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Ein anderes Europa Es häufen sich die Warnungen, dass beim konventionellen Öl der Höhepunkt der weltweiten Ölförderung (also der Zeitpunkt, ab dem die Produktion zurückgeht) in einigen Jahren erreicht sein wird.

Ein anderes Europa

Schwerpunkt

Die Bewältigung der globalen Wirtschaftskrise ist eine der größten Herausforderungen in der Geschichte der Europäischen Union.

Wir kennen noch nicht alle Facetten der aktuellen Wirtschaftskrise, aber wir können eines mit Sicherheit sagen: Diese Krise hat historische Ausmaße, ist global und wirft vieles über Bord. Zum Beispiel: Die jahrzehntelange Dominanz des Neoliberalismus - das heißt die Dominanz des Marktes über den Staat. Den Dreiklang von Deregulierung, Liberalisierung und Privatisierung. Den Glauben an die Effizienz »offener Märkte mit freiem Wettbewerb«, wie es auch im EU-Vertrag heißt. Am meisten ist dieses Paradigma auf den Finanzmärkten umgesetzt worden. Und dort erleben wir heute dessen fundamentales Scheitern mit gravierenden Auswirkungen auf die Realwirtschaft und damit auf uns alle.

Schadensbilanz: 4,1 Billionen Dollar
Noch immer kennen wir nicht das wahre Ausmaß der Krise. Erst vor einigen Wochen hat der IWF eine neue Schadensbilanz vorgelegt, die von doppelt so hohen Verlusten durch Ramschpapiere und faule Kredite als bisher prognostiziert ausgeht. Derzeit liegt die Gesamtsumme bei unglaublichen 4,1 Billionen Dollar.
Viele befürchten, dass der Neoliberalismus trotz des Zusammenbruchs der Finanzmärkte nur einen schweren Dämpfer erhalten hat. Sie befürchten, dass die neoliberale Politik der Umverteilung zum Finanzsektor auch in der Finanzkrise fortgesetzt wird. Die riesigen Bankenrettungspakete, mit denen die finanziellen Risiken aus den Bankbilanzen auf die öffentlichen Haushalte verlagert werden, kann man auch als einen weiteren Triumph des Neoliberalismus im Sinne der Sozialisierung der Verluste werten. Aber es wird an uns liegen, dafür zu sorgen, dass diese notwendigen Maßnahmen der letzte Triumph des Neoliberalismus bleiben! Wir müssen diese Ideologie überwinden.
Europa muss und kann dabei eine Alternative sein, aber dazu braucht es ein anderes Europa. Dazu fünf Thesen:

1. Die Europäische Union ist unverzichtbar, denn die drei wesentlichen Motive ihrer Gründung bestehen fort: Sicherung des Friedens - Kompensation der im Zeitalter grenzüberschreitender Herausforderungen ungenügenden Gestaltungsfähigkeit der Einzelstaaten - gemeinsame und damit wirksamere Interessenvertretung nach außen.

2. Das wichtigste ist jetzt, die Überwindung der Finanz- und Wirtschaftskrise.
Der Wirtschaftsabschwung hat noch immer nicht die Talsohle erreicht. Die jüngsten Prognosen sind dramatisch. Die rasant steigenden Arbeitslosenzahlen sind beängstigend.
Europa muss sich noch vehementer gegen diese Entwicklung stemmen. Nach Ansicht des Europäischen Rates vom März 2009 summieren sich die bisher ergriffenen fiskalpolitischen Maßnahmen 2009 und 2010 auf 3,3 Prozent des BIP der EU. Das stimmt aber nur, wenn die automatischen Stabilisatoren einberechnet werden, weil z. B. mehr Menschen Arbeitslosengeld beziehen. Sie sind aber kein Ersatz für echte Konjunkturmaßnahmen. Diese belaufen sich 2009 auf nur ein Prozent des EU-BIP. Notwendig ist ein Nettoimpuls von mindestens zwei Prozent des BIP pro Jahr, wie Anfang Februar von prominenten Makroökonomen vorgeschlagen wurde. Paul Krugman fordert sogar staatliche Ausgaben in Höhe von vier Prozent des BIP pro Jahr.
Wir müssen die Prioritäten neu gewichten: Wenn es uns nicht gelingt, die Konjunktur über die Nachfrageseite zu stärken - und dazu gehört auch die Sozialschutzsysteme abzusichern -, dann werden die Folgen der Finanzkrise noch dramatischere Dimensionen annehmen.

