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Geld hat Vorteile gebracht, wie die Entwicklung moderner Demokratien, aber auch große Nachteile wie die Entkoppelung von Wert und Wertschätzung.

Biographie des Geldes

Schwerpunkt

Geld hat Vorteile gebracht, wie die Entwicklung moderner Demokratien, aber auch große Nachtei-le wie die Entkoppelung von Wert und Wertschätzung.

Alles schon mal da gewesen: In seiner 1900 erschienenen Schrift »Die Philosophie des Geldes« definiert Georg Simmel Geld als das »reinste« Symbol moderner Gesellschaft. Es hätte den Menschen zahlreiche Vorteile gebracht, wie die Überwindung des Feudalismus und die Entwicklung moderner Demokratien. Es wäre aber auch verantwortlich für die Beschleunigung aller Lebensbezüge sowie für die Entkoppelung des Wertes eines Produkts von der Wertschätzung. Indem alles gegen alles getauscht werden kann, findet eine Nivellierung statt, die keinen qualitativen Unterschied mehr kennt. Der Sieg des Geldes ist einer der Quantität über die Qualität, des Mittels über den Zweck. Es höhlt die Eigenarten und Unvergleichbarkeiten rettungslos aus und wird zum Generalnenner aller Werte. Geld wird zum Selbstzweck, oder besser: zum Selbst-Wert-Zweck, indem es das Selbstwertgefühl des Menschen und seine Einstellungen zum Leben bestimmt.

Magie großer Zahlen

2008 meint der ehemalige Investmentbanker Karl Wengler in einem Interview im Rahmen der Studie »Die Biografie des Geldes«: »Geld ist etwas unglaublich Emotionales - es sind Wünsche, Vorstellungen, Träume. Und gleichzeitig ist Geld völlig abstrakt. Wenn du dir vorstellst, was eine Milliarde Schilling in Kaffees oder in Schnitzeln bedeutet, dann hörst du auf, weil das ist das Abstrakteste dieser Welt - die Magie der großen Zahlen.«

108 Jahre später

Karl Wengler arbeitet jahrelang bei einem der weltweit führenden Investmenthäuser mit Stammhaus in New York. Ein Handelsraum in der Größe dreier Fußballfelder, darin aufgefädelt 4000 Leute, die tagein tagaus nichts anderes tun als kaufen und verkaufen. »Sie bewegen Geld mit dem Ziel, Profit zu machen, weil sie unmittelbar an dem Gewinn beteiligt werden. Teilweise mit einem Bonus von zig Millionen Dollar.« Der Kapitalmarkt als großes Casino mit einer unglaublichen Macht: »Eigentlich war es ein Kriegsschauplatz, wo martialische Schemen ablaufen. In militärisch organisierten Gruppen, mit ehemaligen Marines als Konzernchefs.«
Alles straff, diszipliniert organisiert nach der Marine-Grundsatzdoktrine: Den Zusammenhalt des Feindes zerschlagen durch eine Vielfalt von rasanten, gebündelten und überraschenden Abläufen. Eine Verkaufsempfehlung absetzen, nur antesten, die Aktie abtrudeln lassen.
Wieder Wengler: »Geld ist so abstrakt. Es ist völlig losgelöst von unserer Realität, wenn man Realität definiert als Miete, Kaffee und so weiter. Es geht nur mehr um Größe, und Größe in dem Sinn ist Macht. Dieser abstrakte Irrsinn unserer Geldwirtschaft, dieses Spiel, dieses gelenkte Spiel: Was bedeutet das für den Durchschnittsarbeiter?« Gut 100 Jahre Finanzgeschichte, in denen die Entkoppelung des Werts eines Produkts von der Wertschätzung zum »abstrakten Irrsinn unserer Geldwirtschaft« (© Karl Wengler) mutiert. In jüngster Zeit unter Nutzung des Shareholder Value Konzepts als wichtigstem Vermittler zur Realwirtschaft: Mit der Doktrin der Konzentration auf bestehende und erwerbbare Kernkompetenzen bei gleichzeitig maximaler Nutzung von Kostensenkungs- und Ertragssteigerungspotenzialen. All das eingebettet in eine entsprechende Beziehungspflege zu den Investoren. Der Unternehmensberater Rudi Wimmer kritisiert, dass dabei die zweite und dritte Führungsebene immer mehr unter Druck kommt. Während die Vorstände - nicht zuletzt auch aus Stock-Option getriebenem Eigeninteresse - mit der Kapitalmarktpflege beschäftigt sind, liegt es nämlich an ihnen, den »abstrakten Irrsinn unserer Geldwirtschaft« realwirtschaftlich umzusetzen, insbesondere was die personalwirtschaftlichen Konsequenzen von Down-Sizing, Umgründungen, Mergers & Akquisitions und ähnlichem betrifft.

