topimage
Arbeit&Wirtschaft
Arbeit & Wirtschaft
Arbeit&Wirtschaft - das magazin!
Blog
Facebook
Twitter
Suche
Abonnement
http://www.arbeiterkammer.at/
http://www.oegb.at/
Sozialer und ziviler Dialog stellen aber keine Konkurrenz dar, der eine kann den anderen nicht ersetzen. Für die BürgerInnen ist es jedenfalls wichtig, über möglichst viele institutionalisierte Kanäle zu verfügen, um die Politik mit beeinflussen zu können

Ungleiche Brüder

Schwerpunkt

Sozialer und ziviler Dialog werden immer wieder verwechselt - der eine kann den anderen nicht ersetzen, sie ergänzen sich.

Die Europäische Union kann ihre ambitionierten Ziele zur Wirtschafts- und Beschäftigungsentwicklung nicht ohne Mitwirkung der wesentlichen Beteiligten erreichen. Eine der tragenden Säulen des Europäischen Wirtschafts- und Sozialmodells ist deshalb die systematische Einbindung der großen, repräsentativen Verbände der organisierten wirtschaftlichen und sozialen Akteure, im Wesentlichen der Organisationen der ArbeitgeberInnen und der ArbeitnehmerInnen, also der Sozialpartner. Die institutionalisierten Beziehungen von UnternehmerInnenverbänden mit Gewerkschaften, insbesondere zur Ausgestaltung der Arbeitsbeziehungen, werden allgemein als »sozialer Dialog« bezeichnet.

Ziviler Dialog

In den vergangenen Jahren wird - insbesondere in Brüssel, aber auch auf nationaler Ebene - vermehrt der sogenannte »zivile Dialog« propagiert. Gemeint ist damit eine Ausweitung des Kreises der Organisationen, die eingeladen sind, zur Politikgestaltung beizutragen.

Es handelt sich dabei um repräsentative Nichtregierungsorganisationen, sogenannte »NGOs«, also eine breite Palette von Verbänden aus dem sozialen Bereich, aus dem KonsumentInnen- und Umweltschutz, aus Entwicklungshilfe, der Menschen- und Bürgerrechtsbewegung u. ä.

Dass die Begriffe »sozialer Dialog« und »ziviler Dialog« einander sehr ähnlich sind, führt oft zu groben Missverständnissen.

Gewerkschaften - ebenso wie die ArbeitgeberInnenverbände - gehören nach gängiger Interpretation auch zu den NGOs/NPOs und sind damit ein wesentlicher Teil der organisierten Zivilgesellschaft. Sie sind nicht dem Staat zuzuordnen, sie sind unabhängige, repräsentative Verbände zur Vertretung der Interessen der ArbeitnehmerInnen. Dies zeigt sich auch in der Struktur des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses (EWSA) in Brüssel, der Vertretung der repräsentativen Organisationen der Zivilgesellschaft auf EU-Ebene. Dessen wesentlichste Aufgabe ist es, als Sprachrohr der bedeutenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gruppen gegenüber den Brüsseler Entscheidungsträgern zu fungieren.

Die 344 Mitglieder im EWSA sind in drei, gleich großen zivilgesellschaftlichen Gruppen organisiert. In Gruppe eins sind die ArbeitgeberInnenverbände, in Gruppe zwei die ArbeitnehmerInnenverbände und in Gruppe drei jene, die sogenannte »verschiedene Interessen« vertreten. Dazu zählen neben Berufsverbänden (Landwirtschaft, Freie Berufe, Handwerk etc.) auch weitere repräsentative NPOs aus dem Sozialbereich, dem Umwelt- und KonsumentInnenschutz etc.

Die Tatsache, dass die Sozialpartner im EWSA jeweils eine eigene Gruppe bilden, zeigt, dass ihnen innerhalb der organisierten Zivilgesellschaft offensichtlich ein besonderer Status eingeräumt wird. Und das mit gutem Grund.

Besondere NGOs: Sozialpartner

Für die im sozialen Dialog tätigen Verbände ist es notwendig, dass sie von ihren Mitgliedern mit einem Verhandlungsmandat ausgestattet sind. Denn sie führen konkrete Verhandlungen, bei denen sie bindende Verpflichtungen eingehen. Das wiederum hat zur Folge, dass diese Verbände über ein Durchgriffsrecht gegenüber ihren Mitgliedern verfügen müssen, um Verhandlungsergebnisse auch umzusetzen. Den Sozialpartnern fällt also eine autonome Regulierungsfunktion in einzelnen Gebieten der Wirtschafts- und Sozialpolitik zu. Den Kernbereich dieser Funktion bilden bekanntlich die KV-Regelungen der Löhne und der Arbeitsbeziehungen. Auch die Teilnahme an der Verwaltung der öffentlichen Sozialversicherungssysteme oder im Bereich Aus- und Fortbildung stellen dabei bedeutende Handlungsfelder dar.

Dazu kommt aber noch die gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Ergebnisse des sozialen Dialoges. Kollektivverträge haben einen enormen Einfluss auf volkswirtschaftliche Größen wie Nachfrage und Inflationsrate. Diese makroökonomische Relevanz verleiht den Handlungen der Sozialpartner so großes Gewicht, dass sie zu den wesentlichen Akteuren der Politik gezählt werden.

