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Enrique Gil Enrique Gil, Gewerkschafter in einem spanischen Airbus-Montagewerk, war im vergangenen April in Österreich und wünscht sich eine ähnliche Einrichtung wie die Sozialpartnerschaft auch für sein Heimatland.

Enorme Unterschiede

Schwerpunkt

Das EU-Projekt »Towards a Trade Union Erasmus« ermöglicht GewerkschafterInnen, die Arbeit ihrer KollegInnen in anderen EU-Ländern kennenzulernen.

Was haben GewerkschafterInnen in Spanien, Schweden und Österreich gemeinsam? Überspitzt formuliert: den Kampf gegen die Auswirkungen der Wirtschaftskrise und Nachwuchssorgen. Ansonsten sind die Voraussetzungen für die tägliche Arbeit doch (noch) ziemlich unterschiedlich.

Schnuppern in Schweden
Drei Wochen lang war Kajetan Uriach, Salzburger Landessekretär der Gewerkschaft vida, in Schweden, eine Woche in Norwegen. »Ich wollte bewusst in ein Land, von dem ich als österreichischer Gewerkschafter vielleicht noch etwas lernen kann. Und es war tatsächlich ein sehr interessanter Aufenthalt.« Sozialpartnerschaft wird in Schweden groß geschrieben.
Die Gewerkschaft wird als gleichwertiger Gesprächspartner und nicht als Gegner betrachtet. So manches, wofür in Österreich ein Gesetz nötig ist, wird in Schweden mittels General-Kollektivvertrag vereinbart, beispielsweise auch Pensionen. »Etwas per Gesetz zu regeln ist praktisch der allerletzte Ausweg.« Bei sehr schwierigen KV-Verhandlungen haben beide Gesprächspartner die Möglichkeit, das Mediations-Office, eine staatliche Schlichtungsstelle mit einzubeziehen. Mit dem Abschluss eines Kollektivvertrags garantieren die Gewerkschaften dann praktisch, dass während seiner Gültigkeitsdauer - in der Regel zwei bis drei Jahre - nicht gestreikt wird.

Vorzeigemodell Sozialpartnerschaft
In Spanien hingegen gibt es das Wort Sozialpartnerschaft überhaupt nicht. Enrique Gil, Gewerkschafter in einem spanischen Airbus-Montagewerk, war im vergangenen April in Österreich und wünscht sich eine ähnliche Einrichtung auch für sein Heimatland. Wobei die Umsetzung von Vereinbarungen in der Praxis dann trotzdem schwierig werden könnte: »In Spanien gibt es noch sehr viele Kleinbetriebe mit bis zu fünf MitarbeiterInnen. Das macht die Umsetzung und Kontrolle zum Beispiel von Sicherheitsvorschriften schwierig. Rein theoretisch haben wir schon sehr gute Gesetze, auch was den ArbeitnehmerInnenschutz betrifft.«
Schweden hat einen sehr hohen Anteil an Großunternehmen, häufig auch Niederlassungen internationaler Konzerne. »Wettbewerb gilt dort nicht an sich als etwas Schlechtes, es kommt nur auf die Bedingungen an«, so Uriach. »Bei Ausschreibungen beispielsweise sind meist auch soziale Kriterien mit entscheidend.«
So wurden auch in Schweden in den vergangenen Jahren sehr viele Aufgaben der Gemeinden ausgegliedert. Der öffentliche Nahverkehr in Stockholm wird derzeit von zwei französischen Firmen abgewickelt, ab 2011 wird das ein chinesisches Unternehmen übernehmen. Ausschreibungskriterien waren unter anderem, dass kein Personal abgebaut wird und die bestehenden Kollektivverträge übernommen werden.

Der Kampf gegen die Auswirkungen der Wirtschaftskrise erfolgt in beiden Ländern unterschiedlich. In Spanien herrscht derzeit mit mehr als 17 Prozent die höchste Arbeitslosigkeit seit es Aufzeichnungen gibt. Gil: »Ich befürchte, dass wir die Talsohle noch nicht erreicht haben. Die Auswirkungen der fehlgeleiteten Wirtschaftspolitik, die zu sehr auf die Bauwirtschaft gesetzt hat statt auf moderne Technologie, sind noch nicht vorbei. Wir erwarten noch weitere 1,5 Millionen Arbeitslose, für die ein soziales Netzwerk geschaffen werden muss.« Bei Airbus selbst setzt man zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit schon länger auf Lean Management, was langfristig Arbeitsplätze sichert. Bei der Ausarbeitung entsprechender Maßnahmen war die Gewerkschaft entscheidend beteiligt.
In Schweden gab es angesichts der Wirtschaftskrise in der Autoindustrie bereits einen - stark kritisierten - Kollektivvertragsabschluss, wo Lohnverzicht als Beitrag zur Arbeitsplatzsicherung nicht mehr ausgeschlossen wurde. Außerdem haben die Gewerkschaften gegen die Auswirkungen der Europäischen Dienstleistungsrichtlinie zu kämpfen. Aktuell hat vor kurzem der Dachverband der Arbeitergewerkschaften LO (Landsorganisation) einen Lohndumping-Prozess gegen eine lettische Baufirma verloren.
Gesprächsbereitschaft wird in Schweden zwar großgeschrieben, aber im Ernstfall sind die Gewerkschaften auch zu Kampfmaßnahmen bereit. Uriach: »Ein sechswöchiger Streik im Gesundheitswesen - in Österreich fast undenkbar - wurde ein Jahr lang penibel vorbereitet und endete schließlich mit vier Prozent statt 2,5 Prozent Lohnerhöhung. Trotzdem waren viele Mitglieder mit diesem Ergebnis nicht ganz zufrieden.«

