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In diese Richtung gehen auch Maßnahmen, ArbeitnehmerInnen mit erkennbaren religiösen Unterscheidungsmerkmalen, wie etwa einem Kopftuch, an sichtbarer Stelle einzusetzen.

Fremde Heimat

Schwerpunkt

Österreich hat einen hohen Anteil an eingewanderten ArbeitnehmerInnen. Gegenseitiges Verständnis würde allen nützen.

Österreich zählt zu jenen EU-Ländern, die einen besonders hohen Anteil an EinwandererInnen aufweisen. Laut jüngster Veröffentlichung der Europäischen Kommission (Employment in Europe 2008) haben 17,5 Prozent der österreichischen Bevölkerung im Erwerbsalter Migrationshintergrund (»Foreign born«); einen höheren Anteil innerhalb der EU weisen nur der Spezialfall Luxemburg (41,5 Prozent, überwiegend aus anderen EU-Staaten) und Zypern (18,5 Prozent) aus. Ein Vergleich des MigrantInnenanteils aus Nicht-EU-Staaten am Arbeitskräftepotenzial zeigt, dass auch hier Österreich mit einem Anteil von rund zwölf Prozent in der EU-Spitzengruppe liegt, nur Spanien und Zypern rangieren knapp darüber. Der Großteil davon kommt nach wie vor aus den traditionellen Herkunftsländern: aus dem ehemaligen Jugoslawien und aus der Türkei.
Zwei kulturelle Identitäten
In Ballungszentren wie Wien und in anderen großen Städten wie Linz oder Graz ist der Anteil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund naturgemäß noch höher als im Gesamtdurchschnitt. So hat rund ein Drittel der Wiener ArbeitnehmerInnen, aber sogar rund die Hälfte der Wiener PflichtschülerInnen Migrationshintergrund. Der hohe Anteil unter den PflichtschülerInnen lässt erwarten, dass selbst bei nur geringer Neuzuwanderung der Anteil an ArbeitnehmerInnen mit Migrationshintergrund in den kommenden Jahren weiter steigen wird. Allerdings werden das in immer höherem Maße KollegInnen sein, die bereits in Österreich geboren wurden oder zumindest bereits als Kinder und Jugendliche nach Österreich gekommen sind. KollegInnen also, die Migrationshintergrund haben, deren Lebensmittelpunkt aber eindeutig in Österreich liegt und für die keine Alternative zum österreichischen Arbeitsmarkt existiert. Kulturell haben die meisten dieser Menschen allerdings zwei Identitäten, keine davon ist von der jeweils anderen zu trennen und ohne diese zu verstehen. Und das erfordert eine erweiterte Form des gegenseitigen Verständnisses als das in den vergangenen Jahrzehnten der Fall war.
Integration im Betrieb
Wirksame Vertretung der ArbeitnehmerInnen-Interessen erfordert Integrationsmaßnahmen auf Betriebsebene. Manche Branchen wie etwa Reinigung, Handel, Gastgewerbe, das Bauwesen, der Gesundheits- und Pflegebereich und weite Teile der Industrie sind ohne KollegInnen mit Migrationshintergrund gar nicht mehr vorstellbar. In vielen dieser Betriebe beträgt ihr Anteil an der Belegschaft 30 bis 90 Prozent. Auch wenn diese Menschen vielleicht schon lange in Österreich leben und sich dem Leben hier weitgehend angepasst haben, gibt es Unterschiede, die zu Reibungen führen und diskriminierende Ungleichbehandlungen. Gerade weil von EinwandererInnen selbstverständlich eine Respektierung des österreichischen Kulturumfeldes gefordert werden kann, darf wohl auch umgekehrt enstprechendes Entgegenkommen erwartet werden. Die Betriebskantine eines Unternehmens mit vielen ArbeitnehmerInnen muslimischer Religionszugehörigkeit sollte z. B. schweinefleischlose Gerichte anbieten. Die Alarmglocken müssen läuten, wenn Migrationshintergrund von ArbeitgeberInnen zu Lohndiskriminierung ausgenutzt wird. Einkommensvergleiche nach Staatszugehörigkeit (eine andere Differenzierung ist hier nicht möglich) auf Basis der Hauptverbandsdaten zeigen jedenfalls, dass der Verdienst ausländischer ArbeitnehmerInnen in vergleichbaren Berufen um zehn bis 30 Prozent unter dem Einkommen der österreichischen ArbeitnehmerInnen liegt.
Gegenseitiges Verständnis
Das kann zum Teil nur durch unterkollektivvertragliche Entlohnung, Nichtbezahlung von Überstunden und andere Formen von Verstößen gegen das Arbeitsrecht erklärt werden und stellt für alle ArbeitnehmerInnen und für die Finanzierung des Sozialsystems eine Bedrohung dar. Es ist daher wichtig, dass es auf Betriebsebene nicht zu einem Auseinanderfallen der ArbeitnehmerInnengruppen nach Herkunftskultur kommt, sondern dass auf Basis gegenseitigen Verständnisses die gemeinsamen Interessen auch wirkungsvoll gemeinsam vertreten werden können.
