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Aus AK und Gewerkschaften

Teil 4: Die Kündigungsanfechtung wegen Sozialwidrigkeit bzw. bei Betriebsübergang sowie »Änderungs- und Austauschkündigungen«.

Nach dem in A&W 5/2009 dargestellten »Vorverfahren« (Verständigung des Betriebsrats sowie Beratung) besteht die Möglichkeit zur Einbringung einer Anfechtungsklage. Dabei sind Gründe gegen oder aber für die Kündigung gerichtlich abzuwägen.

Sozialwidrigkeitsgründe, die »wesentliche Interessen des Arbeitnehmers, der Arbeitnehmerin (AN) beeinträchtigen«, liegen vor allem in folgenden Fällen vor:

  • höheres Lebensalter (ab 45 bzw. 50) in Verbindung mit »vieljähriger ununterbrochener Beschäftigungszeit im Betrieb« (chancenreicher Anfechtungsgrund);
  • höheres Lebensalter ohne längere Beschäftigung, aber aufgrund evident schlechterer Arbeitsmarktchancen;
  • Gesundheitszustand (kann aber bei häufigen oder langen Krankenständen auch ein Nachteil im Sinne einer »betrieblichen Kündigungsnotwendigkeit« sein ...);
  • Einkommensverlust von mehr als ca. zehn Prozent (bei Niedrigeinkommen) oder mehr als 15 Prozent (bei überdurchschnittlichen Einkommen) ist zu erwarten;
  • Arbeitsmarktchancen allgemein (altersunabhängig), etwa bei »seltenen« Berufen (hier gutachten »berufskundige Sachverständige« über die zu erwartende Dauer der Wiedererlangung eines Arbeitsplatzes);
  • Höhe des zu erwartenden Arbeitslosengeldes (existenzsichernd?);
  • Minderung der künftigen Pension;
  • Vermögensstand (je weniger »Reserven«, umso eher sind Betroffene durch Kündigung »wesentlich sozial beeinträchtigt«);
  • Unterhaltspflichten (egal, ob im gemeinsamen Haushalt oder nicht);
  • Ausgaben und Kredite, die »sozial vertretbar« sind, also für Wohnraum, Weiterbildung, Gesundheitsausgaben etc.

Gründe gegen Weiterbeschäftigung

Als »Betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des AN entgegenstehen« oder »Umstände, die in der Person des AN gelegen sind« wertet die Justiz v. a.:

  • allgemeine wirtschaftliche Schwierigkeiten im Betrieb (dringender Sanierungs- oder Reorganisationsbedarf, v. a. wenn die Eigenkapitalquote unter acht Prozent sinkt und die fiktive Verschuldungsdauer auf über 15 Jahre steigt oder nachgewiesen werden kann, dass das Unternehmen in diese Richtung tendiert - vgl. § 22 URG);
  • Wegfall des Tätigkeitsbereichs des betroffenen AN aus wirtschaftlichen oder organisatorischen Gründen (Rationalisierungen muss der AG nicht begründen!);
  • die Weiterbeschäftigung des konkreten AN erscheint objektiv als erheblich nachteilig, weil der seine Pflichten verletzt, den Betriebsfrieden stört, trotz Ermahnungen unterdurchschnittliche Leistungen erbringt oder häufig Kundenbeschwerden bestehen;
  • häufige Krankenstände sind nur dann »personenbedingter« Kündigungsgrund, wenn Unmut in der Belegschaft entsteht;
  • unkollegiales oder streitsüchtiges Verhalten;
  • Verhaltensweisen, die »gerade noch kein Entlassungsgrund« sind (geringe Vertrauensunwürdigkeit, leichte Rufschädigung des AG, fallweise Arbeitsverweigerungen und Weisungswidrigkeiten etc.) oder gar ein Entlassungsgrund wären.

Der Betriebsrat sollte möglichst schon während des fünftägigen Vorverfahrens eine »Prozesschancen«-Liste mit allen Für und Wider einer Anfechtung anlegen und dann unter Beiziehung von ExpertInnen die Frage der Anfechtung erörtern.

Möglichkeit eines Sozialvergleichs

Ältere und bereits länger beschäftigte ArbeitnehmerInnen haben Anspruch auf Schonung (Fürsorgepflicht des AG). Ganz allgemein trifft den AG bei der Auswahl der zu kündigenden Personen eine »Soziale Auswahl- und Gestaltungspflicht«.

Nur wenn der Betriebsrat im Vorverfahren ausdrücklich der beabsichtigten Kündigung widersprochen hat, kann im Rahmen des Anfechtungsverfahrens ein »Sozialvergleich« vorgenommen werden. »Sozialvergleich« bedeutet, dass vom Gericht überprüft werden muss, ob nicht anstelle des Gekündigten ein anderer Arbeitnehmer hätte gekündigt werden können, den eine Kündigung sozial nicht so hart getroffen hätte. Praktisch ist dieses Verfahren nur dann üblich, wenn andere ArbeitnehmerInnen selbst daran interessiert sind das Arbeitsverhältnis zu beenden, oder von einzelnen ArbeitnehmerInnen angenommen werden kann, dass sie nicht gekündigt werden. Sonst müsste ja der Betriebsrat jemanden quasi zur Kündigung vorschlagen.

Aufgrund der Unsicherheit des Verfahrensausgangs - vergleiche die Faktoren, die gegeneinander abzuwägen sind - kann der Betriebsrat versuchen, faire und ausgleichende Verhandlungslösungen, nicht zuletzt in Form eines Sozialplans für alle Betroffenen, zu finden.

