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Foto | Paul Sturm Das Max-Planck-Institut für demografische Forschung hat errechnet, dass derzeit in Westeuropa etwa 20 Prozent der Bevölkerung älter als 60 Jahre sind.

Kein Tsunami

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Dass wir immer älter werden, ist eine Tatsache, doch noch lange kein Grund zur Panikmache. Demografie wird oft als Totschlagsargument genutzt.

Europa hat ein demografisches Defizit zu bewältigen«, lesen wir in den Medien und schlimmer: »Wie ein Damoklesschwert schwebt die Alterung der Gesellschaft über Europa und zwingt uns zu Einsparungen bei Pensionen und Gesundheit.« »Wir sterben aus, weil wir zu wenige Kinder bekommen«, heißt es manchmal noch zugespitzter und in unseren Köpfen entsteht ein Bild einer weißhaarigen Gesellschaft, alt, krank, betreuungsbedürftig und abhängig von einer schrumpfenden Zahl von Nachkommen. So werden Zukunftsängste geschürt und gleichzeitig die demografische Entwicklung für Negatives aller Art verantwortlich gemacht.

Alterung und Geburtenrückgang
Das Max-Planck-Institut für demografische Forschung hat errechnet, dass derzeit in Westeuropa etwa 20 Prozent der Bevölkerung älter als 60 Jahre sind. Bis 2020 könnte sich dieser Anteil auf etwa 25 Prozent erhöhen, bis 2050 auf 37 Prozent. Etwa vier Prozent der Menschen sind derzeit über 80 Jahre, bis 2040 wird dieser Anteil vermutlich auf acht Prozent steigen. Ursachen sind die steigende Lebenserwartung und eine Geburtenrate, die unter den 2,1 Prozent liegt, die notwendig sind, um die Bevölkerungszahl konstant zu halten. Die durchschnittliche Geburtenrate liegt in Europa derzeit bei 1,5 Kindern pro Frau. Österreich liegt mit 1,42 Kindern pro Frau sogar unter diesem Schnitt. Soweit die Zahlen, die die Basis für die demografischen Angstszenarien bilden.
Die Alterung der Bevölkerung bewirkt, dass auch die Erwerbstätigen im Schnitt immer älter werden. Bei gleichzeitig sinkenden Geburtenzahlen ist es naheliegend, dass die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter zurückgeht. Für viele einleuchtend scheint daher die Schlussfolgerung, dass Sozialleistungen bald nicht mehr finanzierbar sein werden.

Wir können es uns leisten
Doch diese Sichtweise ist zu einfach. Gesellschaftliche Herausforderungen werden »demografisiert«: Indem man die Demografie vorschiebt, wird von politischen, sozialen und wirtschaftlichen Fragen abgelenkt. Auch wenn die demografische Alterung der Gesellschaft unaufhaltsam ist, heißt das nicht, dass wir mit ihren Folgen nicht leben können. Der Mannheimer Ökonom Axel Börsch-Supan sagt dazu: »Die Demografie ist kein Tsunami, der uns überrollt.« Unabhängig von der angenommenen Geburtenrate brächten alle Prognoseszenarien das gleiche Wirtschaftswachstum. Weiter gedacht kann man daraus schließen: Eine Gesellschaft kann auch mit weniger Erwerbstätigen immer reicher werden. Entscheidend ist die Produktivität. Eine Gesellschaft in der der Wohlstand seit Jahren kontinuierlich steigt, kann sich auch leisten zu fragen, was brauchen wir, und wie können wir das unter sich ändernden Rahmenbedingungen finanzieren, statt in die Defensive zu gehen und zu sagen, was können wir uns angesichts dieser beängstigenden Zahlen noch leisten?
Aus Sicht der ArbeitnehmerInnen sieht Börsch-Supan auch Positives am prognostizierten Bevölkerungsrückgang. Die qualifizierte Arbeitslosigkeit würde sich durch die Demografie von selbst erledigen. Das Schweizer Wirtschaftsforschungsunternehmen Prognos sagt eine Halbierung der Arbeitslosigkeit bis 2030 voraus. Das bedeutet allerdings nicht, dass alles so bleiben kann, wie es ist. Denn problematischer noch als die demografische Entwicklung ist, dass Österreich eine der niedrigsten Beschäftigungsquoten älterer ArbeitnehmerInnen hat.

