topimage
Arbeit&Wirtschaft
Arbeit & Wirtschaft
Arbeit&Wirtschaft - das magazin!
Blog
Facebook
Twitter
Suche
Abonnement
http://www.arbeiterkammer.at/
http://www.oegb.at/
Univ.-Prof. Dr. Sieglinde Rosenberger Univ.-Prof. Dr. Sieglinde Rosenberger
Univ.-Prof. Dr. Sieglinde Rosenberger Hinter der sozialen Verschiedenheit von Frauen und Männern stehen unterschiedliche Macht- und Interessenkonstellationen. Über die Geschlechtszugehörigkeit werden Karrieren, Einkommen und Belastungen in unserem System verteilt.
Buchtipp

Ein Überlebensgut

Interview

Österreich hinke in Gleichstellungsfragen hinterher - noch immer würden hier Männer als Familienernährer gesehen, meint Politikwissenschafterin Rosenberger.

Zur Person
Univ.-Prof. Dr. Sieglinde Rosenberger
ist Professorin am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Wien, Mitglied im Senat der Universität Wien und Universitätsrätin der Universität Graz.
Ihre Forschungsschwerpunkte sind Governance und religiöse, kulturelle Diversity, österreichische Politik, Geschlechter- und Demokratieforschung, Gleichstellung und Wohlfahrtsstaat sowie politische Partizipation.
Sie ist Mitglied der Österreichischen Gesellschaft für Politikwissenschaft (ÖGPW), deren Vorsitzende sie 2006 bis 2007 war. Sie ist weiters Vorsitzende des Demokratiezentrums Wien, im Beirat der Zeitschrift für Frauenforschung, Mentorin des Ludwig-Boltzmann-Instituts »European History and Public Spheres« und war Mitinitiatorin des Volksbegehrens »Sozialstaat Österreich«.

 

Arbeit&Wirtschaft: Frau Univ.-Prof. Dr. Sieglinde Rosenberger, als Politikwissenschafterin gehört Geschlechter- und Demokratieforschung zu Ihren Schwerpunkten. Wie unterscheiden sich Frauen und Männer, wie definieren Sie den Begriff Geschlecht?

Sieglinde Rosenberger: Aus der politikwissenschaftlichen Perspektive ist neben der Tatsache, dass es Unterschiede gibt, interessant, warum es Unterschiede gibt, und wie Frauen und Männer verschieden gemacht werden - gemacht werden durch Verhältnisse, die ganz wesentlich mit Politik zu tun haben. Gesellschaft und Politik »machen« Geschlechter, z.B. indem Frauen und Männer unterschiedlich bewertet werden, ihnen unterschiedliche Eigenschaften, Rollen, Kompetenzen und Arbeiten zugeschrieben werden.
Hinter der sozialen Verschiedenheit von Frauen und Männern stehen unterschiedliche Macht- und Interessenkonstellationen. Über die Geschlechtszugehörigkeit werden Karrieren, Plätze, Einkommen und Belastungen in unserer Gesellschaft und im politischen System verteilt.

Wie sind diese Plätze in Österreich im europäischen Vergleich verteilt?

In Europa gibt es seit den 1970er-Jahren die Gleichstellungspolitik als ein Politikfeld, das darauf abzielt, materielle und rechtliche Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern zu beseitigen, Gleichbehandlungsgesetze und -institutionen spielen dabei eine wesentliche Rolle.
Für den Erfolg von Gleichstellungspolitik zwischen den Geschlechtern sind eine Reihe von Faktoren verantwortlich. Ein Faktor ist der Stellenwert von Gleichheit insgesamt sowie die Haltung gegenüber Antidiskriminierung. Wenn eine Gesellschaft sich als egalitär versteht, Gleichheit also in gewisser Weise zum Selbstverständnis gehört, dann hat diese Einstellung auch eine positive Auswirkung auf die Geschlechtergleichstellung.
In Großbritannien etwa gibt es eine viel längere Tradition an Gesetzen und Maßnahmen zu Antirassismus und Antidiskriminierung. In sozialer Hinsicht ist die britische Gesellschaft zwar ungleich strukturiert, die politischen Instrumente gegen individuelle Ungleichbehandlung aufgrund von ethnischer Herkunft und Religion sind aber viel stärker ausgebaut als etwa in Österreich.
In den skandinavischen Ländern wiederum hat strukturelle Gleichheit einen großen Stellenwert. In den mitteleuropäischen Ländern schließlich wie Österreich haben weder Gleichstellung noch Antidiskriminierung Tradition. Gleichstellung der Geschlechter begann erst in den späten 1970er-Jahren, Antidiskriminierung ist überhaupt erst ein Produkt der Europäisierung österreichischer Politik. Aktuell entsteht der Eindruck als wäre Gleichstellungspolitik am »Verhungern«.

