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WIFO-Experte Stephan Schulmeister über den Stand der Krise, Hirten und
WIFO-Experte Stephan Schulmeister über den Stand der Krise, Hirten und Im zweiten Akt wird sich die Krise durch den Anstieg der Arbeitslosigkeit verschärfen, wenn es nicht gelingt, diesen mit nahezu allen Mitteln einzudämmen. Denn jener Stoff aus dem sich die Krise am besten nährt, ist die Ausbreitung von Arbeitslosigkeit.

Am Beginn des 2. Aktes

Interview

WIFO-Experte Stephan Schulmeister über den Stand der Krise, Hirten und Schafe sowie seine Ansichten zum Thema Kurzarbeit.

Zur Person
Mag. Dr. Stephan Schulmeister
Geboren: 26. August 1947
1965-1970 Rechtswissenschaften Dr. jur., Universität Wien
1968-1972 Ökonomie Mag. Rer.soc oec., Universität Wien M.A.
1972-74 Ökonomie, Gasthörer, Institut für Höhere Studien Wien
1975-76 Bologna Center, John Hopkins University
1983 Gastprofessor, Forschung über Wechselkursdynamik, New York University
1987 bis 1988, Visiting Scholar, Forschung über die Anwendung der technischen Analyse auf den Devisen- und Aktienmärkten, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung
1998, 2005 Visiting Scholar, Forschung über Handelssysteme auf Finanzmärkten, University of New Hampshire, Whittemore School of Business and Administration
Seit 1972 ist Dr. Stephan Schulmeister als Wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) Experte für mittelfristige Prognose, längerfristige Wirtschaftsentwicklung, Finanzmärkte und Internationalen Handel.

Die »Arbeit&Wirtschaft« traf ihn zum Gespräch im Cafe Sperl.

Arbeit&Wirtschaft: Herr Mag. Dr. Stephan Schulmeister - als Wirtschaftswissenschafter müssten Sie es ja am besten wissen: Wo ist das Geld?

Stephan Schulmeister: Es ist weg. Der größte Teil der Vermögensverluste besteht in Bewertungsverlusten. So ist z. B. Wert des Kapitals in betrieblichen Pensionskassen gesunken, weil die Aktienkurse so stark eingebrochen und ein Teil in Aktien angelegt wurde. Die aktuelle Krise unterscheidet sich von allen anderen seit dem Zweiten Weltkrieg dadurch, dass drei Vermögen massiv entwertet werden, Aktien, Immobilien und Rohstoffe - und das gleichzeitig. Das letzte Mal, dass dies passiert ist, war zwischen 1929 und 1933.
Wenn drei Vermögensarten in so gigantischem Ausmaß an Wert verlieren, verschärft das die Wirtschaftskrise enorm.
Die US-Haushalte müssen sparen- das bedeutet eine Art Schubumkehr nach 20 Jahren Wirtschaftswachstum durch privaten Konsum. Das ist ein ungeheurer Bremsfaktor. Die US-Amerikaner haben ja sehr viel Geld in Pensionsfonds und College-Funds angelegt. Man muss bedenken, dass dort die Hochschulausbildung für zwei Kinder im Jahr etwa 60.000 bis 80.000 Dollar kostet.
Ein anderer Kanal über den die Vermögensentwertung die Realwirtschaft in Mitleidenschaft zieht, ist der Verfall der Rohstoffpreise. Die Rohstoffproduzenten müssen die Importnachfragen einschränken. Durch den Rückgang der Hauspreise dann am Immobilienmarkt haben in den USA Millionen Menschen ihr Eigenheim verloren und mussten in der Folge ihre Konsumnachfrage drastisch reduzieren.

