformen«, »neue Strukturen«, »Effizienzsteigerungen« seien nötig. Wer will da etwas dagegen haben, klingt ja plausibel. Angeführt wird diese Debatte etwa vom Finanzminister, von der Pharmabranche, den Medien, privaten Gesundheitsanbietern und »Gesundheitsökonomen« oder von »Experten« aus der Industriellenvereinigung. Ein »Kassenpaket« ist angekündigt, aber noch nicht freigegeben. Dieses sieht 450 Mio. Euro zum Schuldenabbau bis 2013 und 100 Mio. Euro für einen »Strukturfonds« ab 2010 vor. Der »Strukturfonds« wurde an die schrittweise Umsetzung der vereinbarten Einsparungen von 1,7 Mrd. Euro bis 2013 geknüpft.1

»Defizit« - der große Bluff

Die Pharmaindustrie etwa schreibt weiterhin steigende Gewinne. So ist ja auch der Anstieg der Medikamentenausgaben von 1,97 Mrd. Euro im Jahr 2000 auf knapp drei Mrd. Euro im Jahr 2008 neben den Spitalskosten der größte Brocken für die Kostensteigerungen in den GKK. Zudem müssen die Kassen per Gesetz 74 Prozent der Spitalskosten tragen, obwohl sie keinen Einfluss auf die zu 100 Prozent von Ländern und Gemeinden geführten Spitäler haben.
Durch Maßnahmen, die seit der schwarz-blau-orangen Regierung wirksam sind, wie Senkung der Kassenbeiträge der Pensionsversicherung für ArbeiterInnen und Angestellte und des AMS oder durch die Verpflichtung zur Übernahme von Leistungen, die nichts mit der Krankenversorgung zu tun haben (z. B. Wochengeld), entgehen den Krankenkassen jährlich (!) zwischen 850 bis 900 Mio. Euro.2
Die Unternehmen schuldeten 2008 den GKK 955 Mio. Euro. Letztendlich bleiben viele Sozialversicherungsbeiträge uneinbringlich: Seit 2000 mussten die Kassen insgesamt 1,1 Mrd. Euro abschreiben - diese Summe ist fast ident mit dem Kassendefizit von 1,2 Mrd. Euro.3
Es gibt auch nicht den beschworenen Kostenanstieg. Die Gesundheitsausgaben sind in den vorigen Jahrzehnten nicht wesentlich stärker gestiegen als die Gesamtwirtschaft. Die Anteile am Bruttoinlandsprodukt (BIP) sind weitgehend stabil geblieben.4 Was es aber gibt, sind Einnahmenrückgänge. Wären die Einnahmen der Kassen (+ 33 Prozent) genauso wie die Wertschöpfung der Wirtschaft (+ 41 Prozent) gestiegen, gäbe es kein Defizit!
Für Ingrid Reischl, Leiterin der Grundlagenabteilung der GPA-djp und neue Obfrau der Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK), ist klar: »Das Gesundheitswesen kann nicht über Leistungskürzungen und Einsparungen konsolidiert werden. Ohne Reform der Einnahmenbasis geht sich die Rechnung für ein ausgeglichen gebarendes, qualitativ hochwertiges und bedarfsgerechtes Gesundheitswesen nicht aus. Von besonderer Bedeutung sind dabei Maßnahmen, die der seit langem zu beobachtenden Beitragseinnahmenerosion nachhaltig entgegenwirken und eine Dynamik der Einnahmen in zumindest gleicher Ausprägung wie dem Wachstum der Volkswirtschaft garantieren. Dabei ist zu überdenken, ob es angesichts der nachhaltig sinkenden Lohnquote richtig ist, die Krankenversicherungsbeiträge ausschließlich auf die Lohnsumme zu beziehen.«5

Sozialversicherung billiger

Die Sozialversicherung (Pflichtversicherung) ist auch wesentlich billiger als die privaten Versicherer (Versicherungspflicht). Haben diese Verwaltungskosten von zwei bis drei Prozent, so sind es bei den Privaten zwischen zehn und 25 Prozent, manchmal sogar mehr, weil ja mehr AnbieterInnen am Markt mehr teure Direktorenposten, mehr Werbung für den Verdrängungswettbewerb um nicht wirklich mehr Versicherte bedeuten.
Die angeblich so »teure« WGKK hat überhaupt nur noch 2,2 Prozent Verwaltungskosten. »Während der Verbraucherpreisindex (VPI) von 2000 bis 2008 um 18,3 Prozent gestiegen ist, wurde der Aufwand für die und der Personalstand in der Verwaltung im gleichen Zeittraum um drei Prozent bzw. 14 Prozent gesenkt«, weiß WGKK-Obfrau Reischl. So löst sich der Vorwurf der Ineffizienz in Luft auf.
Was u. a. auch den Kassen durch die Umverteilung von unten nach oben entgangen ist, macht die Entwicklung der Lohnquote, das ist der Anteil der Löhne am Volkseinkommen, sichtbar. Von 1993 bis 2008 ist diese Quote von 66 auf 56 Prozent gesunken. Für die vergangenen 15 Jahre aufgerechnet bedeutet dies eine Verschiebung von Arbeitseinkommen zu den Gewinnen von unvorstellbaren 98 Mrd. Euro! Dadurch wurde den Pensionskassen 15 Mrd. Euro, den Krankenkassen fünf Mrd. an Beiträgen entzogen.6

