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Die Zinsrechnung ist operationalisierbar ohne Wissen über das ökonomische Wesen des Kredits. Diese Operationen werden dem Denken vorgestellt, insofern sie Dinge oder Symbole benutzen, die handgreiflich sind. Die Zinsrechnung ist operationalisierbar ohne Wissen über das ökonomische Wesen des Kredits. Diese Operationen werden dem Denken vorgestellt, insofern sie Dinge oder Symbole benutzen, die handgreiflich sind, wie z. B. Abakus oder schriftlich.

Kulturtechnik Geld

Schwerpunkt

Geld und Zahl sind in unserer Sprache eng miteinander verwoben. Ohne Rechnen ist unsere wissenschaftlich-technische Zivilisation unvorstellbar.

Geld ist zweifellos eine problematische (soziale) Erfindung. Es gibt praktische wie theoretische Probleme auf. Ernsthafte, wenn auch etwas dissidente Ökonomen sprechen vom Rätsel des Geldes und die Probleme des krisengeschüttelten Finanzmarktes sprechen für sich. Man könnte dem noch die prinzipiellen Vorbehalte der Moralisten hinzufügen, die schon seit je das Geld misstrauisch beobachten und jene verdammen, die es zu ihrem Lebenszweck gemacht haben. Dies alles in Rechnung gestellt, lässt sich gleichsam zur Ehrenrettung dieser Erfindung allein auf die zivilisatorische Wirkung hinweisen, die mit dem Geld verbunden ist. So sehr man z. B. einen »berechnenden« Menschen meiden mag, die Fertigkeit des Rechnens ist für unsere wissenschaftlich-technische Zivilisation unverzichtbar. Man kann an vielen Beispielen zeigen, wie der Erwerb dieser Fertigkeit mit dem Gebrauch des Geldes verknüpft war.
Wie eng Geld und Zahl in unserer Sprache verwoben sind, lässt sich etwa an dem Wort »Z(z)ahlen« verdeutlichen, dessen Bedeutung wir nicht hören können. Erst die Schrift zeigt uns ob es sich um die Mehrzahl von Zahl handelt, oder das (be-)zahlen einer Rechnung. Bei dem Wort Rechnung hilft nicht einmal die Schrift, um eine mathematische Operation oder die Forderung einer Geldsumme zu unterscheiden. Wie so oft, ist auch in diesem Fall das Grimmsche Wörterbuch hilfreich. Es weist darauf hin, dass die Bedeutung von zahlen als der Erlegung einer Summe Geldes sich von der Verwendung des Zahlbrettes herleitet, vom Abakus.1 Von Anfang an häufiger verwendet wurde das Verb bezahlen. Die Erläuterung dieses Verb wird mit der lateinischen Formel solvere numerata pecunia eingeleitet, mit aufgezähltem Geld. Schließlich bemerkt der Mathematiker John McLeish: »Die Wichtigkeit eines Geldsystems für die Entwicklung der Arithmetik (besonders der Brüche) ist kaum zu übertreiben.«2

Kulturtechnik Geld

Wenn das Geld also eine menschliche Erfindung ist, könnten wir von einer Kulturtechnik sprechen. Diese Kulturtechnik sichert ein symbolisches System, das sich zwischen die Natur und den Menschen schiebt. Es handelt sich um ein Funktionssystem, das Bewegungen prozessiert, nämlich die Zirkulation von Dingen. Diese Zirkulation erfolgt in einer monetären Wirtschaft entlang der Bahnen, die die Geldströme vorzeichnen. Auch wenn man Geld auch nicht essen kann, ist es doch das privilegierte Mittel um zu Nahrung zu kommen und in diesem Sinne ist es ein Nahrungsmittel. Das gilt nicht, wenn man wie Robinson Crusoe aus dem Rahmen der menschlichen Sozietät fällt. Insofern ist der Gebrauch des Geldes vom Umfang der symbolischen Ordnung bestimmt, welche die Sozietät ausmacht.

Symbole und Zeichen

Als Kulturtechnik wurde im 19. Jahrhundert die ingenieurmäßige Bearbeitung des Bodens verstanden, also Fragen der Bewässerung, Drainage, Begradigung von Flüssen, etc.. Übernehmen wir aus diesem Begriffsverständnis die Trennung von Kopf- und Handarbeit, wie sie für alle ingenieurwissenschaftlichen Tätigkeiten entscheidend ist, wo einfache Handarbeit und Geschick durch Verwissenschaftlichung ersetzt werden, dann können wir sagen, eine Kulturtechnik zeichnet sich wesentlich durch das Prozessieren von Symbolen (und Zeichen) aus. Dies passt auch sehr gut auf die Kulturtechnik des Geldgebrauches, der sich durch ein bestimmtes Wissen auszeichnet.
Dieses Wissen verschränkt sich mit einer medientheoretischen Auffassung des Geldes, insofern es in das Kommunikationssystem Geld eingeht. Um über Geld zu kommunizieren, und das können komplexe Kommunikationsformen sein, braucht es bestimmte Kenntnisse. Aber die Medientheorie des Geldes abstrahiert üblicherweise von diesem Wissen, daher muss sie um den kulturtechnischen Aspekt ergänzt werden. »Der Begriff der Kulturtechnik stellt die Begriffe Medien, Kultur und Technik aufs Neue gemeinsam zur Disposition. Er bewerkstelligt dies, indem er Operationen bzw. Ketten von Operationen als das historisch und logisch Primäre den Medienbegriffen, die aus ihnen hervorgehen, vorausgehen lässt.«3 So wie sich rechnen lässt, ohne zwangsläufig über einen Begriff der Zahl zu verfügen, so lassen sich Operationen durchführen, die wir heute dem Geld zuschreiben, ohne dass der Begriff und seine Vergegenständlichung etwa in der Form der Münze existierten. So kennen wir aus Mesopotamien Kreditverträge mit Zinsen lange vor der Einführung des Münzgeldes. Hier treffen wir auf die Kulturtechnik der Schrift, die in Mesopotamien entwickelt, zuerst Zahlzeichen notierte.