In Österreich »verhungert« die Geschlechtergleichstellung - wann haben wir da den Anschluss verpasst?

Österreich hat weder eine Geschichte der Geschlechtergleichstellung - erst 1975 wurde das männliche Oberhaupt aus dem Familienrecht entfernt - noch Verständnis von Antidiskriminierung, d.h. Diskriminierung wird nicht als Diskriminierung wahrgenommen, weder in Bezug auf Geschlecht noch in Bezug auf andere Diskriminierungstatbestände wie Ethnizität, sexuelle Orientierung, Religion.
Ich würde aber nicht unbedingt sagen, dass wir da den Anschluss verpasst haben. In Österreich ist die Politik der Geschlechtergleichstellung viel stärker als in anderen Ländern im Konflikt mit sozial- und familienpolitischen Interessen, die nach wie vor eher einer rollenorientierten Familienform anhängen als einer partnerschaftlich ausgerichteten. Das trifft z.B. für die skandinavischen Länder nicht zu, die Familienpolitik orientiert sich an der Gleichheit der Geschlechter, an der Berufstätigkeit der Eltern. Die Gleichstellungspolitik hat in Österreich seit den Siebzigerjahren starke Kontrahenten im sozial- und familienpolitischen Bereich gehabt. Geschlechterbilder, Frauen- und Männerbilder wurden in einem familienpolitischen Kontext gezeichnet, die politischen Maßnahmen richteten sich an traditionellen Mustern aus. Die österreichische Frauenpolitik hat diese Auseinandersetzung geführt und tatsächlich auch einige Erfolge erreicht. Die Institutionalisierung der Gleichstellung in diversen Einrichtungen ist ein Teil davon (Frauenbüros, Gleichstellungsstellen etc.).
Gegenwärtig aber haben wir im Bereich der politischen Repräsentation Stillstand. Der Frauenanteil im Parlament wie in der Regierung ist im Sinken. Wir haben 25 bis 30 Prozent Frauen in Regierungen und Parlamenten - die jetzige Regierung hat einen niedrigeren Frauenanteil als die ÖVP/FPÖ-Regierung (ab 2000-2002).
Was ebenfalls in den vergangenen zehn Jahren zu beobachten ist: Wenn Gleichstellungseinrichtungen in Österreich geschaffen werden, dann aufgrund der Mitgliedschaft Österreichs in der Europäischen Union. Gleichstellung ist europäisiert - aber nicht nur, weil die EU so offensiv wäre, sondern weil die nationale Politik so etwas wie Politikvermeidung auf dem Feld der Geschlechtergleichstellung betreibt. Alle Gleichstellungsinstitutionen der letzten Zeit gehen auf die Implementierung europäischer Bestimmungen zurück. So z.B. die Institutionalisierung rund um Gender Mainstreaming auf den Amsterdamer Vertrag. Auch die bereits angesprochene Antidiskriminierungsgesetzgebung und ihre Institutionalisierung kommen von der EU.

Müsste man die österreichische Sozialpolitik neu denken?

