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Foto | Paul Sturm Markus Hengstschläger: »Vieles von dem, was - als ich vor zwanzig Jahren Genetik studiert habe - als wahr gegolten hat, ist heute längst widerlegt.«

Wir werden jünger älter

Interview

Der Humangenetiker Markus Hengstschläger über die Chancen und Risiken seines Fachs und die Auswirkungen auf das Altern unserer Gesellschaft.

ZUR PERSON
Univ.-Prof. Mag. Dr. Markus Hengstschläger
Geboren: 1968 in Linz
Der Doktor der Genetik wurde nach einem Forschungsaufenthalt an der Yale University/USA 29-jährig zum a. o. Univ.-Prof. und 35-jährig zum Univ.-Prof für Medizinische Genetik an der Medizinischen Universität Wien berufen.
Seit 2005 leitet er dort die Abteilung für Medizinische Genetik und die genetische Abteilung des Wunschbaby-Zentrums, Institut für Kinderwunsch. Er betreibt Grundlagenwissenschaft, Lehre und Routinediagnostik im Bereich der medizinischen Genetik.
Der Bestsellerautor ist z. B. in der Päpstlichen Akademie für das Leben (Pontificia Academia Pro Vita) im Vatikan, in der Österreichischen Gentechnikkommission oder in der Ethikkommission der österreichischen Bundesregierung tätig.

Arbeit&Wirtschaft: Herr Professor, »Endlich unendlich« heißt Ihr Buch über das Altern und die moderne Biomedizin. Ich frage Sie wie im Untertitel: »Und wie alt wollen Sie werden?«

Markus Hengstschläger: Ich bin mit der aktuellen durchschnittlichen Lebenserwartung durchaus zufrieden.

Und wie lange wollen Sie arbeiten?

Nachdem ich ja im wissenschaftlich vorklinischen Bereich tätig bin, so lange ich kann, aus heutiger Sicht - so lange ich gesund bleibe - bis 70, 75.

Andererseits gelten 45-Jährige heute am Arbeitsplatz schon als alt.

Auch am Arbeitsplatz muss - wie ich in meinem Buch erkläre - zwischen Körperlichem und Geistigem unterschieden werden. Die durchschnittliche Lebenserwartung ist bis jetzt enorm gestiegen und steigt nach wie vor. Ein Kind, das jetzt geboren wird, hat eine 1:1-Chance 2108 seinen hundertsten Geburtstag zu feiern. Daraus ergibt sich wiederum die Frage: Werden die Menschen länger jung oder länger alt sein? Wenn wir einen Menschen, der heute 60 ist, mit einem vergleichen, der vor dreihundert Jahren 60 war, ist der heute biologisch viel, viel jünger als derjenige, der damals gleich lang gelebt hat.
Der entscheidende Punkt ist: Wir sind ja, was das biologische Alter anlangt, schon verjüngt. Das hat die Konsequenz, dass man natürlich auch fitter am Arbeitsplatz sein könnte, gäbe es nicht noch andere Komponenten. Die körperliche »Verjüngung« des biologischen Alters haben wir gut im Griff, jetzt werden wir uns natürlich fragen müssen, können wir auch die geistige Vitalität so aufrecht erhalten?
Die These meines Buches besagt, dass es keine höchste Lebensspanne für den Menschen gibt. Die Wissenschaft beweist uns, dass man bei der Fliege, dem Fadenwurm oder der Maus, das Leben verlängern kann. Und wer es bei der Maus kann, kann es bis zu einem gewissen Grad auch beim Menschen. Allerdings sind diese ganzen Ergebnisse nicht eins zu eins auf den Menschen übertragbar. Bei der Maus wurde durch eine Kalorienreduktion das Leben um 60 Prozent verlängert. Für Menschen wäre das so nicht so anwendbar und wohl auch nicht lebenswert.
Ich glaube, dass wir in hundert oder zweihundert Jahren, wenn die Lebenserwartung weiter steigt, das in unseren Köpfen sitzende Höchstalter von 120 überschreiten werden. Ich stelle immer wieder gerne die Frage: Kann man das Altern aufhalten? Sie werden jetzt vielleicht sagen, man steht in der Früh auf und am Abend  ist man einen Tag gealtert. Das Alter in Zeit gemessen werden wir tatsächlich nicht ändern können. Veränderbar ist aber das, worauf es uns ankommt: Vitalität, Lebensqualität, Gesundheit, Fitness, Wellness. Da kann man vieles erreichen und hat man auch viel erreicht. Und ein gesunder Mensch ist ja auch ein gut arbeitender Mensch, geistig und körperlich. Daher müssen wir auch mit einer unglaublichen Veränderung der Arbeitswelt rechnen. Wie wir sie ja auch im Übrigen schon jetzt zu handhaben haben. Also nicht nur, dass wir es uns leisten können, dass die Menschen so alt werden, müssen wir uns schon auch mit der Frage konfrontieren, warum sollen die dann nicht arbeiten - zumindest länger als in der Vergangenheit.

