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Foto | Paul Sturm Der VinziMarkt führt Obst, Gemüse und Brot als ständige Produktgruppen. Brot wird hier gratis abgegeben, nach dem Bibelwort: »Unser täglich Brot gib uns heute«.

Zu arm für Gemüse

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Klingt seltsam, ist aber für viele Menschen in unserem Land traurige Realität. Sozialmärkte können nur teilweise Abhilfe schaffen.

Zuerst kamen die Nachrichten aus Italien: MindestrentnerInnen würden aufgrund der rasant steigenden Lebensmittelpreise immer öfter beim Stehlen in Supermärkten erwischt. In Deutschland bieten Berlin und einige ehemals ostdeutsche Städte wieder Gratisausspeisungen für Kinder an: »Damit die wenigstens einmal am Tag ein gesundes und warmes Essen in den Magen bekommen.« Und Österreich? Wer vor einigen Wochen im ORF »Am Schauplatz« schaute, bekam junge Menschen zu sehen, die Lebensmittel aus den Müllcontainern der Supermärkte fischten und so ihre Lebenshaltungskosten senkten, und er sah Menschen, die nach den Entemaschinen Gemüse auf den Feldern einsammelten - zum Eigenbedarf.

Nudeln um 39 Prozent teurer

Auch bei uns schnellte der Preis für Nudeln in nur einem Jahr um 39 Prozent in die Höhe. Auch bei uns leben Menschen am Rande der Armut. Denn es trifft immer mehr: Alleinerzieherinnen schaffen es ebenso knapp wie viele Studenten; Arbeitslose haben oft auch nur das allernotwendigste zum Leben, weil neben den Mieten und Energiepreisen auch die Lebensmittelpreise rasant ansteigen.
Sozialmärkte, sogenannte SOMAS, versuchen Abhilfe zu schaffen: Mit günstigen Lebensmitteln, Überschussproduktion oder Ware mit Verpackungsschäden versuchen die mittlerweile zahlreichen SOMAs Österreichs ein wenig Erleichterung für die knappen Budgets von Menschen am Rande der Armut zu bringen.
Auch wenn sich vor den Sozialmärkten die Menschen drängen, nicht jeder ist begeistert über die neue Entwicklung: Der sozialpolitische Arbeitskreis Tirol geißelt die Sozialmärkte als Almosenprojekte, die nicht vor Armut und Ausgrenzung schützen: »Nur Leistungen mit Rechtsanspruch bieten für Menschen in existenziellen Notlagen eine Grundvoraussetzung für soziale Absicherung und gesellschaftliche Reintegration. Laut einer Studie des Europäischen Zentrums haben in Österreich 62 Prozent aller Anspruchsberechtigten Grundsicherung beziehungsweise Sozialhilfe nicht in Anspruch genommen.« Der ÖGB sieht das anders. Er unterstützt die Sozialmärkte als »eine beispielgebende Initiative gegen die Armut. SOMAS sind eine wesentliche Ergänzung zur staatlichen Armutsbekämpfung«, so Renate Czeskleba, Leiterin des ÖGB-Referates Humanisierung, Technologie und Umwelt.
Für die Menschen, die sich schon in der Früh beim Sozialmarkt in der Braunspergengasse in Wien-Favoriten anstellen, liegt die Wahrheit in der Mitte: »Hier gibt es oft Dinge, die ich mir auch beim Diskonter nicht leisten könnte: Süßigkeiten für meine Enkerln zum Beispiel«, so eine Rentnerin die zur Stammkundschaft gehört. Kritisiert wird, dass es oft gerade bei den Grundnahrungsmittel viel zu wenig Angebot gibt, und Obst oder Gemüse so gut wie gar nicht den Weg in manche Sozialmärkte findet, dabei gehört gerade diese Frischware mittlerweile für viele Menschen zum Luxus.

Kampf gegen Mangelernährung

In Deutschland gibt es daher Sozialmärkte, die nicht nur den Kampf gegen die Armut aufgenommen haben, sondern auch den Kampf gegen Mangel- oder Fehlernährung: Einige deutsche SOMAS geben an ihre Kunden/Kundinnen gezielt und regelmäßig Obst und Gemüse ab. Viele kaufen das, wenn die Spenden nicht reichen, aus den erwirtschafteten Überschüssen auch zu. Der Grund: Gerade die, die am Rande der Armut leben, ernähren sich oft ungesund. Große Mengen an Fett und leeren Kohlenhydraten machen zwar satt aber nicht gesund.
In Österreich ist das derzeit nicht üblich. Im Gegenteil: So mancher Sozialmarkt hat einen Gutteil an vorrätigen Lebensmitteln von großzügigen Lebensmittelkonzernen, die zum Beispiel fehl verpackte Süßigkeiten und Knabberzeug liefern. Das führt dazu, dass sich zwar viele KäuferInnen freuen, wenn sie um bis zu ein Drittel verbilligte Süßwaren ergattern - für viele von ihnen ist das tatsächlich die einzige Möglichkeit sich so etwas leisten zu können - für die tägliche gesunde Ernährung findet sich aber oftmals nur ein Vollkornbrot, gespendet von einer der zahlreichen Großbäckereien.