Daraus wird der Unterschied zu anderen zivilgesellschaftlichen Verbänden klar. So bedeutend die Rolle von anderen Verbänden, sei es der KonsumentInnen, der AutofahrerInnen oder der NaturschützerInnen, auch sein mag: Ihnen fehlt das Mandat, sich in konkreten Verhandlungen zu einem bestimmten Verhalten all ihrer Mitglieder zu verpflichten, ihnen fehlen dazu die Legitimation und die Mechanismen zur Koordinierung. Auch tragen sie keine Mitverantwortung für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung. Sie sind somit sogenannte Lobbys, die sich ausschließlich auf die Vertretung der Interessen ihrer Mitglieder beschränken können, ohne berücksichtigen zu müssen, welche Bedeutung ihre Aktivitäten für das Gesamtsystem haben.

Sozialer Dialog

Während man unter »sozialem Dialog« jede Art der Interaktion von Sozialpartnerverbänden untereinander bzw. mit der Regierung verstehen kann, hat sich auf EU-Ebene eine ganz spezielle Form herausgebildet, der »Soziale Dialog« mit großem »S«. Dieser branchenübergreifende Soziale Dialog entstand 1985 auf Initiative des damaligen Kommissionspräsidenten Jacques Delors und hat mittlerweile zur Annahme von über 300 gemeinsamen Vereinbarungen geführt.

Wer in diesem Prozess mitspielt, ist genau geregelt, nämlich die europäischen Dachverbände: der EGB für die ArbeitnehmerInnen, und für die ArbeitgeberInnenseite Business Europe (Dachverband der europäischen Industrie- und ArbeitgeberInnenverbände), als deren Anhängsel auch die UEAPME (der europäische KMU-Dachverband) sowie das CEEP (der europäische Zentralverband der öffentlichen Wirtschaft).

In diesem Dialog werden nicht nur bindende Vereinbarungen beschlossen, die dann von den nationalen Mitgliedsverbänden umgesetzt werden müssen. Die Einzigartigkeit des Sozialen Dialoges liegt darin, dass das Sozialprotokoll des Maastricht-Vertrages vorsieht, dass Vereinbarungen der europäischen Sozialpartner auf deren Wunsch durch Beschluss des Europäischen Rates Rechtswirkung verliehen und die Umsetzung in nationales Recht ermöglicht werden kann. Mittlerweile existieren auf dieser Basis Richtlinien des Rates zu Themen wie Elternurlaub, Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge. Damit wurden die europäischen Sozialpartner praktisch zum Mit-Gesetzgeber auf europäischer Ebene1.

Demgegenüber ist der zivile Dialog ein eher vages und unverbindliches Konzept der Kommunikation zumeist nicht genau bestimmter Akteure unterschiedlichen Repräsentativitätsgrades. Damit kein Missverständnis entsteht: Die Bedeutung des zivilen Dialoges soll nicht gering geschätzt werden - ganz im Gegenteil, für eine funktionierende Demokratie ist es von unverzichtbarer Bedeutung, dass die Anliegen der BürgerInnen ausreichend wahrgenommen werden.

Verhandlung oder Beratung

Beim sozialen Dialog führen dafür mit einem Mandat ausgestattete Sozialpartnerverbände autonom Verhandlungen, die zu konkreten Ergebnissen führen und deren Umsetzung sie auch garantieren müssen. Beim zivilen Dialog handelt es sich um vielfältige Methoden der Konsultation, der informellen Beratung durch zivilgesellschaftliche Verbände, zu denen unter anderem auch die Sozialpartner gehören.

Gelegentlich wird von den VertreterInnen der »verschiedenen Interessen« in der Gruppe drei des EWSA gefordert, in allen Texten das Wort »Sozialpartner« durch den weiter gefassten Begriff »organisierte Zivilgesellschaft« zu ersetzen,

also den Kreis der Beteiligten generell zu erweitern und das »Auslaufmodell« sozialer Dialog durch den »moderneren« zivilen Dialog zu ersetzen. Dies verkennt vollkommen die Tatsache, dass den Sozialpartnerverbänden aufgrund ihrer besonderen Bedeutung bestimmte Handlungsfelder vorbehalten bleiben müssen.

Wichtig für die BürgerInnen

Sozialer und ziviler Dialog stellen aber keine Konkurrenz dar, der eine kann den anderen nicht ersetzen. Für die BürgerInnen ist es jedenfalls wichtig, über möglichst viele institutionalisierte Kanäle zu verfügen, um die Politik mit beeinflussen zu können.

Dies gilt umso mehr für die ArbeitnehmerInnen, da die UnternehmerInnen in der Regel über viel höhere Ressourcen verfügen, um ihren Interessen bei den politischen Entscheidungsinstanzen Gehör zu verschaffen. 

Weblinks
Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss
www.eesc.europa.eu

Kontakt
Schreiben Sie Ihre Meinung
an den Autor
thomas.delapina@akwien.at
oder die Redaktion
aw@oegb.at

Artikel weiterempfehlen

Kommentar verfassen

Teilen |

(C) AK und ÖGB

Impressum