Wenn wir also alle älter werden, wer soll das bezahlen?

Nun ja, was ich in meinem Buch andenke, ist visionär, trifft also weder morgen noch übermorgen ein. Hätte man einem alten Römer, der eine durchschnittliche Lebenserwartung von 22 Jahren hatte, gesagt, dass es einmal eine durchschnittliche Lebenserwartung von 70 bis 80 gibt, hätte er geantwortet: Das könnt ihr euch gar nicht leisten. Was macht ihr mit all diesen alten Menschen? Jetzt leben wir hier in Österreich in einer Gesellschaft, wo man 70, 80 werden kann und kommen ganz gut damit zurecht. Natürlich müssen wir auch für die Arbeitswelt Konzepte entwickeln für eine fernere Zukunft mit gesteigerter Lebenserwartung. Es ist sicher nicht zu früh, jetzt darüber nachzudenken.
Naturwissenschaftliche und medizinische Errungenschaften müssen immer von politischen, ethischen, juristischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Diskussionen begleitet werden, Regelungen müssen entwickelt werden. Ich bringe da gerne das Beispiel der Organtransplantation. Vor 50 Jahren hätten wir nie geglaubt, dass es einmal so hohe Zahlen an Transplantationen in Mitteleuropa geben wird, bei denen man sogar Herzen und Lungen austauscht. Auch das wurde von Diskussionen begleitet.
Und jetzt sind wir wieder einen Schritt weiter mit Gentechnik, Stammzellen oder Nanotechnologie. Da kann vieles noch kommen, was wir heute noch gar nicht ahnen. Vieles von dem, was - als ich vor zwanzig Jahren Genetik studiert habe - als wahr gegolten hat, ist heute längst widerlegt. Hätte man mir damals gesagt, man wird ein Schaf klonen oder das Genom des Menschen aufschlüsseln, ich hätte widersprochen.
Was wird aber in 200 Jahren sein, wenn in den letzten 20 Jahren schon so viel passiert ist? Die Zunahme an fortschrittlichen Entwicklungen ist exponentiell. In 200 Jahren werden Dinge Alltag sein, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen können. Wir werden gesünder älter werden. Und dann müssen wir uns überlegen, was sind die Konsequenzen für die Gesellschaft? Es ist klar, dass der Hundertjährige, der gesund, fit und vital ist, eines Tages seine Rechte einfordern wird, genauso wie man ihm Pflichten zumuten muss. Wer fühlt sich heute mit 60 alt? Viele beginnen neue Ausbildungen, reisen, betreiben Sport.

Als Humangenetiker sind Sie in vielen Ethikkommissionen, wird da über diese Themen diskutiert?

Mein Fach wirft sehr viele ethische Fragen auf, ähnlich den Organtransplantationen vor 40 Jahren. Ich bin ein pragmatischer Ethiker, konfrontiert mit dem Alltag. Wer heute an Stammzellen forscht oder genetische Routinediagnostik macht, hat täglich damit zu tun und muss Probleme lösen. Da gibt es Pro und Kontra.
Die Naturwissenschaften sind ja sehr international, in unserem Labor sind die verschiedensten Nationalitäten vertreten. Gerade Ethikfragen sind aber kulturabhängig. Manchmal denken wir, wir hier in Mitteleuropa sind die Welt. Dabei gibt es z. B. bei Genetik oder Stammzellenforschung in Asien ganz andere Denkansätze.

Wie es in allen Kulturen auch verschieden Annäherungen zum Alter gibt.

Es ist uns leider passiert, dass das Altern ein so negativ behafteter Begriff ist. Biologisch ist Altern natürlich kein Vorteil, sondern ein Anhäufen von Fehlern. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit für Krankheit. Und wir wissen, dass ein Großteil der Geißeln, die uns heute beschäftigen - Alzheimer, Parkinson etc. -, überhaupt erst entstehen, weil wir älter werden. Was mich aber überrascht ist, dass das Alter neben dem medizinisch-naturwissenschaftlichen Aspekt auch sonst in unserer Gesellschaft nicht positiv behaftet ist - und das versteh ich nicht. Es gibt alte Menschen, die sich gegen Veränderung wehren,  geistig unbeweglich werden. Aber es gibt auch junge Menschen, die das sind. Das muss man individuell nachprüfen, denn es gibt 60-Jährige, die jung sind und für die Arbeitswelt eigentlich wertvoll, und andere sind schon mit 30 Jahren »alt«.

Alt werden und dabei jung bleiben, kostet Geld - sehen Sie hier die Gefahr einer neuen Klassengesellschaft?

