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Foto | Paul Sturm Christian Felber: »Das Profitinteresse Weniger darf nicht länger über den Interessen der Mehrheit der Menschen und der Umwelt stehen.«
Die Ökonomie des unschuldigen Betruges.

Was lernen wir daraus?

Schwerpunkt

Kritische Stimmen hatten die Lehren bereits gezogen, noch ehe die große Finanzmarktkrise eingetreten war.

Krisen gelten oftmals als Chance. Fast ein Zynismus für jene Menschen, die nun mit ihrer Existenz für das Verzocken öffentlicher Güter bezahlen. Moralische Kategorien wie Gier seien wenig geeignet, die Krise zu erklären oder sie zu bekämpfen, meint der Volkswirt Beat Weber in seiner Analyse »Krise der Finanzmärkte. Krise der Risikoindividualisierung«. Die Schwächen des Finanzsystems als Verwalter öffentlicher Güter, wie Pensionen, Wohnen und vieler anderer Bereiche mehr, sind auch von offizieller Seite eingeräumt worden. Die vorgeschlagenen Reformen - wie Änderungen der Bewertungsregeln, Bilanzierungsvorschriften, der stärkeren Kontrolle von Rating Agenturen oder größere Transparenz - sind bestenfalls eine Weichenstellung innerhalb des gescheiterten Systems, meinen KritikerInnen. Am gescheiterten Modell eines sich selbst regulierenden Marktes würden sie jedoch nichts ändern.

Frühe Prognosen

»Seit in den 1970er-Jahren die ersten größeren Währungsspekulationen begannen, hat sich ein Hang zu finanzieller Spekulation über viele weitere Felder ausgebreitet«, schrieb der frühere deutsche Bundeskanzler Helmut Schmid im Februar 2007 in der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit. Mit hohem Einsatz werde auf die künftige Entwicklung der Preise von Rohstoffen, Aktien, Anleihen, Grundbesitz, Zinsen gewettet. »Zugleich mit dem Spekulationismus erleben wir einen Verlust von Anstand und Moral. Kreditfinanzierte Übernahmen gut gehender Unternehmen sind an der Tagesordnung.« Begleitet von einer »grandiosen Selbstbereicherung« treten Finanzmanager als Eigentümer auf und entscheiden über das Schicksal eines fremden Unternehmens und all seiner Mitarbeiter.

Nicht ohne Staat

Der 2006 verstorbene Wirtschaftswissenschafter John Kenneth Galbraith hatte schon 1950 beschrieben, wie wenig die Wirklichkeit mächtiger Konzerne mit der Theorie sich selbst regulierender Märkte zu tun habe. Das System funktioniere nur, wo es auf eine Gegenmacht wie Gewerkschaften und andere Gesellschaftsgruppen stoße. Wo dieser Gegenpol nicht zustande kommt, müsse der Staat einspringen.
Die Lehre aus der Krise, dass alles schon so oder zumindest so ähnlich bereits da gewesen ist, hilft nicht weiter. Was von den vielen kritischen Stimmen seit langem prophezeit wurde, ist nunmehr eingetreten. In seinen Thesen in »Die Ökonomie des unschuldigen Betrugs«, stützt sich Galbraith auf die Tatsache, dass in modernen Volkswirtschaften Konzerne das Sagen haben, deren Macht von den Eigentümern auf das Management übergegangen ist. Deren Herrschaft, mit allen Möglichkeiten der Selbstbedienung, werde auch durch die eher rituellen Aktionärstreffen keineswegs geschmälert.
Das neoliberale Wirtschaftssystem hat für den Großteil der Menschen nur Nachteile gebracht. »Das Profitinteresse Weniger darf nicht länger über den Interessen der Mehrheit der Menschen und der Umwelt stehen«, meint Christian Felber von Attac Österreich. Die drei großen Forderungen des globalisierungskritischen Netzwerkes Attac sind aktueller denn je: eine globale Finanzmarktaufsicht, welche die Banken weltweit reguliert und »innovative Finanzprodukte« vor der Zulassung prüft. Eine Weltsteuerbehörde mit Einführung einer Transaktionssteuer. Und eine Währungskooperation nach dem Grundgedanken von John Maynard Keynes mit einer globalen Verrechnungseinheit für den Welthandel.
Einstweilen sind Sofortmaßnahmen nötig. »Eine angemessene Realeinkommenserhöhung und eine steuerliche Entlastung der unselbstständig Beschäftigten sind ein Gebot der Stunde«, stellte Wolfgang Katzian, Vorsitzender der Gewerkschaft der Privatangestellten, Druck, Journalismus, Papier (GPA-djp) bei der UNI-Finanz-Konferenz Anfang November fest. Den weltweit rund drei Millionen Beschäftigten des Finanzsektors, so forderten die Delegierten, soll bei der Neuregulierung des Finanzsektors eine gewichtige Stimme eingeräumt werden.
Der Kapitalismus, so hatte John Kenneth Galbraith in der Mitte des vorigen Jahrhunderts geschrieben, würde immerhin aus seinen Krisen lernen. »Einer beginnenden Depression würde heute nicht mit dem unverrückbaren Willen begegnet werden, alles nur noch schlimmer zu machen.« Galbraith verwies auf die Sicherungen, die der Kapitalismus seit der großen Weltwirtschaftskrise 1929 »erfunden« hat: etwa Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Seit 1945 hatte Amerika zehn Rezessionen, aber keine weitere Depression gezählt.