Beispiele aus österreichischen Betrieben und anderen EU-Staaten zeigen, dass man gegensteuern kann. Lohndiskriminierung, die sich als Lohndumping zum Nachteil aller Beschäftigten auswirkt, beruht oft darauf, dass Fachkräfte, deren Fachausbildung z. B. in Österreich nicht anerkannt ist, als HelferInnen eingestuft sind. Die Betroffenen könnten auf Basis EU-rechtlicher Normen vom Wirtschaftsministerium ohne besonderen weiteren Aufwand die formale Anerkennung ihres Lehrberufs verlangen und müssten in der Folge auch als FacharbeiterInnen eingestuft werden. Viele wissen das aber nicht und manchmal, vor allem bei KollegInnen aus Nicht-EU-Staaten, ist das auch nicht möglich. Eine Lösung für dieses Problem wäre der Abschluss von Betriebsvereinbarungen, durch die nicht nur die formale, sondern auch die faktische Qualifikation die Basis der Entlohnungseinstufung darstellt. Eine derartige Regelung begünstigt auch viele inländische ArbeitnehmerInnen im selben Betrieb, die sich durch langjährigen Einsatz in immer qualifizierterer Position und durch ergänzende Kurse auf Fachniveau hochgearbeitet haben, formal aber nicht die Voraussetzung für eine ihrer tatsächlichen Arbeit entsprechende Kollektivvertragseinstufung erbringen. Die Deutsche Bahn hat in einem ersten Schritt die Anerkennung von im Ausland erworbenen Qualifikationen per Betriebsvereinbarung festgelegt.
Mit Kopftuch an der Kassa
Interessant ist auch das Beispiel britischer Supermärkte, die eine ethnische »Blockbildung« ihrer Belegschaft durch einfache Maßnahmen aufbrechen konnten: So wird nicht nur für alle Beschäftigten eine Weihnachtsfeier, sondern zum Ende des muslimischen Fastenmonats ebenso für alle ein Ramadanfest veranstaltet. In eine ähnliche Richtung weist das Bereitstellen eines kleinen Raumes als Gebetsraum für die vielen muslimischen MitarbeiterInnen eines großen Wiener Getränkeabfüllunternehmens. Durch diese ausdrückliche Anerkennung der anderen Kultur und Religion konnten Loyalität und kollegiales Zugehörigkeitsgefühl und Vertrauen deutlich gestärkt werden. In diese Richtung gehen auch Maßnahmen, ArbeitnehmerInnen mit erkennbaren kulturellen oder religiösen Unterscheidungsmerkmalen, wie etwa einem Kopftuch, an sichtbarer Stelle einzusetzen, z. B. an der Supermarktkassa. Dass dies hierzulande bisher wenig üblich ist, trägt dazu bei, dass die Berufschancen mancher Gruppen, vor allem der Frauen, deutlich eingeschränkt sind.
Interkulturelle Kompetenz
Natürlich stellen Änderungen dieser Art auch eine Herausforderung an uns alle dar. Kein Mensch, ob mit oder ohne Migrationshintergrund, kann gewohnte kulturelle Wahrnehmungsmuster einfach so über Bord werfen. Lehrgänge in interkultureller Kompetenz können hier zum besseren Begreifen von Unterschieden und zu einem entspannteren Umgang mit diesen beitragen. In einer ganzen Reihe österreichischer Betriebe im öffentlichen Bereich, aber auch bei kommerziellen Unternehmen mit relevantem Kundenanteil aus anderen Kulturkreisen, wird interkulturelle Kompetenz bereits erfolgreich trainiert. Die Vorteile sind vielfältig: Nicht nur österreichische ArbeitnehmerInnen lernen ihre KollegInnen mit Migrationshintergrund besser verstehen, sondern auch umgekehrt. Außerdem zeigt sich, dass Kundenorientierung und Konfliktfähigkeit generell durch interkulturelles Training verbessert werden, weil damit einfach auch zuhören können, Offenheit und Empathiefähigkeit gelernt werden. Vor allem in einer Reihe deutscher Großbetriebe wie z. B. Thyssen Krupp Stahl AG, dem VW-Konzern, Opel und bei der Deutschen Bahn wurde von den ArbeitnehmerInnenvertretungen der Abschluss von Betriebsvereinbarungen erreicht, die durch gezielte Antidiskriminierungsbestimmungen und Maßnahmen zu einem besseren wechselseitigen Verständnis einen wichtigen Beitrag zu Ausbau und Erhalt der Sozialstandards und des Zusammenhalts im Betrieb leisten. Hauptschwerpunkte sind Förderung des wechselseitigen kulturellen Verständnisses, die Förderung von Sprache und Qualifikation und das Verhindern von Lohndumping. Auch für Österreich wurden dazu bereits in Kooperation mit Gewerkschaft und Arbeiterkammer Mustervereinbarungen erarbeitet.
Ein wichtiger Schritt
Es wäre zweifellos ein wichtiger Schritt zum Vorteil der ArbeitnehmerInnen aller Betriebe mit hohem MigrantInnenanteil, wenn das Jahr 2009 genutzt wird, um durch Maßnahmen dieser Art einen wirksamen Beitrag zum Schutz sozialer Standards und des (noch besseren) wechselseitigen Verstehens herbeizuführen.

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Gewerkschaft vida
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