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Univ. Prof. Dr. Erich Kirchler

Rette sich, wer kann

Interview

Wirtschaftspsychologe Dr. Erich Kirchler über Wirtschaftspsychiatrie, die Projekttheorie und das gesellschaftliche Wertesystem.

Zur Person
Univ.-Prof. Dr. Erich Kirchler
Geboren: 4. November 1954 in Sand in Taufers, Südtirol, Italien
1979 Promotion zum Dr. phil, Psychologie und Humanbiologie, Universität Wien
1989 Habilitation
1979-1992 Lehrtätigkeit, Johannes-Kepler-Universiät, Linz
seit 10/1992 Universitätsprofessor, Institut für Psychologie, Universität Wien
seit 1993 Abteilungsleitung (Arbeitsgruppe Angewandte und Klinische Psychologie)
1998-2001 Vorstand des Institutes für Psychologie
2004-2006 Vorstand des Institutes für Wirtschaftspsychologie, Bildungspsychologie und Evaluation, seit 2006 stv. Vorstand
2004-2006 Vizedekan der Fakultät für Psychologie

Arbeit&Wirtschaft: Herr Professor Kirchler, »Die Zeit ist aus den Fugen«, dieser Satz aus Shakespeares Hamlet ist aktueller denn je. Der Kapitalismus hat sich überhitzt, ein Bankencrash in den USA erweiterte sich zur weltweiten Finanzkrise. Wie sehen Sie als Wirtschaftspsychologe diese Dynamik?

Erich Kirchler: Über die vergangenen Jahre hinweg wurde vor allem ein Ziel verfolgt: schnelle Gewinne. Die verantwortlichen Manager waren aus der Verantwortung der Art der Gewinnerzielung weitgehend entlassen. Hinter der Leichtfertigkeit, mit der Kapital verspielt wurde, steckt das Gefühl, alles im Griff zu haben, der Glaube, besser zu sein als die anderen. Wir nennen das »overconfidence«, ein Phänomen, das uns überall begegnet, so glauben weit mehr als 50 Prozent der Autofahrer, besser zu fahren als der Durchschnitt. Für Manager gilt diese overconfidence auch. Sie führte, gepaart mit der Geschwindigkeit, mit der Gewinne eingefahren werden, in die Krise. In der Politik ist das inzwischen ähnlich - die jetzige Regierung muss Erfolge einfahren statt vorzubauen und mittel- und langfristig Gewinne anzustreben, die eine nächste Regierung erntet. Nachhaltigkeit wird gefordert, aber nicht praktiziert. Anleger wurden über Risiken informiert, aber die Aufmerksamkeit wurde auf Gewinne und zu wenig auf Verlustrisiken gelenkt. In letzter Zeit macht der Begriff »Wirtschaftspsychiatrie« die Runde.
Die Lage erscheint problematisch: nicht mehr der Psychologe ist gefragt, der sich mit »gesunden« Menschen beschäftigt, sondern der Arzt, der dem schwer kranken Patienten mit starken Medikamenten gegen die Psychose zu Hilfe kommen soll. Wir spüren die Auswirkungen noch nicht, trotzdem haben die Menschen Ängste.
Mit dem Ende des Kommunismus haben wir uns in Richtung Kapitalismus bewegt. Der Staat hat sich tendenziell aus der sozialen Verantwortung zurückgezogen und uns aufgefordert, selbst für uns zu sorgen. Wenn plötzlich die anscheinend sichere Pensionsvorsorge, auf die gehofft wird, wackelt, rezipiert man die Krise.

Welche Mechanismen laufen ab, dass die Menschen panikartig reagieren und in manchen Banken Schlange stehen, um ihr Geld abzuholen?

Anfangs unklare Informationen lösten Unsicherheit aus. Die Menschen reagierten zunächst mit Abwarten. Meist tut man in einer unsicheren Lage lieber nichts, als vielleicht eine falsche Handlung zu setzen. Man kann mit Abwarten falsch liegen, aber das ist leichter zu ertragen, als sich im Nachhinein sagen zu müssen: Ich habe die falsche Handlung gesetzt, die hat mich in den Ruin getrieben. Kahneman und Tversky haben mit ihrer Prospekttheorie herausgefunden, dass Menschen in Gewinnsituationen sehr risikoscheu werden - sie wählen von zwei Alternativen die sichere. Verluste wiegen stärker als Gewinne. Aus diesem Gefühl heraus tendieren die Menschen bei drohendem Verlust zu riskanten Alternativen, eben mit dem Ziel, den Verlust zumindest teilweise wettmachen zu können. Als die Verluste größer wurden, kam panische Bewegung in die Starre.

Gibt es eine soziale Ansteckung?

Ja, aber reden wir nicht von sozialer Ansteckung. Die Gründe für die Finanzkrise sind rein ökonomisch. Als die Meldungen aus New York kamen, dass die US-Investmentbank Lehmann Brothers kracht, waren alle überrascht, dass das dieser Bank passiert, und dass die Regierung nicht sofort eingegriffen hat. Sowie der drohende Dominoeffekt bekannt wurde, und dass diese Krise auf Europa überschwappen wird, wurde den Menschen bewusst, dass sich das Debakel global auf alle Wirtschaften auswirken und andauern wird.