Umdenken ist notwendig
Derzeit arbeiten die ÖsterreicherInnen durchschnittlich bis 57,5 Jahre. 91 Prozent der ÖsterreicherInnen gehen vorzeitig in Pension. Trotz Erhöhung des gesetzlichen Pensionsalters bleibt die Erwerbsquote der älteren ArbeitnehmerInnen unverändert niedrig. Das heißt jedoch nicht, dass die ÖsterreicherInnen ab Ende 50 nicht mehr arbeiten wollen. Im Gegenteil, Ältere werden häufig aus dem Arbeitsmarkt gedrängt, können zwar noch nicht in Pension gehen, haben aber in der Realität auf dem Arbeitsmarkt keine Chance mehr. Hier muss ein grundsätzliches Umdenken stattfinden. Möchte man auf die demografische Entwicklung angemessen reagieren, dann müssen ältere ArbeitnehmerInnen als wichtige Arbeitskräfte gesehen werden. Arbeitsplätze und Arbeitszeitmodelle müssen sich stärker auf die Bedürfnisse von Menschen ausrichten, die länger arbeiten müssen. Dazu gehören Investitionen in Prävention und betriebliche Gesundheitsvorsorge oder Jahresarbeitszeitmodelle, die regelmäßige zusammenhängende Auszeiten ermöglichen.
Der französische Demograf Hervé Le Bras bestätigt diese Sichtweise. Er geht davon aus, dass die meisten europäischen Länder über beträchtliche Reserven an Arbeitskräften unter der Altersgrenze von 65 verfügen. Für die Entwicklung der Zahl der Erwerbstätigen bis 2050 sei daher entscheidend, wie es gelingt, diese Menschen in den Arbeitsmarkt einzubinden. Wenn die Erwerbsquote von Frauen und Älteren bis 2050 unverändert bliebe, würde die Zahl der Erwerbstätigen in der EU von derzeit 216 Mio. auf nur noch 180 Mio. absinken. Das ist ein Rückgang von fast 17 Prozent. Wenn es dagegen gelänge, die Erwerbsquote von Frauen 2050 auf jene der Männer zu erhöhen und gleichzeitig die Erwerbsquote der Menschen zwischen 55 und 64 in allen Ländern auf den Stand von Schweden stiege (derzeit 72,9 Prozent), würde die Erwerbsbevölkerung nur noch um undramatischere 1,5 Prozent schrumpfen.

Alterung und Gesundheit
Häufig übersehen wird bei all der Angstmache auch die Tatsache, dass die steigende Lebenserwartung ein positiver Aspekt der Alterung ist. Bis 2050 wird die Lebenserwartung bei Männern um sechs Jahre, bei Frauen um fünf Jahre steigen. »Gleichzeitig mit dem Sterbealter verschieben sich auch Gesundheitsprobleme nach hinten«, argumentiert Le Bras. Daher würden auch die Gesundheitskosten nicht in dem dramatischen Ausmaß steigen, wie von der WHO errechnet. Denn diese sei in ihrem Rechenmodell davon ausgegangen, dass zwar die Lebenserwartung, nicht jedoch das Alter, in dem sich gesundheitliche Beeinträchtigungen verstärkt einstellen, steigt. Le Bras dagegen geht in seinen Berechnungen davon aus, dass trotz steigender Lebenserwartung jene Lebensspanne gleich lang bleibt, in der Menschen bei schlechter Gesundheit sind. Er beziffert den jährlichen Anstieg der Gesundheitskosten, der allein durch den wachsenden Anteil älterer Menschen entsteht, auf unter 0,1 Prozent pro Jahr. Die Alterung der Bevölkerung stellt für ihn daher keine Bedrohung der europäischen Gesundheitssysteme dar.

Argument der Rechten
Nicht nur als Argument für den Rückbau von Sozialsystemen muss die Demografie herhalten. Auch die Rechten bedienen sich gerne der Demografie, wenn es darum geht, vor der drohenden Überfremdung der angeblich aussterbenden westlichen Gesellschaften zu warnen. Dabei wird gerne das Bild der »Bevölkerungspyramide« bemüht, die ihre breite Basis an Kindern verloren habe und sich immer mehr zu einer »Urne« entwickle. Der deutsche Bevölkerungsgeograf Stephan Beetz meint, diese Bevölkerungspyramide sei ein Sollbild, das in der Realität zum Glück in den Industrieländern schon lange nicht mehr existiere. Pyramidenförmig habe die Bevölkerungsentwicklung in Deutschland nur bis etwa 1910 ausgesehen. Mit einer solchen Bevölkerungsentwicklung sei nicht nur eine hohe Geburtenzahl, sondern auch eine hohe Kinder- und Säuglingssterblichkeit und eine niedrige Lebenserwartung verbunden. Ähnliche Bevölkerungspyramiden haben heute die ärmsten Entwicklungsländer. Die Diskussion über eine »gesunde Bevölkerungspyramide« ist daher unnötig und basiert auf falschen Annahmen. Im Zusammenhang mit der Geburtenrate sinnvoll ist es allerdings, sich im Detail anzusehen, wie sich die Geburtenrate in den europäischen Ländern entwickelt. Empirisch nachweisbar ist nämlich, dass die Frauen dann besonders lange zögern, Kinder zu bekommen, wenn auch der Zugang zu Beschäftigung schwierig ist. »Absurderweise schlägt sich das Bemühen, die Frau im Haus zu halten in einer Verringerung der Familiengröße nieder«, argumentiert Le Bras. Wohingegen in Schweden, einem der progressivsten Länder was Gleichberechtigung und Zugang von Frauen zum Arbeitsmarkt betrifft, jede Frau im Durchschnitt immer noch mehr als zwei Kinder bekommt.

KURZ GEFASST
Das Thema Demografie ist vielschichtiger und wohl auch weit weniger bedrohlich als uns oft vorgemacht wird. Es lohnt sich daher, Angstszenarien zu hinterfragen. Wenn wir uns dagegen vor dem vermeintlichen Aussterben zu Tode fürchten, dann kann es leicht passieren, dass wir Einschnitte bei Pensionen und Gesundheit als Folgen einer Art Naturkatastrophe einfach geschehen lassen.

Weblinks
"Öffentlichkeitsstrategie Demografie"
www.demotrans.de  

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