Ja, und zwar nicht nur, aber auch aus frauenpolitischen Überlegungen. Zweifelsohne ist die Sozialpolitik bereits ein Stück weit mit Gleichstellungsanforderungen harmonisiert worden. Es bleibt aber immer noch ein großes Stück zu tun. Erwähnenswert in diesem Zusammenhang ist aber ein Bereich, in dem Österreich tatsächlich innovativ und vorbildhaft war, nämlich die Steuerpolitik. In Österreich wurde bereits Anfang der Siebzigerjahre vom Familiensplitting abgegangen und folglich die Berechnung der Lohn- und der Einkommensteuer individualisiert. Das ist auch eine frauenpolitische Errungenschaft gewesen und sollte keineswegs heute leichtsinnig aufgegeben werden!
Anders als die Steuerpolitik ist die Sozialpolitik viel länger dem idealtypischen Ernährermodell, das davon aus-geht, dass Männer das Geld verdienen und Frauen höchstens dazuverdienen, nachgehangen. Eine Reihe von sozialpolitischen Maßnahmen basierte auf dieser Annahme, wie z.B. Notstandshilferegelungen. Mittlerweile ist das Ernährermodell aufgrund von Veränderungen der Arbeitswelt passée. Immer weniger Menschen, in diesem Fall Männer, sind in Arbeitsverhältnissen tätig, die dem Anspruch, ein Familieneinkommen zu verdienen, gerecht werden. Ein anderer Faktor bei der Gestaltung der Gleichstellungspolitik ist die Familienpolitik. In diesem Fall bin ich skeptisch, was eine egalitäre, partnerschaftliche Ausrichtung und Konzeptualisierung betrifft. In Österreich wird sehr viel Geld in die Familien investiert. Einerseits in Infrastrukturmaßnahmen wie z.B. in Kindergärten, andererseits in direkte Transferzahlungen an die Familien. Letztere haben vergleichsweise geringere gleichstel-lungsfördernde Effekte als Sachleistungen.
Wenn Familienpolitik gleichstellungsorientiert sein soll, müsste sie mehr in Sachleistungen und Infrastruktur investieren - also eben Kindergärten und in ähnliche vereinbarungsunterstützende Maßnahmen. Je stärker sie aber an Geldleistungen orientiert ist, desto weniger sind Gleichstellungseffekte zu beobachten.

Für wie erfolgversprechend halten Sie es, Quoten in unterschiedlichen Bereichen einzuführen?

Quoten sind ein sehr effizientes Instrument, um Zusammensetzungen von Gremien personell zu gestalten bzw. zu verändern. Folglich gilt, wenn jemand die geschlechteregalitäre Zusammensetzung einer Vertretungseinrichtung befürwortet, dann wird diese Person für Quotenbestimmungen eintreten. Wenn jemand tendenziell gegen die Gleichverteilung von Mandaten und Ämtern ist, dann wird diese Person Quotenbestimmungen ablehnen, deren Sinnhaftigkeit anzweifeln bzw. die Qualifikation in Frage stellen. Ein Beispiel für nicht kritisierte Quotenbe-stimmungen ist die Zusammensetzung des österreichischen Parlaments entsprechend der Bevölkerungsstärke der Bundesländer. So hat beispielsweise das Bundesland Vorarlberg einen bestimmten Anteil an Abgeordneten ebenso das Burgenland und alle weiteren sieben Bundesländer. Es wird in keiner Weise die Frage gestellt, ob die Vorarlberger Abgeordneten gleich befähigt sind für ein parlamentarisches Mandat wie die BurgenländerInnen oder die WienerInnen. In diesem Beispiel sind Quoten völlig außer Frage gestellt. Ähnliches könnte auch für Geschlechterquoten zutreffen.

Sie haben gesagt, dass der Anteil der Frauen im Parlament zurückgeht. Woran liegt das?

Der Rückgang des Frauenanteils hat verschiedene Ursachen. Eine ist, dass Zusammensetzungen entlang der Geschlechtszugehörigkeit immer auch mit den Stärkeverhältnissen der politischen Parteien zusammenhängen. Das heißt, wenn Mittelinksparteien, die tendenziell frauenfreundlicher sind, politisch schwächer sind, dann führt das tendenziell auch zu einer geänderten Zusammensetzung im Parlament. Wenn Parteien, denen Gleichstellung ein nicht sehr wichtiges Anliegen ist, im Parlament vertreten sind, dann hat dies unter Umständen Auswirkungen auf Geschlechterverteilung.