A&W: Und wurden arbeitslos - dabei hatte man uns doch allen geraten: Lassen Sie Ihr Geld für sich arbeiten…

Stephan Schulmeister: Geld arbeitet eben nicht. Oder genauer gesagt: Wenn Geld über Kreditvergabe der Finanzwirtschaft realwirtschaftliche Aktivitäten finanziert, kann Geld arbeiten. Letztendlich arbeiten aber doch wieder die Menschen mit ihrer Ausbildung und den Maschinen, die mit dem Geld finanziert wurden.
Die Essenz des Neoliberalismus, jenes Wirtschaftssystems, das sich in den letzten 30 Jahren herausgebildet hat, besteht darin, Geld durch Tausch gegen andere Arten von Geld zu vermehren. Hier gilt das »Schulmeister’sche Fundamentalgesetz« »Aus nix wird nix«. (schmunzelt)
Im Klartext: Im Finanzkapitalismus werden keine realen Werte - und damit auch keine Arbeitsplätze - geschaffen, sondern Einkommen und Vermögen umverteilt, und zwar in der Regel von den Amateuren zu den professionellen Investoren.
Die wichtigste Spielart dieser Umverteilung besteht in der »Inszenierung« von Booms, auf die die Profis früher setzen als die Amateure - und zu letzteren zähle ich auch diverse Pensionskassen.
Da jedem Boom zwingend ein Absturz folgt sind jene die »Blöden«, die erst in der Spätphase eines Booms eingestiegen sind.
So gesehen ist die aktuelle Wirtschaftskrise nichts anderes als die notwendige Folge der Booms von Aktien, Immobilien und Rohstoffpreisen zwischen den Jahren 2002 und 2007.
Ich formuliere es so: Im Boom wurde das Absturzpotential aufgebaut, doch hat dies in der euphorischen Stimmung der Boomphase kaum jemand gesehen.

A&W: Sie sagten aufgebaut - steuert das jemand?

Stephan Schulmeister: Das ist weder ein Zufall noch gesteuert im Sinne einer Verschwörungstheorie, wie sie im Krisenfall gerne kursieren.
Die Finanzmarktkrise ist insofern kein Zufall, als dass gerade die Finanzmärkte durch einen Herdentrieb mitgeprägt werden. Man kann das mit Hirten und Schafen vergleichen. In der Phase in der die Herde in zunehmenden Maße in eine Richtung läuft - hungrig auf die Weide - spielt gezielte Informationspolitik von den Hirten, den Profis sehr wohl eine Rolle.
Und die wurde betrieben: So wurde etwa die Verfünffachung des Ölpreises mit einer Unzahl »wissenschaftlicher« Argumente legitimiert.

A&W: Das Öl wird knapp und steigt damit konstant im Preis…

Stephan Schulmeister: Natürlich ging es sehr darum, den Boom am Leben zu erhalten, indem Amateure zum Ankauf motiviert wurden. Die Schafe wurden geschoren. Es ist eine alte Weisheit der Profis: »Wenn die Amateure einsteigen, steigen wir aus. Das signalisiert, dass die Blase bald platzt.«

A&W: Und das ist dann ja auch passiert…

Stephan Schulmeister: Vor genau einem Jahr, im Juli 2008, kippt die Entwicklung mit einem geradezu unfassbaren Verfall: dem Verfall von Ölpreisen, von allen anderen Rohstoffpreisen, von Aktienkursen. Der Preisverfall von Immobilien beschleunigt sich. Dieser Prozess entwertet nun Vermögenswerte, die unter anderem auch von Banken gehalten wurden.

A&W: Und damit hat die Krise auf die Realwirtschaft übergegriffen?

Stephan Schulmeister: Die Krise war ja zunächst eine Krise der Vermögensbewertung. Mit Schritt Eins, dem Verfall der Vermögenswerte, hat sie all jene beeinträchtigt, die solche Vermögen besaßen. Darunter sind die Banken jene, die die größte Gefahr für das System insgesamt darstellen, weil das Eigenkapital der Banken durch den Vermögensverfall in enormem Tempo verzehrt wird. Hätte man nichts unternommen, so wäre durch einen Dominoeffekt das weltweite Bankensystem zusammengebrochen. Aus diesem Grund ist man dann im Oktober 2008 eingeschritten. Zuerst hat man ja noch versucht, eine Bank »symbolisch« eingehen zu lassen.

