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Vorsicht beim Zahlenvergleich: Im Bereich Straße fehlen konsistente Zahlen über das Bundesstraßennetz - inklusive dieser sind die Investitionen deutlich höher als in die Bahn.

Enden wollender Applaus

Schwerpunkt

Was wird die neue Koalitionsregierung im Bereich Verkehr tun? A&W hat einige ExpertInnen um ihre Meinung gefragt. Diese ist durchwachsen.

Eine moderne Verkehrspolitik für Menschen muss sich sowohl am Verkehrsbedarf der Wirtschaft als auch an den sozialen Mobilitätsbedürfnissen der Menschen sowie den Zielen des Umweltschutzes und des Schutzes von Leben und Gesundheit orientieren, um so die Lebensqualität in Österreich insgesamt steigern zu können.«
Jede Koalitionsvereinbarung beginnt mit großen Worten. Praktischerweise müssen diese Worte nicht verändert werden - die Einleitung des Kapitels »Infrastruktur und Verkehr« blieb von der Regierung Gusenbauer zur Regierung Faymann unverändert.
Verkehrspolitik per Bagger
Wie bisher, beklagen mehrere Befragte, würde Verkehrspolitik hauptsächlich mit der Baumaschine betrieben. Christoph Gratzer, Sprecher des Verkehrsclub Österreich (VCÖ) beklagt: »Der Generalverkehrsplan ist in den Neunzigerjahren gemacht worden, auf Basis der Prognosen der Neunzigerjahre. Viele dieser Prognosen sind veraltet und stimmen nicht mehr.« Trotzdem würde noch weiter lustig gebaut.
Immerhin: Die großen Investitionsprogramme für die Eisenbahn stoßen auf Zustimmung. In Summe werden in dieser Legislaturperiode um die zwei Mrd. Euro pro Jahr allein für die Schiene verbaut. Ob damit die richtigen Projekte angegangen werden, sind sich die Befragten nicht sicher. Hermann Knoflacher, Vorstand des Instituts für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik an der Technischen Universität Wien, meint: »Man müsste raus aus den kapitalintensiven Großprojekten. Bei den Nebenbahnen haben wir zehnmal so viele Arbeitsplätze bei den gleichen Investitionssummen wie beim Tunnelbau. Aber im Tunnel ist’s finster, da sieht man nichts«, sagt er mehrdeutig. Neu im Regierungsprogramm sind Investitionen ins bestehende Netz, das in den vergangenen Jahren auf Kosten der Neubaustrecken ausgehungert wurde. Sylvia Leodolter, Leiterin der AK-Abteilung für Verkehr und Umwelt, ist deswegen mit dem Infrastrukturkapitel großteils zufrieden: »Ich habe den Eindruck, dass dieser Regierung die Probleme im Bestandsnetz wirklich bewusst geworden sind.«
Sebastian Kummer, Ordinarius des Instituts für Transportwirtschaft an der Wirtschaftsuniversität Wien, ist bei Lob für das Infrastrukturkapitel zurückhaltend: »Ich hätte mir eine klare Reihung gewünscht, mit der weitergemacht wird. Ich sehe die Gefahr, dass die Großprojekte, bei denen die Bundesländer immer mehr Projekte hineindrücken, das Budget überstrapazieren.« Diese Befürchtung haben die Koalitionsverhandler scheinbar geteilt: Weitere hochrangige Bauprojekte erfordern laut Regierungserklärung »eine finanzielle Beteiligung der Interessenten an den entstehenden Kosten«. Kummer bemängelt auch, dass Überlegungen fehlen, wie die teure Infrastruktur bestmöglich genutzt werden soll, zum Beispiel mit einem Logistik-Masterplan. Wie bisher schon baut die Regierung auf Budgetbelastungen der Zukunft (siehe Grafik), denn sowohl ÖBB als auch ASFINAG sollen sich für ihre Bauprogramme weiter verschulden. Von allen gelobt wird hingegen das noch von der alten Regierung beschlossene Konjunkturpaket von 700 Mio. Euro pro Jahr bis 2012. Auch dieses Programm wird von den ÖBB vorfinanziert.
Auf der Straße wird ebenfalls viel gebaut, hier macht sich Knoflacher vor allem Sorgen um den Ballungsraum Wien: »Die Stadt wird eingekreist von Autobahnen, und Niederösterreich entwickelt an diesem Speckgürtel ein Projekt nach dem anderen und zieht Wirtschaftsaktivität von Wien ab.«
Kein großer Wurf