Garanten für weitere Krisen

Als »Garanten für weitere Krisen« bezeichnet das globalisierungskritische Netzwerk den Internationalen Währungsfonds (IWF) und die Welthandelsorganiation (WTO).
»Die von den G20 angekündigte Regulierung der Marktteilnehmer und Produkte auf den Finanzmärkten kommt für Millionen Menschen, die von der Wirtschaftskrise betroffen sind, viel zu spät. Das globale Finanzcasino ist endlich zu schließen. Sich einzelne Spieltische und Gambler näher anzusehen, wird das Problem nicht lösen«, erklärt Christian Felber von Attac Österreich nach dem Finanzkrisengipfel in Washington.
»Für einen grundsätzlichen Politikwechsel sind die G20, vor allem aber der Internationale Währungsfonds und die Weltbank die falschen Institutionen. Diese Form demokratisch nicht legitimierter Gipfel ist zu beenden. Es benötigt ein Gremium unter UN-Führung, an dem alle Länder, Parlamente und sozialen Bewegungen beteiligt sind«, fordert Felber.

Keine Lehren aus der Krise

Scharf kritisiert Attac die Absicht, den IWF zu stärken. »Damit sind neue Krisen programmiert. Der IWF ist mit seiner Liberalisierungs- und Deregulierungspolitik einer der Brandstifter, der munter weiter zündelt.«
In Ungarn, Südafrika, den Seychellen und einigen anderen Ländern wurden in den vergangenen Wochen unter dem Druck des IWF klassisch neoliberale Strukturanpassungsmaßnahmen aufgelegt - inklusive drastischer Zinserhöhungen und Haushaltskürzungen.
Als katastrophal bezeichnet Attac die Absicht der G20, die Doha-Verhandlungsrunde der Welthandelsorganisation zu einem Abschluss zu bringen. Schließlich gehe es bei den WTO-Verhandlungen um eine weitere Liberalisierung der Finanzmärkte. »Das Abkommen zur Deregulierung von Buchhaltungsstandards liegt schon fertig auf dem Tisch und würde im Falle eines Doha-Abschluss automatisch in Kraft treten.
Das internationale Finanzsystem ist kollabiert, es droht eine Weltwirtschaftskrise. Die Maßnahmen weisen auf keine Veränderungen des bisherigen Weges hin. »Was mich am meisten beunruhigt«, meint der Philosoph Jürgen Habermas, »ist die himmelschreiende soziale Ungerechtigkeit. Die sozialisierten Kosten des Systemversagens treffen die verletzbarsten sozialen Gruppen am härtesten.« Nun würde die Masse derer, die ohnehin nicht zu den Globalisierungsgewinnern gehören, für die realwirtschaftlichen Folgen einer vorhersehbaren Funktionsstörung des Finanzsystems noch einmal zur Kasse gebeten. Und dies nicht wie die Aktienbesitzer in Geldwerten, sondern in der harten Währung ihrer alltäglichen Existenz.«

Weblinks
Christian Felber
www.christian-felber.at
Attac Austria
www.attac.at
Interessante Beiträge zum Thema finden Sie auch auf der Homepage des Beirats für gesellschafts-, wirtschafts- und umweltpoltische Alternativen
www.beigewum.at

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