A&W: Das waren die Lehmann Brothers?

Stephan Schulmeister: Ja - heute wissen wir, dass das ein Riesenfehler war, aber man muss die Amerikaner ein bisschen verteidigen. Sie haben Lehmann Brothers unter anderem auf Grund der Kritik aus Europa pleite gehen lassen.

A&W: Wie lautete die Kritik aus Europa?

Stephan Schulmeister: In Europa hat man gesagt: Ihr Amerikaner predigt Wasser und trinkt Wein. Ihr predigt neoliberale Grundsätze, nach dem Motto: »Der Markt regelt alles am besten.« Kaum gibt’s Schwierigkeiten seid ihr die ärgsten Staatsinterventionisten. Ihr verstaatlicht die großen Hypothekenbanken - Fanny Mae und Freddie Mac. Ihr Kurz und gut: Ihr haltet euch nicht an die Spielregeln. Und daraufhin hat man kurzerhand Lehman Brothers in den Konkurs geschickt mit verheerenden Folgen für die Weltwirtschaft.

A&W: Das Geld war weg.

Stephan Schulmeister: Durch die diversen Bankenrettungspakete konnte zwar ein globaler Finanzkollaps verhindert werden, nicht aber das Übergreifen der Krise auf die Realwirtschaft. Und schon wieder werden jetzt, wo die Arbeitslosigkeit massiv steigt, gerade in Europa zunehmend Bedenken gegen eine Strategie der massiven Krisenbekämpfung geäußert. Diese Reaktion ist Ausdruck des neoliberalen Smogs der sich über 20 Jahre in den Köpfen der Eliten festgesetzt hat. Aus der Losung »Lassen wir unser Geld arbeiten« wurde in der Krise: »Lassen wir uns unser Geld retten.« Dafür war der Staat gut genug. Wenn es aber darum geht, Arbeitsplätze zu retten, tauchen wieder dieselben Bedenkenträger auf und sprechen von Staatsinterventionismus.

A&W: Was kann ein kleines Land wie Österreich tun?

Stephan Schulmeister: Am wichtigsten erschiene mir eine noch stärkere Förderung der Kurzarbeit. Ausgangspunkt ist folgende Beobachtung: In Deutschland ist die Wirtschaft merklich stärker geschrumpft als in Österreich. Dennoch ist die Zahl der Arbeitslosen bisher nur um etwa fünf Prozent gestiegen - in Österreich aber um etwa 30 Prozent. Hauptgrund dafür ist die Tatsache, dass in Deutschland Kurzarbeit stärker in Anspruch genommen wird als in Österreich. Dafür ist wiederum bestimmend, dass Kurzarbeit für UnternehmerInnen in Deutschland billiger ist als in Österreich. Vereinfacht ausgedrückt: In Deutschland zahlt ein Unternehmer nur jene Arbeitsstunden, die er in Anspruch nimmt, die gearbeitet werden. Bei uns sehen kollektivvertragliche Regelungen vor, dass unabhängig vom Ausmaß der Kurzarbeit bis zu 90 Prozent des Nettolohnes zu zahlen sind. Das Kurzarbeitsgeld, das der Unternehmer von AMS bekommt, kann diese Belastung umso weniger ausgleichen, je stärker die Arbeitszeit reduziert wird.