Nun gab es aber gerade während der Phase der schwarz-blau-orangen Regierung mehr Frauen im Parlament und in der Bundesregierung.

Dass gerade im Jahr 2000 relativ viele Frauen in die Regierung aufgenommen wurden, hing einerseits damit zusammen, dass man parallel dazu das Frauenministerium aufgelöst hat und in der Folge bewusst ein anderes Signal setzen wollte. Zum Zweiten hing es damit zusammen, dass eine Reihe von Männern in der FPÖ vermutlich nicht die nötige nationale wie internationale Reputation hatten. Frauen bekamen vermehrt deshalb eine Chance, weil sie weniger problematische Rollen und Vergangenheiten aufwiesen.

Was würden Sie sich an konkreten Maßnahmen wünschen?

Was ganz massiv fehlt, ist eine nicht Konflikt-vermeidende Debatte über Gleichstellung. Wer will welche Instrumente zur Erreichung von Gleichstellung, wer will diese nicht? Derzeit gibt es aber beinahe innenpolitisches Stillschweigen zur Gleichheit bzw. Ungleichheit der Geschlechter. Lediglich eine EU-Studie hat die Situation vor Ort wieder problematisiert. Die jetzige Gleichstellungspolitik ist sicherlich dahingehend zu kritisieren, dass sie in der öffentlichen Auseinandersetzung und Debatte wenig aktiv ist.
Gleichstellung ist kein Luxus, sie will vielmehr Ungleichheit verhindern, die als gesellschaftliches Übel zu sehen ist. Unter dem Eindruck von Krise und Arbeitslosigkeit scheint der Gleichstellung der Wind wieder mehr entgegenzublasen. Es wird wieder auftauchen, dass Frauen einen Alternativjob im Haushalt hätten, dass Männer die Familienernährer wären. Es ist eine große Herausforderung an die Frauenpolitik, zu klären, dass der Rückgriff auf diese Denkmuster keine Antwort auf die Probleme darstellt. Frauen haben keine Alternative, sie müssen für sich und andere den Lebensunterhalt verdienen. Folglich ist für Frauen die Gleichstellung kein Luxus, sondern ein Überlebensgut.

Als Gewerkschafterinnen interessiert uns natürlich auch Ihr Bild von der Gewerkschaft. Sind Gewerkschaften für Sie männlich?

In den Gewerkschaften gibt es Initiativen und Personen, die sich sehr engagiert um Gleichstellung bemühen. Allerdings wird dieses Engagement öffentlich nicht sehr stark wahrgenommen. Die äußere Wahrnehmung einer Institution hängt vor allem davon ab, wer die Exponenten sind - und die sind im Falle der Gewerkschaften männlich. So gesehen ist der ÖGB als männlich zu bezeichnen. Wenn die Gewerkschaft jedoch will, dass sie als für Frauen und für Männer offen und zugänglich wahrgenommen wird, müsste auch sie Quoten in allen Organisationseinheiten und Führungsetagen einführen und umsetzen. Bedenkt man, dass die Gewerkschaft mit Mitgliederschwund zu kämpfen hat, müsste sie eigentlich dort Akzente setzen, wo sie neue Mitglieder gewinnen könnte, also z.B. bei den Frauen. Insofern wäre mehr Gleichstellung im Erscheinungsbild der Gewerkschaft durchaus wünschenswert.

Wir danken für das Gespräch.
Barbara Lavaud und Lucia Bauer für Arbeit&Wirtschaft

Weblinks
Projektzentrum Genderforschung
www.univie.ac.at/gender/

Kontakt
Schreiben Sie Ihre Meinung
an die Redaktion
aw@oegb.at

Artikel weiterempfehlen

Kommentar verfassen

Teilen |

(C) AK und ÖGB

Impressum