Vorbild Schweden?
Mit ein Grund für die Stärke der schwedischen Gewerkschaften ist der enorm hohe Organisierungsgrad von derzeit 70 Prozent (Österreich: ca. 35 Prozent, Spanien 16 Prozent).
Wie erklären sich diese Werte? Uriach: »Bei uns denkt heute niemand mehr daran, dass Sozialleistungen wie Krankenversicherung und Arbeitslosengeld von den Gewerkschaften erkämpft wurden. In Schweden hingegen zahlt die Gewerkschaft Arbeitslosenunterstützung aus.« Vom Staat erhalten Arbeitssuchende nur einen kleinen Betrag ungefähr unserer Notstandshilfe entsprechend. Die Gewerkschaft zahlt - falls man davor den entsprechenden, leicht erhöhten Beitrag geleistet hat - einen Arbeitslosenzuschuss. In Summe erhalten schwedische ArbeitnehmerInnen dann bis zu 85 Prozent des Leistungsbezugs. »Die Leistungen der Gewerkschaft sind also besser sichtbar als bei uns«, so Uriach. Es gibt außerdem noch zusätzliche Angebote der Gewerkschaften wie Haushalts- oder Lebensversicherungen. »In Österreich ist es ja leider so, dass die Position der ArbeitnehmerInnenvertretungen sukzessive geschwächt wurde - zuletzt beispielsweise im Zuge der Krankenkassen-Sanierung, bei der die Arbeitgebervertretung deutlich gestärkt wurde. »Außerdem wird der anrechenbare Zeitaufwand schwedischer Betriebsräte nach der Zahl der Mitglieder bemessen. Das inspiriert natürlich dazu, neue Mitglieder zu gewinnen, was wiederum vor allem durch gute Leistungen gelingt. Uriach: »Auch hier könnten wir von den Schweden lernen. Dieses System wäre durchaus auch in Österreich praktikabel.«
Nachwuchs-BetriebsrätInnen zu finden ist allerdings auch in Schweden nicht ganz einfach. Vor allem bei jungen, gebildeten und gut verdienenden ArbeitnehmerInnen stehen die Gewerkschaften nicht mehr so hoch im Kurs. Noch vor einigen Jahren betrug der Organisierungsgrad in Schweden 80 Prozent. Unter anderem wird versucht, mit Hilfe der Gewerkschaftsklubs vor Ort junge Leute direkt anzusprechen. Im Übrigen sind die schwedischen Gewerkschaften - sowohl bei den BetriebsrätInnen als auch in Gremien - weiblich dominiert.

Jüngere, Frauen und MigrantInnen
In Spanien ist trotz der niedrigen Mitgliederzahlen die CC.OO die wichtigste Jugendorganisation überhaupt, unter anderem auch, weil es spezielle Einrichtungen wie beispielsweise die Gewerkschaftsjugend nicht gibt. Angestrebt wird übrigens nicht nur eine allgemeine »Verjüngung«, sondern auch die verstärkte Einbindung von Frauen und MigrantInnen.

FACTS & FIGURES
Lange Zeit gab es das EU-Austauschprogramm »Erasmus« nur für Studierende. Seit September 2008 haben auch BetriebsrätInnen die Möglichkeit zu grenzüberschreitendem Erfahrungsaustausch und Netzwerkaufbau innerhalb Europas. Neben EGB, zwei europäischen Branchenverbänden und Gewerkschaften aus acht EU-Ländern sind daran auch der ÖGB, vida und GPA-djp beteiligt.
In Schweden gibt es drei große Gewerkschaftsdachverbände: LO für die ArbeiterInnen, TCO für die Angestellten und SACO für die AkademikerInnen.
In Spanien sind die Gewerkschaften stärker mit den politischen Parteien verbunden, außerdem gibt es im Baskenland eigene Organisationen. Die ursprünglich kommunistische, 1960 gegründete und anfangs illegale CC.OO (Comisiones Obreras) ist die größte Gewerkschaft Spaniens (1,4 Mio. Mitglieder) und heute an keine Partei mehr gebunden.

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