A&W: Das werden aber die Gewerkschaften nicht gerne hören…

Stephan Schulmeister (schmunzelt): Ich weiß, das klingt absurd. Ich vertrete - zum Teil unbedankt (lacht)- eine Position der Industriellenvereinigung. Die Gewerkschaften haben ein sehr gutes Verhandlungsergebnis erzielt mit teilweise 90 Prozent. Aber meiner Ansicht nach ist das ein Schuss ins Knie. Ein Unternehmer sagt sich halt: »Was 90 Prozent soll ich zahlen - dann hau ich sie raus.« Da kann man dann zwar moralisch argumentieren - »ihr habt uns eure fetten Umsätze zu verdanken« - aber das ist der Kapitalismus.
Hier bedürfte es daher einer weiteren sozialpartnerschaftlichen Kraftanstrengung mit dem Generalziel: Die krisenbedingte Reduktion des Arbeitsvolumens durch Kurzarbeit soll für den Unternehmer nicht teurer sein als Kündigungen. Dies erfordert eine einheitliche Lösung für alle Branchen.
Ein solches Kurzarbeitsmodell wäre keinesfalls nur eine Notlösung, sondern stellt auch langfristig eine grundlegende Reform dar. Es stärkt die Solidarität unter den ArbeitnehmerInnen, denn es geht nicht an, dass die Menschen in der Krise in Arbeitsplatzbesitzer und -verlierer aufgespalten werden. Es fördert gemeinsame Interessen von ArbeitnehmerInnen und ArbeitgeberInnen - denn auch für Unternehmen ist eine Reduktion des Arbeitsvolumens bei gleicher (Stamm)Belegschaft günstiger als Kündigungen. Und es eröffnet einen Weg, auch langfristig den Produktivitätszuwachs - je nach Branche - zumindest teilweise in mehr Freizeit »auszuzahlen.«

A&W: Wie geht es weiter?

Stephan Schulmeister: Aus meiner Sicht stehen wir am Beginn des 2. Aktes der großen Krise. Sie wird also noch zumindest zwei bis drei Jahre dauern. Unsicher bin ich nur darüber, ob es ein Drama in drei oder fünf Akten wird.
Im zweiten Akt wird sich die Krise durch den Anstieg der Arbeitslosigkeit verschärfen, wenn es nicht gelingt, diesen mit nahezu allen Mitteln einzudämmen. Denn jener Stoff aus dem sich die Krise am besten nährt, ist die Ausbreitung von Arbeitslosigkeit.
Hier hätte Europa bessere Möglichkeiten als etwa die USA, wo der massive Anstieg der Arbeitslosigkeit die expansiven Effekte des riesigen Konjunkturprogramms markant schwächt.
Wenn sich die Wirtschaft in den USA nicht nachhaltig erholt, dann wird den USA nichts anders übrig bleiben, als ihre Wirtschaft durch Schwächung des Dollarkurses zu stützen. Die exportabhängigen EU-Länder wurden dadurch zusätzlich in Mitleidenschaft gezogen.

A&W: Kann man mit Steuern gegensteuern?

Stephan Schulmeister: Mit Steuern steuern hilft jetzt wohl eher nicht. Allerdings müsste man jetzt eine grundlegende Reform des Steuersystems planen, deren Ziel es ist, auch durch das Steuersystem realwirtschaftliche Aktivitäten zu fördern und Finanzspekulation, aber auch die Belastung der Umwelt, teurer zu machen.
In politökonomischer Sicht hat die Stärkung der gemeinsamen Interessen von Arbeit und Realkapital für mich oberste Priorität. Ein wesentlicher Faktor, der in die große Krise führte, besteht nämlich darin, dass die Unternehmer(-vertreterInnen) den Neoliberalismus als ihre Ideologie »adoptierten« während er tatsächlich die Ideologie des Finanzkapitals ist.

Wir danken für das Gespräch.

Katharina Klee für Arbeit&Wirtschaft

Weblinks
Homepage:
http://stephan.schulmeister.wifo.ac.at
Stephan Schulmeisters Studie »Die neue Weltwirtschaftskrise - Ursachen, Folgen, Gegenstrategien« aus den Materialien zu Wirtschaft und Gesellschaft ; AK Wien:
www.wien.arbeiterkammer.at/online/page.php?P=68&IP=48626

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