Ein soziales Gesundheitssystem, wie wir es in Österreich haben, wird das auffangen. Das müssen wir uns leisten, und das können wir auch. Global schaut das ganz anders aus. Alles was ich in meinem Buch über die Zukunftsvisionen des Alters schreibe, bezieht sich auf eine Gesellschaft, die sich das leisten kann. Die durchschnittliche Lebenserwartung ist nicht überall auf diesem Planeten gleich. In den sogenannten Dritte-Welt-Ländern haben die Menschen eine viel niedrigere Lebenserwartung. Es besteht bereits eine Klassengesellschaft, die vielleicht durch die modernen medizinischen Ansätze noch verstärkt wird. Die europäische Gesellschaft veraltet. In manchen Gegenden Afrikas kennen Kinder keine alten Menschen, fast alle sterben dort jung. Diese Unterschiede werden noch wachsen.

Was kann unsere Gesellschaft tun, um sich auf diese Zukunft vorzubereiten?

Zum einen, sich solidarisieren - das heißt ein Netz zu entwickeln, das dafür sorgt, dass Menschen aufgrund von Krankheit oder Einschränkungen keinen Nachteil erleiden in unserer Gesellschaft. Zumindest sollten die Nachteile so gering wie möglich sein.
Die Arbeitswelt ist wettbewerbsorientiert und Krankheit ist immer ein Wettbewerbsnachteil. Man muss also dafür sorgen, dass älter werden nicht ein Nachteil für den Einzelnen ist, sondern dass es ein Vorteil ist, wenn jemand vital älter wird und seine Erfahrung  einbringt. Wenn man irgendwann mit 75 in Pension geht, wird man mit 75 wohl so vital sein wie heute 65-Jährige. Eine bestimmte Zeitspanne unseres Lebens werden wir immer arbeiten müssen. Die Arbeitsjahre werden mehr, der Prozentsatz im Verhältnis zu unserem Leben wird in etwa gleich bleiben.

Körper und Gehirn können von der Medizin beim sanfteren Altern unterstützt werden, was macht die Seele?

Keine Ahnung - das ist ja auch heute schon schwierig. Die ältere Gesellschaft ist bereits einer anderen psychischen Umgebung ausgesetzt und das steigert sich sicher. Kann der Mensch gerüstet sein für ein Leben mit 100 bis 120 Jahren im Schnitt, berufstätig bis 80? Das ganze System verschiebt sich. Frauen sind bei der Geburt ihres ersten Kindes älter. Noch vor zwei Generationen waren Frauen 20, wenn sie erstmals Mutter wurden, heute sind sie 30. Betrachtet man die durchschnittliche Lebenserwartung, ist eine 30-Jährige heute viel länger Mutter als eine 20-Jährige damals. Wir haben ja schon das Phänomen, dass immer mehr Ururgroßeltern leben. Immer mehr Generationen desselben Stammbaums werden miteinander umgehen lernen müssen. Diese Probleme gibt es ja heute auch schon.
Wenn die demografische Kurve zur Zunahme der durchschnittlichen Lebenserwartung so weiter geht wie bisher, sind wir in 200 Jahren 200.

Sie haben bereits ein Buch geschrieben »Die Macht der Gene« - ist Ihr Forschungsbereich einer, auf den die Wirtschaft versucht besonders zuzugreifen?

Ich war schon Genetiker, als in Österreich das Gentechnikvolksbergehren stattgefunden hat. Ich war damals gerade an der University of Yale. Und damals haben Freunde gesagt, du brauchst gar nicht zurückkommen, 1,3 Mio. Menschen wollen mit Gentechnik nichts zu tun haben. Was damals aber niemandem klar war und auch heute nicht alle wissen: Es gibt kein Insulin, das nicht gentechnisch hergestellt wird, jedes Kind, das in Österreich zur Welt kommt, wird seit 30 Jahren auf genetische Erkrankungen untersucht und vieles mehr. Das Besondere an unserem Fach ist, dass man mittels Genetik etwas über Krankheiten eines Menschen erfahren kann, wenn er noch gesund ist. Wir können sagen, was jemand mit hoher Wahrscheinlichkeit bekommen wird. Das ist für die Wirtschaft hochinteressant. Lebensversicherungen und ArbeitgeberInnen sind an solchen Informationen sehr interessiert. Denken Sie an andere europäische Länder wie England, wo das nicht wie bei uns verboten ist. Ohne Gentest zahlt man für eine Versicherung vielleicht die höhere Prämie.
Das muss man natürlich bei der ethischen Betrachtung unseres Faches beachten. Andererseits, wenn ich weiß, dass jemand ein sehr hohes Herzinfarktrisiko hat, genetisch nachgewiesen, werde ich mir natürlich überlegen, ob ich denjenigen als Piloten einsetze. Das ist eine Gratwanderung. Es gibt großes Interesse an genetischen Daten. Aber wir haben in Österreich ein sehr strenges Gentechnikgesetz, an dem ich mitarbeiten durfte, das derlei Missbrauch verbietet. Wie weit und wie lange man diese Position allerdings international halten kann, ist eine andere Frage. Viele EU-Länder haben das nicht. Ich bin sehr froh darüber, dass das bei uns noch so ist.

A&W: Wir danken für das Gespräch

Interview
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Mehr Infos unter:
de.wikipedia.org/wiki/Hengstschlaeger

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