Das Ziel der Defizit-Propaganda

Bei der Sozialversicherung geht es in Summe um ein Volumen von über 40 Mrd. Euro jährlich! Dieser Bereich ist derzeit noch dem Zugriff privater Versicherer und sogenannter privater Gesundheitsanbieter entzogen. Deshalb wollen ihn die UnternehmerInnen und ihre politische Lobby für ihre Geschäftsinteressen öffnen.
Ein Instrument dazu ist der Hauptverband der Sozialversicherungsträger (HV). Seit Blau-Schwarz dominiert per Gesetz die Minderheit der ca. 400.000 UnternehmerInnen, Selbstständigen und Bauern (sieben Prozent) über die überwältigende Mehrheit von 5,3 Mio. (93 Prozent) der Versicherten, die aktiven und pensionierten ArbeitnehmerInnen. Mit der Begründung, dass sowohl ArbeitnehmerInnen als auch ArbeitgeberInnen Beiträge zur Sozialversicherung bezahlen, werden beide Gruppen gleichgestellt. Tatsache aber ist, dass die sogenannten »Arbeitgeberbeiträge« zur Sozialversicherung nicht von den UnternehmerInnen, sondern von den ArbeitnehmerInnen in den Betrieben erwirtschaftet werden. Mit dieser HV-Struktur wird der Selbstverwaltungsgedanke ad absurdum geführt und die ArbeitnehmerInnen-Versicherten praktisch enteignet. Über ihre Gelder verfügt die Minderheit der UnternehmerInnen entsprechend ihrer Interessen.7
Weil von der »Gesundheitsreform« auch die Ärzte/-innen betroffen sind, sagt Ärztekammerpräsident Walter Dorner treffend, worum es dabei geht: »Die Machtübernahme des Kapitals im sozialen Bereich.« Er warnt vor einer »fatalen Überschätzung« der Einsparmöglichkeiten der Krankenkassen, die zu Warteschlangen, staatlicher Zuteilungs- und Billigmedizin führe. Die Folge: »Wer Geld hat, bleibt gesund, und wer weniger hat, wird kränker.« Dorner sieht eine »spekulative Verschiebung« im Gesundheitssystem weg von medizinischen Leistungen hin zu zweifelhaften Monsterinvestitionen, die den PatientInnen wenig brächten. Er verwies in diesem Zusammenhang auf die eben erst bekannt gewordenen »exorbitant hochgeschraubten Gewinnerwartungen von 17 Prozent« des Gesundheitssektors von IT-Konzernen wie Siemens, die wohl in Projekten wie der elektronischen Gesundheitsakte (ELGA) ihre Ursache hätten.8 Mit dem »Kassendefizit« wird Gehirnwäsche betrieben. Die Machenschaften und Gewinnabsichten privater »Gesundheits«Anbieter werden in den Medien, hinter der große private Interessengruppen stehen (z. B. zu 50 Prozent der deutsche WAZ-Konzern bei der Kronen Zeitung, oder Raiffeisen bei Kurier, Profil & Co.), kaum thematisiert! Doch genau über diese Zusammenhänge zum Schaden breitester Bevölkerungsschichten soll und muss geredet werden.

Das System ist krank

Die Versicherten müssen aufgeklärt und den Nutznießern auf Kosten der Allgemeinheit entgegengetreten werden, damit die im Gewand der smarten »Gesundheitsbringer« auftretenden Experten als das entlarvt werden, was sie sind: Marktschreier ihrer eigenen Gewinnerwartungen. Wenn etwas krank ist, dann nicht die Kassen, sondern so ein Gesundheitssystem, wie die Autoren des Buches »Zukunft Gesundheit« feststellen.

1 BM für Gesundheit, Sanierungskonzept des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger, 14. 9. 2009 - siehe www.hauptverband.at/media/DB/571356_MRV%20Kassensanierung%2014.9.2009.pdf); APA 15. 9. 2009
2 Ärztemagazin 14/2008; WGKK-Aussendung, APA, 29. 9. 2009
3 Parlamentarische Anfrage von Metallergewerkschafter Franz Riepl an Sozialminister Rudolf Hundstorfer, Standard, 6. 11. 2009
4 Martin Rümmele/Andreas Freitag: Zukunft Gesundheit. So retten wir unser soziales System. Wien 2009
5 Interview, Oktober 2009
6 Hintergrund Sozialtransfers, Staatssekretär im Bundesministerium für Finanzen, Mag. Andereas Schieder, Oktober 2009, sowie Statistik Austria
7 Struktur siehe: www.hauptverband.at
8 ÖÄK-Präsident Walter Dorner lt. ÖÄK-Aussendung 26. 3. 2008 und Standard, 17. 7. 2008

Weblinks
Mehr Infos unter:
www.hauptverband.at
www.zukunftgesundheit.at
www.prosv.akis.at
www.bmg.gv.at

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