Illustre Firmen liefern

Der erste Sozialmarkt Wiens hat seit Mai dieses Jahres geöffnet: Über 5.000 Menschen haben sich bereits einen Sozialmarktausweis organisiert und nutzen die Möglichkeit, Lebensmittel zu verbilligten Preisen einzukaufen. Unter den Lieferanten des Marktes in Wien Favoriten sind so illustre Firmen wie Coca Cola, Wiesbauer, Recheis, Darbo, Felix und Manner zu finden. Doch die Waren des täglichen Bedarfes Öl, Margarine und frisches Obst und Gemüse sind selten und entsprechend begehrt. Doch auch wenn die Sozialmärkte keine »Vollversorgung« für Bedürftige bieten können, in Wien eröffnete vor kurzem auch im 7. Bezirk ein Sozialmarkt, der schon in den ersten Tagen richtiggehend »gestürmt« wurde. Und im benachbarten Bezirk Mariahilf (Wallgasse 6) arbeitet Pfarrer Wolfgang Pucher an einem VinziMarkt.
Wer sich jetzt vorstellt, dass in den SOMAS nur Menschen einkaufen, die ganz unten angekommen sind, der irrt. In Zeiten wie diesen, sind auch AlleinverdienerInnen oder kinderreiche Familien von Armut bedroht. Schon der Ausfall eines wichtigen Haushaltsgerätes oder ein Problem mit dem Auto können das System endgültig zum Kippen bringen. Und dass all die Menschen, die versuchen von McJobs ihr Leben zu fristen, ohne Problem ihren täglichen Einkauf im Supermarkt erledigen können, glauben ohnehin nur noch Optimisten.
Wer in den Sozialmärkten einkaufen will, muss mittels Einkommensnachweis seine Bedürftigkeit nachweisen: In der Regel gilt: Das Einkommen darf 800 Euro pro Monat nicht überschreiten.
Doch die Sozialmärkte tun noch mehr, als Menschen mit preisgünstigen Lebensmitteln versorgen: Sie bringen Produkte in Verkehr, die ohne ihr Zutun zum größten Teil entsorgt worden wären. Und viele Sozialmärkte dienen gleichzeitig einem »arbeitsmarktpolitischen« Zweck: Die MitarbeiterInnen sind vielfach Langzeitarbeitslose, die in den SOMAS wieder in den regulären ersten Arbeitsmarkt eingegliedert werden sollen.
Neben den »klassischen« SOMAS gibt es auch alternative Modelle, die daran arbeiten, dass in Zeiten der Krise auch Menschen ohne Rücklagen eine ausreichende und abwechslungsreiche Versorgung sichergestellt bekommen: In Kapfenberg hat nun der »Einer für alle-Markt« eröffnet - kein Sozialmarkt, sondern ein sozialer Nahversorger, in dem billiger eingekauft werden kann. Jeder, dessen Einkommen nicht mehr als 900 Euro netto beträgt, kann eine Chipkarte beantragen und um 30 Prozent billiger einkaufen. Geführt wird der neue Nahversorger vom Verein Pro Mente, die Gemeinde übernimmt die laufenden Kosten.  Der Vorteil ist ein doppelter: Erstens müssen sich die KonsumentInnen nicht outen, indem sie in den SOMA gehen, und zweitens können sie auf ein Vollsortiment zurückgreifen. Die Nachfrage nach billigen Lebensmittel geht heute weit über die »klassisch« Armutsgefährdeten hinaus. So zählt Heidi Anderhuber Geschäftsführerin der beiden Grazer VinziMärkte MindestpensionistInnen, Studierende, AlleinerzieherInnen, aber auch AsylwerberInnen zum Kundenkreis: »Insgesamt haben wir 35 Nationen unter unseren Kunden.«
Der VinziMarkt in Graz-Eggenberg führt, anders als andere SOMAS vor allem Obst, Gemüse und Brot als ständige Produktgruppen. Brot wird hier gratis an die KäuferInnen abgegeben, nach dem Bibelwort: »Unser tägliche Brot gib uns heute.« Ansonsten regiert auch hier der Zufall: Falsch verpackte oder etikettierte Ware, Produkte kurz vor dem Erreichen des Ablaufdatums finden sich hier ebenso wie eine Palette Kernöl, die der Hersteller abgegeben hat, weil der deutsche Kunde sie nicht übernehmen wollte. Es waren chinesische Kerne verpresst worden.

Bedarf steigt weiter

Mittlerweile existieren SOMAs, VinziMärkte oder vergleichbare Konzepte in allen Bundesländern. Der Bedarf steigt weiter an. Die Betreiber vernetzen sich und verbessern so die Versorgung mit Waren in den einzelnen Märkten. Auch Vereine wie die Wiener Tafel tragen dazu bei, dass einwandfreie Ware, die in unserer Überschussgesellschaft aus unterschiedlichen Gründen entsorgt werden müsste, den Weg zu Bedürftigen finden. Sie alle freuen sich über Unterstützung von BetriebsrätInnen aus der Lebensmittelbranche.
All diese Einrichtungen können die Gesellschaft aber nicht aus der Pflicht nehmen, Rahmenbedingungen zu schaffen, die es ermöglichen, dass alle Menschen ohne auf Almosen angewiesen zu sein, sich eine ausreichende Versorgung an Lebensmittel zu beschaffen. Ohne Berechtigungskarte und Good-will-Aktionen der Lebensmittelindustrie.

Weblinks
Soma:
www.Sozialmarkt.at
Wiener Tafel:
www.wienertafel.at
Pro Mente Steiermark:
www.promentesteiermark.at
VinziMärkte:
www.vinzi.at

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