Boni der einen, Prekarität anderer

Während sich die wirtschaftlichen Konsequenzen der neuen Unternehmensführungskonzepte an einer Reihe von betriebswirtschaftlichen und Börsen-Kennzahlen ablesen lassen, gibt es für die gesellschaftspolitischen Auswirkungen vor allem Arbeitsmarktstatistiken. Damit hätte Österreich bis zum Ausbruch der Finanzkrise durchaus zufrieden sein können: Trotz Shareholder Value Kapitalismus war die Beschäftigung zwischen 2000 und 2008 in einem Zeitraum von zehn Jahren um acht Prozent gestiegen und die Arbeitslosenquote, nach einem Anstieg bis 2005 (5,5 Prozent), auf den relativ niedrigen Stand von 3,8 Prozent gefallen. Diese Werte verdecken allerdings, dass es in den letzten Jahren zu massiven Veränderungen in der Arbeitskräftezusammensetzung gekommen ist: Absolut gesehen wäre also vor allem die Zunahme der Teilzeitbeschäftigten und der geringfügig Beschäftigten für die guten Arbeitsmarktdaten verantwortlich. Die größte Dynamik ist allerdings bei neuen Freiberuflern (neuen Selbständigen) und bei ZeitarbeitnehmerInnen verzeichnet. Das dürfte doch in einem engen Zusammenhang mit den kapitalmarktgetriebenen neuen Managementkonzepten stehen: Die Boni der einen sind die Prekarität der anderen.

Entkoppelte Werte

Den Auswirkungen dieser Arbeitsmarktdynamik auf die Lebenswelt der Betroffenen wurde in einer qualitativen Studie (»Biographie des Geldes«, L&R Sozialforschung im Auftrag der AK Wien) nachgegangen. InterviewpartnerInnen waren VertreterInnen unterschiedlichster Beschäftigungsformen, aber auch Arbeitslose. Die zwei zentralen Ergebnisse: Die schleichende Zersetzung standardisierter Berufskarrieren basierend auf dem Normalarbeitsverhältnis führt dazu, dass das Verhältnis von Erwerbsarbeit und Nicht-Erwerbsarbeit, insbesondere Freizeit, neu gedacht werden muss. Einerseits sind immer mehr Menschen zu Karriere- und Einkommensabstrichen bereit, wenn sie sich dadurch dem kapitalistischen Geschwindigkeitsrausch entziehen können: Hobbys, Familie, Freunde - kurzum »das Leben« ist einfach zu wichtig, als dass man es dubiosen Unternehmenszielen opfern wollte. Andererseits spielt Freizeit gerade bei den an den Rand gedrängten, bei den Arbeitslosen und prekär Beschäftigten, eine immense Rolle. Sie müssen soziale Netze knüpfen und pflegen, sich untereinander austauschen, damit soziales Kapital aufbauen, um im Spiel um Lebenschancen nicht völlig unterzugehen.
Das zentrale Ergebnis der Untersuchung war allerdings das empfundene oder vermutete zunehmende Auseinanderklaffen von Arm und Reich. Nicht nur sozial Benachteiligte glauben, dass die Unterschiede in der Gesellschaft zunehmen werden, auch beruflich Etablierte sehen diese Tendenz. Mit einem entsprechenden Appell an die Politik, die dafür zu sorgen hat, dass alle Menschen halbwegs auskommen. Eine Interviewpartnerin im O-Ton: »Die paar, die nix tun wollen, finanziere ich gerne mit, wenn andere Personen dann nicht in dieser Armutsschiene drinnen sind.« Ein anderer Interviewpartner steigt genervt aus seinem hoch dotierten Job in Dubai aus: »Die Malls, es geht nur um Business, es geht nur um ›wer hat was‹, es geht nur um Statussymbole, um Geld und Macht. Irgendwann hab ich das als sehr hohl und leer empfunden. Du merkst, in welcher Welt du lebst, und unmittelbar daneben siehst du, in welcher Welt andere Menschen leben. Und irgendwann widert es dich dann an.«
Vor über 100 Jahren beklagt der Kulturphilosoph Georg Simmel, dass durch die moderne Geldzirkulation der Wert eines Produkts von der Wertschätzung entkoppelt wird. 100 Jahre später und nach dem jüngsten »abstrakten Irrsinn unserer Geldwirtschaft« meint ein kleiner teilzeitbeschäftigter Altenpfleger in einem unserer Interviews: »Es gibt keine Solidarität. Man will einfach nicht wahrhaben, dass es Ereignisse oder Schicksale geben kann, die einen aus der Bahn werfen können. Der Wert des Menschen wird immer mehr über materielle Dinge gemessen. Und es gibt wahrscheinlich nichts schlimmeres, als wenn ein Mensch keine Möglichkeit hat, durch seine eigene Kraft zu existieren …«

Leben in Würde

Da ist sie wieder: Die alte Forderung nach Rahmenbedingungen, die ein Leben in Würde möglich machen. Eine aktiv gestaltende Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik ist wieder gefragt.

Weblinks
Studie »Biographie des Geldes«:
www.lrsocialresearch.at/content.php?pg=archiv&aid=485&lng=de

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