Im öffentlichen Verkehr finden sich weitgehend die Textbausteine der vergangenen Regierung wieder. Eine von AK und VCÖ schon seit Jahren geforderte Nahverkehrsreform bleibt aus. Die Mittel wurden ebenfalls von der vorigen Regierung aufgestockt, neu sind zusätzliche Mittel auch für die Privatbahnen. VCÖ-Sprecher Gratzer fürchtet um die Regionalbahnen: »Eine ›Ausrichtung nach wirtschaftlichen Kriterien und verstärkter Einsatz von Bussen‹ heißt, dass es vielen Regionalbahnen an den Kragen geht.« Tatsächlich läuft die Umstellung auf Bus in Niederösterreich bereits auf Hochtouren. Ohnehin vermisst Christian Gratzer das Wichtigste: einen Plan. »Was uns abgeht, ist ein Gesamtverkehrskonzept. Erstens: Wo soll es hingehen? Zweitens: Welchen Verkehrsanteil will man auf Straße und Schiene erreichen? Drittens: Mit welchen Maßnahmen geht das?« Ohne Plan sei jede Verkehrspolitik Flickwerk.
ÖBB: Licht am Ende des Tunnels
Dass eine Reparatur der schwarz-blauen ÖBB-Reform überfällig ist, zeigen nicht nur die Zugverspätungen. Über die Zusammenführung der zwei verschiedenen Infrastruktur-Gesellschaften im ÖBB-Netz besteht mittlerweile parteiübergreifende Einigkeit. Dementsprechend schnell (schon heuer) soll es gehen. Alle ExpertInnen zollen diesem Vorhaben Lob. Aber der Parteikonsens hat Grenzen - um den Güterverkehr wird weiterhin gestritten. Dass die ÖVP diesen privatisieren möchte, ist schon seit der zweiten Regierung Schüssel bekannt. Auch Bundeskanzler Faymann sprach vor Weihnachten von »strategischen Partnern«. Ministerin Bures dementierte prompt zur Hälfte - Partner ja, Verkauf nein.
Transit: Kritik von allen Seiten
Wie man mit diesem Regierungsprogramm mehr Güter auf die Schiene bringen soll, fällt keinem der Befragten ein. Die Lkw-Maut soll lediglich an die Inflation angepasst werden, die flächendeckende Lkw-Maut fällt aus - hier haben sich dem Vernehmen nach beide Regierungsparteien beim Umfallen überholt. Verkehrslenkung passiert weiterhin über Subventionen der »Rollenden Landstraße«. Das Verladen ganzer Lkw auf den Zug hält Sebastian Kummer aber für teuer und ineffizient. Der AK fehlt obendrein eine Kontrollbehörde für den Schwerverkehr.
Zustimmung gibt es zur Fortsetzung des EU-Aktionsprogramms NAIADES und des nationalen Aktionsplans NAP für den Ausbau der Donauschifffahrt. Besonders für ArbeitnehmerInnen interessant ist laut AK die Ankündigung, eine Initiative zur Ausbildung von Fachpersonal für die Binnenschifffahrt zu starten. Ein kleines Sternchen im Regierungsprogramm verrät aber, dass es dafür keine Budgetmittel gibt. Dass sich die Bundesregierung auf EU-Ebene »für einen europaweit einheitlichen rechtlichen Rahmen im Bereich der technischen und der sozialen Bestimmungen in der Binnenschifffahrt« einsetzen wird, wird von der AK gelobt, verpflichtet aber zu nichts.
Kaum Neues gibt es zur Luftfahrt, abgesehen von der (mittlerweile verkauften) AUA, die im Verkehrskapitel gar nicht mehr vorkommt. Österreich spricht sich immerhin (von Seiten der Umweltorganisationen begrüßt) für ein Einbeziehen der Luftfahrt in den internationalen CO2-Emissionshandel aus.
Klimapolitik: Fünf, setzen
Zum Klimabeitrag der Verkehrspolitik nimmt sich Hermann Knoflacher kein Blatt vor den Mund: »Mager ist ein Hilfsausdruck. Keines der Probleme der nächsten zehn Jahre wird angegangen, auch kein Wort zu den heute erkannten nachteiligen Wirkungen der Privatisierung.« Ähnlich argumentiert der VCÖ-Mann Gratzer: »Das Wort ›Klima‹ kommt im Verkehrskapitel nicht einmal vor.« Dabei, so Gratzer, gäbe es im Verkehrsbereich Win-Win-Situationen: Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit und Klima könnte man zusammen angehen: »Die Rahmenbedingungen für mehr Klimaschutz waren noch nie so gut wie jetzt.«
In einem sind sich alle Befragten einig: Das Verkehrskapitel ist sehr vage gehalten, und das bringt der neuen Infrastrukturministerin Doris Bures großen Spielraum. Wie viel sie ihn nutzen wird, traut sich noch niemand einzuschätzen. »Eine Persönlichkeit macht aus jedem Programm was«, sagt Hermann Knoflacher. AK-Frau Sylvia Leodolter sieht die Zukunft optimischer: »Dort, wo Bures einen Handlungsspielraum ohne den Koalitionspartner hat, wird sie diesen nutzen, zum Beispiel bei der Bahnsicherheit. Wo es größeres Konfliktpotenzial gibt, wird es ohne massiven öffentlichen Druck wenig Fortschritte geben. Diesen Druck müssen wir jedenfalls gemeinsam erzeugen.«

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