Wird das Anfechtungsverfahren gewonnen, bewirkt das Urteil die rückwirkende Aufhebung der Kündigung. Das Arbeitsverhältnis ist dann für die Dauer des Verfahrens aufrecht gewesen. Der Arbeitgeber muss den ausständigen Lohn nachzahlen. Dabei wird eingerechnet, was der Arbeitnehmer zwischenzeitig verdient oder zu verdienen absichtlich unterlassen hat.

Konsequenterweise gilt bei Entlassungen, die ohne hinreichenden Entlassungsgrund und daher vermutlich nur zur Umgehung der Kündigungsanfechtung ausgesprochen wurden, dasselbe wie bei Kündigungen: Es ist zu erörtern, ob ein Entlassungsgrund vorliegt und bei Nichtvorliegen stehen die gleichen Anfechtungsmöglichkeiten (für den BR und subsidiär für die betroffenen AN) wie oben zur Verfügung (§ 107 ArbVG).

Austauschkündigungen

Bleibt der Arbeitsplatz (der Tätigkeitsumfang) grundsätzlich erhalten, ist gleichwohl die Möglichkeit der Sozialwidrigkeits-Anfechtung nach § 105 Abs. 3 Zif. 2 von besonderer Bedeutung: Die Judikatur lässt Austauschkündigungen bei nachfolgender Einstellung anderer (billigerer) ArbeitnehmerInnen grundsätzlich nicht zu! Es liegen keine betrieblichen Erfordernisse oder personenbedingten Kündigungsgründe vor, wenn sich herausstellt, dass kurz nach der Kündigung jemand anderer für dieselbe Tätigkeit aufgenommen wird oder werden muss. Davon besteht nur eine Ausnahme: Sollte ein mit Wiedereinstellungszusage gekündigter AN an seinen Arbeitsplatz zurückkehren wollen, kann die Kündigung eines konkreten AN (auch wenn dieser an einem anderen Arbeitsplatz beschäftigt ist) notwendig sein.

Keinesfalls dürfen StammarbeitnehmerInnen in ihren Arbeitsbedingungen verschlechtert oder gekündigt (bzw. zur »Einvernehmlichen« gedrängt) werden, solange das Unternehmen Leih-ArbeitnehmerInnen beschäftigt. Derartige Beendigungen wären wohl nichtig (§ 2 Abs. 3 AÜG). Eine erzwingbare Betriebsvereinbarung über die Zeitarbeiterinnen-Beschäftigung kann dem vorbeugen.

Änderungskündigungen

Änderungskündigungen können auflösend oder aufschiebend bedingt formuliert werden. Z. B.: »Wir kündigen Sie hiermit, es sei denn, Sie erklären bis zum ... auf 15 Prozent Ihres Bezugs zu verzichten« (= auflösende Bedingung, d. h. durch Annahme des »Angebots« wendet der AN die Kündigung ab) oder aufschiebend: »Falls Sie nicht bis ... auf 15 Prozent Ihres Bezugs verzichten, werden wir Sie kündigen«. Selbstverständlich können derartige »Angebote« nur an überkollektivvertraglich entlohnte AN gerichtet werden.

Gerne wird von Arbeitgeberseite eine 10- oder 15-Prozent-Reduktion angestrebt, weil die Judikatur derartige Entgeltminderungen im Allgemeinen (Ausnahme: besonders niedrig entlohnte AN, ältere AN mit stark eingeschränkten Arbeitsmarktchancen) als gerade noch nicht »wesentlich interessen-beeinträchtigend« erachtet. Die Abwehrmöglichkeiten für den BR durch Androhung einer Sozialwidrigkeitsanfechtung sind eingeschränkt, die Abwehr sollte aber dennoch versucht werden!

Vor bzw. nach Betriebs(teil)übergang

Für auf gravierendere Reduktionen abzielende »Angebote« des AG punkto Entgelt oder Arbeitsbedingungen bzw. Tätigkeit (hier kommt die Versetzungsmitwirkung zusätzlich zum Einsatz) sowie wiederkehrende »scheibchenweise« Entgeltreduktionen oder »Job-Enrichments« gilt: Das Ansinnen des AG wird zurückgewiesen, und man lässt es auf eine Kündigungsanfechtung ankommen. Kündigungen bzw. Entlassungen ohne hinreichenden Entlassungsgrund sind rechtsunwirksam (d. h. sie müssen nicht angefochten werden, sondern durch Feststellungsklage als null und nichtig feststellbar), wenn der bevorstehende oder vollzogene Betriebs(teil)übergang der »tragende Grund« dafür ist. Liegen hingegen wirtschaftliche, technisch-organisatorische oder in der Person des AN gelegene (verhaltensbedingte) Gründe objektiv vor (beweispflichtig ist der AG), dann kann gekündigt werden. Nach der Rechtsprechung hat man sich den Übergang wegzudenken und zu fragen, ob auch ohne Betriebsinhaberwechsel die Kündigung »objektiv« gerechtfertigt wäre. Die Judikatur definiert dabei keine Zeiträume, weil es eben auf die verpönte Kündigungsmotivation ankommt. Je länger allerdings der Zeitpunkt des Betriebs(teil)übergangs zurückliegt, umso schwächer wird die Vermutung der »Übergangs-Bedingtheit«, und umso eher wird der Arbeitgeber wirtschaftlich-organisatorische Gründe angeben können.

Parallel zur Feststellungsklage gemäß § 879 Abs. 1 ABGB in Verbindung mit § 3 Abs. 1 AVRAG (der Erwerber tritt automatisch »ex lege« in alle Arbeitsverhältnisse ein) sollte man »in eventu« auf Sozialwidrigkeit der Kündigung klagen, um sich doppelt abzusichern.

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