3. Europa muss die Krise nützen, um eine Wende hin zu einem ressourcen- und energieeffizienteren Wirtschafts- und Konsummodell zu schaffen.
Die internationale Energieagentur warnt bereits vor einer neuen Krise, deren Ausmaß die gegenwärtige übertreffen könnte, weil weltweit die Ölförderkapazitäten sinken. Die Konzerne investieren aufgrund des niedrigen Ölpreises zu wenig in neue Förderprojekte, gleichzeitig gehen wegen der Wirtschaftskrise die Investitionen in erneuerbare Energien zurück. Das wird sich bitter rächen, wenn die Rezession überwunden ist und der Ölpreis wieder in die Höhe geht. Zudem häufen sich die Warnungen, dass beim konventionellen Öl der Höhepunkt der weltweiten Ölförderung (also der Zeitpunkt, ab dem die Produktion zurückgeht) in einigen Jahren erreicht sein wird
Was wir dringend brauchen ist eine Art ökologischer Keynesianismus bzw. einen »Green New Deal«, das heißt eine europaweit koordinierte öffentliche Investitionsoffensive zur Ökologisierung der Wirtschaft und Bewältigung des Klimawandels. Wir brauchen eine massive Ausweitung der öffentlichen Investitionen in erneuerbare Energien, Klimaschutz (Fernwärmeausbau, Wärmedämmung, Attraktivierung des öffentlichen Verkehrs, Infrastruktur/Schiene, Elektromobilität etc.) und darauf ausgerichtete Forschung und Entwicklung (Öko-Innovationen). Das schafft Arbeitsplätze und hilft uns gleichzeitig, die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern abzubauen.

4. Die Krise ist eine einmalige Chance, Europa vom neoliberalen Ballast zu befreien.
Die europäische Integration ist stark von neoliberalen Elementen geprägt. Sie finden sich in den rechtlichen Grundlagen und in der konkreten Politikgestaltung durch einzelne Institutionen der Union. Das muss sich ändern. Die gegenwärtige Krise gibt uns die Chance, die in den EU-Verträgen enthaltene wirtschaftsliberale Ideologie und die Auswucherungen des gemeinsamen Marktes und der Binnenmarktfreiheiten zurückzudrängen.

5. Die Europäische Union hat nur als Sozialunion eine Zukunft.
Wir müssen die aktuelle Krise nützen, um endlich einen europäischen Rahmen für eine Sozialunion zu schaffen. Im Kern geht es um Folgendes:

  • Eine neue Wirtschaftspolitik, die die einseitige Ausrichtung der Geld- und Fiskalpolitik auf Inflationsbekämpfung und Haushaltsdisziplin überwindet und Wachstum, Vollbeschäftigung und Preisstabilität als gleichrangige Ziele verfolgt. Es geht dabei um eine dauerhafte Stärkung der Binnennachfrage.
  • Eine solidarische Tarifpolitik, die die jeweiligen nationalen Verteilungsspielräume ausschöpft und damit Lohndumping vermeidet. Zusätzlich sollte es in den EU-Mitgliedsstaaten existenzsichernde Mindestlöhne geben.
  • Eine EU-Steuerpolitik, die mit einheitlichen Bemessungsgrundlagen und einheitlichen Steuersätzen Unterbietungswettbewerbe beendet.
  • Schutz der öffentlichen Dienstleistungen, die immer wieder als ein Kernelement des europäischen Sozialmodells bezeichnet werden, aber einem Liberalisierungsdruck unterliegen.
  • Ein »Protokoll für den sozialen Fortschritt«, das festschreibt, dass die Grundfreiheiten des Binnenmarkts nicht über den sozialen Grundrechten stehen und auch den EuGH in die Schranken weist.
  • Ein soziales Aktionsprogramm mit dem Ziel der Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen und wirksame Maßnahmen gegen Sozialdumping.

Würde uns hier der Vertrag von Lissabon helfen? Zumindest würde er das soziale Profil der EU stärken: Vollbeschäftigung, sozialer Fortschritt, soziale Gerechtigkeit, soziale Marktwirtschaft, Gleichstellung von Frauen und Männern - all das findet sich im Zielekatalog des Vertrags. Aber ebenso die neoliberale wirtschaftspolitische Grundausrichtung der EU, die wir seit Jahren kritisieren. Hier bringt der Vertrag keine Änderung, und aus diesem Grund wird er auch von vielen abgelehnt.
Wir haben daher vorgeschlagen, den Vertrag von Lissabon mit einer politischen Absichtserklärung der Staats- und Regierungschefs zu verknüpfen, in der Maßnahmen zur Stärkung der sozialen Dimension Europas festgeschrieben werden, ohne dass das Primärrecht erneut geändert werden müsste.

Am 7. Juni ein Zeichen setzen
Es ist an den EU-BürgerInnen, bei den Europa-Wahlen am 7. Juni ein deutliches Zeichen zu setzen, indem sie jene Kräfte stärken, die eine Sozialunion wollen.
Letztlich ist es eine Frage der politischen Kräfteverhältnisse, ob die im Reformvertrag verankerten Werte und Ziele auch zu einer Änderung der Politik führen. Der Reformvertrag kann - dank seiner inneren Widersprüchlichkeit - beides ermöglichen: Auf der einen Seite einen Manchester-Kapitalismus mit einer eindeutig neoliberal angelegten Wirtschafts- und Wettbewerbspolitik, auf der anderen Seite den Erhalt und Ausbau des europäischen Sozialmodells. Die EP-Wahlen könnten diesbezüglich eine Richtungsentscheidung sein!
Und meine Erwartung ist, dass die Staats- und Regierungschefs der EU endlich begreifen, dass die heutige Krise Schuld der neoliberalen Politik ist, und wir ein anderes Europa schaffen müssen.

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