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Soziales Europa wählen Das EU-Parlament forderte von Anfang an ein ersatzloses Auslaufen des Opt-Out, damit eine starke Arbeitszeitrichtlinie für alle ArbeitnehmerInnen in der EU gilt.

Soziales Europa wählen

Schwerpunkt

Das EU-Parlament war in der zu Ende gehenden Legislaturperiode häufig eine wichtige Stütze für das Soziale Europa.

Am 7.Juni finden in Österreich die EU-Wahlen statt - oder doch nicht ganz? Es wird nicht »die EU« gewählt, sondern das Europäische Parlament, also die Volksvertretung, die neben der EU-Kommission und den nationalen Regierungen im Rat über die Politik der EU mitbestimmt, aber eben nicht allein entscheidet. Diese Unterscheidung ist wichtig, geht es doch aus gewerkschaftlicher Sicht darum, die Interessen der ArbeitnehmerInnen wieder in den Mittelpunkt zu stellen. Eine differenzierte Sicht zeigt, dass zumindest Teile des Parlaments in den vergangenen Jahren deutliche Verbesserungen für die ArbeitnehmerInnen erreichen konnten. Für die neue Wahlperiode steigt die Bedeutung der EU-Volksvertretung nochmals, stehen doch wichtige politische Weichenstellungen an.
Hier gilt: Genau hinschauen, wie im Parlament abgestimmt wurde. In der nach fünf Jahren ablaufenden Legislaturperiode hat das EU-Parlament häufig die Anliegen der ArbeitnehmerInnen maßgeblich unterstützt - oft im gemeinsamen Vorgehen mit den Gewerkschaften gegen Kommission und Rat. Das zeigen drei beispielhaft ausgewählte Fälle.

Dienstleistungsrichtlinie
Der 2004 vorgelegte und nach dem damaligen Binnenmarktkommissar auch »Bolkestein-Richtlinie« genannte Vorschlag zielte auf den schrankenlosen Verkehr von Dienstleistungen in der EU ab. Nach diesem Modell hätte das »Herkunftslandprinzip« gegolten: Dienstleistungsanbietende hätten nur die Vorschriften ihres Herkunftslandes beachten müssen, nicht jedoch des Staates, in dem sie tätig sind. Ein Dumping der Sozial- und Qualitätsstandards wäre die Folge gewesen. Das EU-Parlament schwächte wichtige Bereiche der Dienstleistungsrichtlinie entscheidend ab: Ohne das EU-Parlament (und ohne den massiven Protest der Gewerkschaften!) wäre von Rat und Kommission dagegen eine Richtlinie verabschiedet worden, die einen schrankenlosen Wettbewerb ohne Rücksicht auf soziale Kriterien gebracht hätte.

Arbeitszeitrichtlinie
Nach dem Willen der Mitgliedsstaaten sollte die geltende EU-Arbeitszeitrichtlinie massiv verschlechtert werden. Die Folgen wären gewesen: schlechtere Bestimmungen für Bereitschaftsdienste und ein Festschreiben des Opt-Out, das eine Wochenarbeitszeit von 65 Stunden und mehr erlaubt. Mit an der Spitze jener Länder, die eine Verschlechterung wollten, war übrigens jahrelang Österreich mit dem damaligen Wirtschafts- und Arbeitsminister Bartenstein. Das EU-Parlament forderte dagegen von Anfang an ein ersatzloses Auslaufen des Opt-Out, damit eine starke Arbeitszeitrichtlinie für alle ArbeitnehmerInnen in der EU gilt. Das Parlament blieb auch im Vermittlungsverfahren im April hart: Die Richtlinie bleibt also dank EU-Parlament und dem massiven Protest der Gewerkschaften vorerst unverändert. Interessantes Detail am Rande: Für die Abschaffung des umstrittenen Opt-Out stimmten die sozialdemokratischen SPE-Abgeordneten sowie die Grünen fast geschlossen, während es bei der konservativen EVP eine deutliche Mehrheit für dessen Beibehaltung gab (165 gegen 85).