Schlägt das Pendel mit dem Kippen des Kapitalismus wieder Richtung Verstaatlichung und Kommunismus aus?

Prinzipiell bewegen sich Entwicklungen oft von einem Extrem in eine moderate Lage, dann ins andere Extrem und wieder zurück. Die Zukunft lässt sich nicht voraussagen. Aber wir haben jetzt gelernt, dass die Welt kleiner geworden ist. Wenn etwas in den USA passiert, betrifft es uns, aber auch China, Indien usw. Diese dichte Vernetzung war zwar vorher in aller Munde, aber sie war nicht spürbar. Und wir haben gelernt, dass die Veränderung sehr schnell passieren kann. Auch für mich ist es neu, dass sich ein Feuer in wenigen Tagen so flächendeckend entfachen kann.

Oft ist von der Gier des Marktes die Rede. Hängen Gier und Angst zusammen?
Gier und Angst sehe ich nicht als Gegenpole. Gier bedeutet auch Schuldzuweisung und ist eine einfache Erklärung für das jetzige Debakel. Es handelt sich meistens um Streben nach mehr, und das ist nicht schlecht, sondern der Motor des Fortschritts. Die Gier der Einzelnen gibt es zwar, aber man muss die Fehler im System suchen. Auch wir als kleine Anleger wollen schnell zu Geld kommen und lassen damit die Nachhaltigkeit außer Acht.

Was treibt die Menschen an, nicht genug zu kriegen, obwohl jeder am Ende nichts mitnehmen kann?

Es sind allzumenschliche Motive. Geld steht für Macht und Prestige. Mit Geld kann man fast alles kaufen: Zuneigung, Erotik, Freundschaft, ja sogar Liebe. Geld hat Sexappeal. Auch wenn man genug hat, vergleicht man sich nicht mit den Nachbarn, den Armen im Land oder der Dritten Welt, sondern mit dem, der noch mehr hat. Trotzdem stellt sich die Frage: Warum tut ein Mensch sich solchen Stress an? Schnelle Gewinne bedeuten viel Stress.
Die Banken werben mit Vertrauen, Vorsorge und Sicherheit für die Zukunft, das Gegenteil haben sie gemacht. Lässt sich Vertrauen überhaupt wieder aufbauen?
Beim Vertrauen in Geldinstitute ist es wie mit dem Vertrauen in einer Beziehung: Zerstört ist es schnell, bis es wieder wächst, dauert es lang. Vertrauen ist ein Gefühl, aber auch rationales Abwägen und Kalkül. Es muss gesichert sein, dass der andere Schwachstellen nicht für sich ausnutzt. Bankinstitute sollten schwer verdiente Ersparnisse verwalten, stattdessen haben sie über die Maßen gezockt. Meine Antwort: Es  wird lange dauern, bis Vertrauen wieder vorhanden ist. Zuerst müssen die Banken den Beweis erbringen, dass sie im Dienste ihrer Kunden arbeiten. Notwendig sind auch Maßnahmen gesetzlicher Regelungen vonseiten der Politik und Einhaltung der Wirtschaftsethik.

Was sind die Grundregeln der Wirtschaftsethik?

Es geht um die Einhaltung des gesellschaftlichen Wertesystems. Dazu gehören Versprechen, die eine reale Grundlage haben, Umweltschutz, menschengerechte Arbeitsbedingungen. Das Problem ist nicht nur, dass nicht nur die Wirtschaft diese Regeln nicht einhält, sondern dass auch die Konsumenten nicht sanktionieren, was ethisch nicht korrekt ist. Nehmen Sie nur die billigen Modegeschäfte - alle laufen hin, obwohl klar ist, dass die Kleidungsstücke oft unter unmenschlichen Arbeitsbedingungen produziert wurden.

Welche Maßnahmen gibt es, um die Situation zu stabilisieren - zumindest in Österreich?

Mir scheint es richtig, dass der Staat sich eingemischt hat. Es hat sich gezeigt, dass die Wirtschaft Blüten treibt, die uns schaden. Damit ist auch das reine Kapitalismusexperiment geplatzt. Das zeigt, wie notwendig die Rolle des Staates ist. Es muss Regelungen geben, die nachhaltiges Managen verlangen. Und die Wirtschaft muss auch für die Gesellschaft Verantwortung übernehmen, was sie zu wenig tut. Die Liberalisierung des Arbeitsmarktes ist gang und gebe. Die Wirtschaft hat sich viel Macht angeeignet. Wenn eine große Firma zuerst Fördergelder konsumiert und dann in den Osten zieht, weil dort die Arbeitskräfte billiger sind und Arbeitslosigkeit zurücklässt, kann die Politik oft nur noch »zuschauen«. Wir sind mit prekären Arbeitsplätzen konfrontiert, mit Leiharbeit oder der Generation Praktikum. ArbeitnehmerInnen müssen Konzessionen machen, die sie vor zehn Jahren nicht gemacht hätten. Da braucht es einen starken Gegenspieler, der die Kontrolle mit übernimmt. Und das kann nur der Staat sein.

Wir danken für das Gespräch!

Weblinks
Mehr Infos unter:
erich.kirchler@univie.ac.at

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