Rechnen am Papier

Rechnen, wie es lange Zeit in Rechenbüchern abgehandelt wurde, war Formelrechnen ohne Beweisverfahren. Das ist möglich, weil die Anwendung eines Kalküls erfolgreich sein kann, auch wenn man über die Elemente und die Prozeduren nicht umfassend Auskunft geben kann. Das ist beim Geldgebrauch im Grunde genauso, man muss nicht wissen, was Geld ist, um es benutzen zu können. Es ist allerdings günstig sich über das Ergebnis einer Zinsrechnung klar zu werden, bevor man einen Kredit aufnimmt. Die Zinsrechnung ist operationalisierbar ohne Wissen über das ökonomische Wesen des Kredits. Diese Operationen werden dem Denken vorgestellt, insofern sie Dinge oder Symbole benutzen, die handgreiflich sind, wie z. B. Zählsteine beim Abakus oder schriftliches Rechnen. Zwar lässt sich einsehen, dass eine derartige Kulturtechnik »die Leistungen der Intelligenz durch Versinnlichung und exteriorisierende Operationalisierung des Denkens«4 befördert, aber es liegt darin auch eine gewisse Blindheit, insbesondere wenn das kalkülisierende Rechnen einer Maschine überlassen bleibt, die keinen Begriff davon hat, was gerechnet wird.
Eine wesentliche Erleichterung des Rechnens war die Einführung des indisch-arabischen Zahlsystems in Europa, des dezimalen Stellenwertsystems mit einer Null. Damit konnten alle Rechenoperationen auf dem Papier ausgeführt werden, das Hantieren mit Rechensteinen entfiel. Es war wohl kein Zufall, dass ein Kaufmann, Leonardo Pisano, genannt Fibonacci, mit seinem Liber Abaci von 1202 wesentlich für die Etablierung dieser Innovation verantwortlich war. Luca Pacioli beruft sich in seiner 1494 erschienenen Summa, dem lange berühmtesten Mathematiklehrbuch, in dem auch die erste gedruckte Darstellung der doppelten Buchhaltung erschien, auf Fibonacci. Das zeigt die große Bedeutung des kaufmännischen Rechnens und Verschriftens, das auch in eigenen Schulen unterrichtet wurde, die man als die ersten nicht-geistlichen Schulen des Mittelalters bezeichnen kann. Dieser Säkularisierungsprozess verlief nicht ohne Spannungen, die nicht zuletzt durch das Verbot der Zinsnahme verstärkt wurden, ein Verbot, dem die Kaufleute mit Innovationen wie dem Wechsel zu begegnen suchten.
Historisch sind das Geld und die Null unabhängig voneinander erfunden, sie kommen im Prinzip auch jeweils alleine aus. Aber es war doch eine folgenreiche Begegnung von Geld und Null zu Anfang des 13. Jahrhunderts in Italien, welche das System der Geldkommunikation entscheidend verbessert hat. Weder mit dem Geld noch mit der Null bzw. mit dem Rechnen, verbinden sich historisch spektakuläre Ereignisse, sie verändern die Kultur gleichsam auf kleiner Flamme.

Erstaunlich lange

Es kommt auch weniger auf Produkte als auf Prozesse und Vollzüge an, deren Übergang in den kulturellen Bestand erstaunlich lange dauern kann. So hat es in Europa Jahrhunderte gebraucht, bis die Grundrechnungsarten tatsächlich volkstümlich geworden sind. Für eine Zivilisation, in der die Zahl allgegenwärtig ist, eine durchaus erstaunliche Tatsache.

1 Jacob und Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch, Band 31, München 1984, Sp. 44.
2 »The importance of a monetary system in the development of arithmetic (especially fractions) is difficult to exaggerate.« (John McLeish, Number, London: Bloomsbury 1991, S. 41f.)
3 Bernhard Siegert: Weiße Flecken und finstre Herzen. Von der symbolischen Weltordnung zur Weltentwurfsordnung, in: Daniel Gethmann, Susanne Hauser (Hg.): Kulturtechnik Entwerfen. Praktiken, Konzepte und Medien in Architektur und Design Science, Bielefeld: transcript 2009, S. 19-48, hier S. 20
4 Sybille Krämer, Horst Bredekamp: Kultur, Technik, Kulturtechnik, in: Sybille Krämer und Horst Bredekamp (Hg.): Bild, Schrift, Zahl, München: Fink 2003, S. 18.

Weblinks
Der Ursprung des Geldes:
www.oenb.at/de/ueber_die_oenb/geldmuseum/allg_geldgeschichte/ursprung/der_ursprung_des_geldes.jsp

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