Neue EBR-Richtlinie
Seit 1999 forderten die Gewerkschaften immer wieder, die längst fälligen Verbesserungen der Informations- und Anhörungsrechte für Europäische Betriebsräte in Angriff zu nehmen. Erst im Jahr 2008 legte die Kommission einen Vorschlag vor, doch dann ging alles sehr schnell: Die Sozialpartner einigten sich über Kernpunkte einer Neufassung der Richtlinie, das Parlament konnte anschließend sogar noch einige Verbesserungen für die ArbeitnehmerInnen durchsetzen. Ergebnis: Noch 2008 gab es eine Einigung über eine neugefasste EBR-Richtlinie, die bis 2011 umgesetzt werden muss. Auch hier konnten sich die Gewerkschaften in erster Linie auf die sozialdemokratischen und grünen Abgeordneten verlassen, die geschlossen für die neue EBR-Richtlinie stimmten, während die EVP sich mehrheitlich enthielt.
Die Bedeutung des neuen EU-Parlaments wird nochmals steigen, denn wichtige politische Entscheidungen stehen auf der politischen Tagesordnung. Umso entscheidender ist es aus gewerkschaftlicher Sicht, bei der EP-Wahl jene zu stärken, denen die Interessen der ArbeitnehmerInnen dabei das zentrale Anliegen sind. Übrigens kandidiert die langjährige Leiterin des ÖGB-Europabüros, Evelyn Regner, auf der Liste der SPÖ.

Kernanliegen von ÖGB und EGB
Im Herbst wird das Mandat der gegenwärtigen Barroso-Kommission auslaufen. Eine neue EU-Kommission benötigt die Bestätigung durch das neue EU-Parlament: Eine gute Gelegenheit, die eher neoliberale politische Ausrichtung der Kommission zu verändern. So hat die SPE-Fraktion kürzlich beschlossen, eine neue Kommission nur dann zu unterstützen, falls »eine grundlegende und soziale Neuorientierung der Kommissionspolitik erfolgt«. Im Einzelnen werden konkrete Forderungen genannt, die auch Kernanliegen von ÖGB und EGB sind:

  • Eine neue Entsenderichtlinie, die in der EU lückenlosen Schutz vor Lohn- und Sozialdumping gewährleistet: »Gleiche Lohn- und Arbeitsbedingungen für gleiche Arbeit am gleichen Ort.« Bislang wehrt sich die EU-Kommission noch strikt gegen eine Änderung der Richtlinie.
  • Ein soziales Fortschrittsprotokoll soll in den EG-Vertrag eingefügt werden. Damit soll im Zweifel der Vorrang von sozialen Grundrechten vor den wirtschaftlichen Freiheiten des Binnenmarktes festgeschrieben werden, um die teilweise skandalöse Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu ändern.
  • Alle Vorschläge der neuen EU-Kommission sollen in Zukunft vorweg auf ihre sozialen Konsequenzen überprüft werden.

Das neue EU-Parlament wird auch mitentscheiden, ob Hedgefonds und private Beteiligungsgesellschaften in Zukunft endlich wirksam kontrolliert werden. Die kürzlich von der Kommission vorgelegten Vorschläge sind keineswegs überzeugend: So sollen nur die Fondsmanager selbst reguliert werden, die Fonds aber weitgehend unangetastet bleiben. Hedgefonds könnten damit auch bedenkliche Investitionsstrategien weiter ungehindert verfolgen. Dies zeigt: Die derzeitige Barroso-Kommission hat ihre Hausaufgaben nicht gemacht und zieht immer noch keine Konsequenzen aus der tiefen Krise und dem Scheitern ihres neoliberalen Deregulierungsmodells. Es liegt nun am neuen Parlament, hier wieder einmal korrigierend einzugreifen.

Wählen = mitentscheiden
Das EU-Parlament hat seine Mitgestaltungsrechte in der vergangenen Wahlperiode also durchaus als soziales Korrektiv gegenüber Kommission und Mitgliedsstaaten genutzt. Seine Kompetenzen würden mit dem Reformvertrag von Lissabon noch weiter steigen. Deshalb sind gerade die Wahlen zum EU-Parlament eine denkbar schlechte Gelegenheit, den Frust über die oftmals verfehlte EU-Politik gerade an jenen auszulassen, die noch am ehesten für die sozialen Interessen der ArbeitnehmerInnen stehen. Eine soziale Stärkung des EU-Parlaments bedeutet eine Stärkung der sozialen Korrektivfunktion.

KURZ GEFASST
• Das EU-Parlament hat in der vorigen Wahlperiode unter anderem eine starke Arbeitszeitrichtlinie verteidigt, eine neue Richtlinie für LeiharbeitnehmerInnen beschlossen, Verbesserungen für Europäische BetriebsrätInnen erreicht und die Dienstleistungsrichtlinie entschärft.
• Das neue Parlament wird für die ArbeitnehmerInnen wichtige Weichen stellen: die Bestätigung einer neuen EU-Kommission, eine effektive Regulierung der Finanzmärkte, die Forderung nach einem sozialen Fortschrittsprotokoll gegen das soziale Ungleichgewicht in der EU, die Änderung der Entsenderichtlinie.
• Deshalb: Nur wer am 7. Juni vom Wahlrecht Gebrauch macht, kann das Soziale Europa stärken!

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www.europarl.europa.eu

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