topimage
Arbeit&Wirtschaft
Arbeit & Wirtschaft
Arbeit&Wirtschaft - das magazin!
Blog
Facebook
Twitter
Suche
Abonnement
http://www.arbeiterkammer.at/
http://www.oegb.at/
Foto | Paul Sturm Kurt W. Rothschild: »Mit Eigenkapital kann man machen, was man will. Aber Banken geben Kredite mit Krediten, die sie selbst aufgenommen haben.«
Foto | Paul Sturm
Die politischen Visionen großer Ökonomen

Jetzt investieren

Interview

Der Doyen der österreichischen Wirtschaftswissenschaften, Dr. Kurt W. Rothschild, über die Finanzmarktkrise und den angeschlagenen Neoliberalismus.

Zur Person
Univ. Prof. Dr. Kurt W. Rothschild
Geboren: 21. Oktober 1914 in Wien
1938 Dr. jur., Universität Wien
1940 M. A. Economics and political philosophy, University of Glasgow
1940-47 Assistant Lecturer und Lecturer
1947-66 Wissenschaftlicher Referent am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung in Wien
1966-85 Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Linz

Arbeit&Wirtschaft: Herr Professor, Sie haben den Neoliberalismus in Interviews immer wieder kritisiert. Sie haben vieles von dem, was jetzt mit der Finanzmarktkrise eingetroffen ist, bereits prognostiziert. War das so einfach vorauszusehen?

Kurt W. Rothschild: Ein großer Teil der ökonomischen Profession hat das vorausgesehen - aber keiner hat vorausgesehen, dass diese Finanzkrise sich in ihrem Umfang und in ihrem Charakter so stark von den früheren unterscheiden wird. Durch die Globalisierung hat sie ein ganz anderes Ausmaß und sie hat ihren Ausgang in den USA genommen, dem Land, das die Weltwährung hat. Sie spielt dadurch eine größere Rolle als frühere Finanzkrisen in Russland oder Mexiko. Bei dieser Krise sind mehrere Ursachen zusammengekommen. Diese Häufung von Schwierigkeiten macht es so schwierig, einen Weg heraus zu finden.

Wo genau liegen die Ursachen der Finanzmarktkrise?

Begonnen hat es mit einer sehr expansiven Geldpolitik in den USA - im Bemühen eine fallende Konjunktur zu beleben. Das hat dazu geführt, dass die Banken viel Geld zur Verfügung hatten. Dafür wurden Kreditmöglichkeiten gesucht - eine Bank lebt ja davon, dass sie Geld aufnimmt und zu höheren Zinssätzen weitergibt. Auf der Suche nach Anlagemöglichkeiten mit guten Renditen sind sie in immer riskantere Bereiche gegangen, z. B. Immobilien. In Amerika leben mehr als die Hälfte der Menschen in eigenen Häusern und finanzieren den Hausbau und Ausbau mit Krediten. Normalerweise werden Kredite nur vergeben, wenn die Leute über genügend Sicherheiten verfügen, um das Geld später zurückzuzahlen. Aber aufgrund der größeren Geldflüssigkeit, haben die Banken immer mehr fragwürdigere Hypothekar-Kredite für nicht gebaute Häuser hergegeben. Das hat zu größerer Bautätigkeit geführt. Die Baupreise sind gestiegen. Viele sind dann auch noch spekulativ eingestiegen. Und so entstand ein Markt - der sogenannte Subprime-Markt - wo in ganz großem Stil Kredite für Häuser und Hausbau an nicht kreditwürdige Menschen und Organisationen vergeben wurden. Dazu noch mit flexiblen Zinssätzen. Die Zinsen stiegen und die Häuser mussten verkauft werden. Die Konjunktur am Häusermarkt ist zusammengebrochen. Spekulationserwartungen konnten nicht erfüllt werden. Das allein hätte nicht genügt. Was dann geschehen ist, ist dass die Banken heftiger versucht haben, diese hohen Renditen zu erhalten und in immer riskantere Geschäfte eingestiegen sind. Je höher das Risiko, desto höher die Rendite. Nun sollten aber Banken, die mit fremdem Kapital arbeiten, nicht zu riskant agieren und die Risiken einschätzen. Dazu gibt es zwei große Rating Agencies mit Sitz in den USA, die weltweit agieren. Die werden allerdings von den Banken bezahlt. Die waren daher - im Interesse ihrer Kunden - »zu optimistisch« und das hat dazu geführt, dass die »faulen Kredite« stark angewachsen sind.
Mit Eigenkapital kann man machen, was man will. Aber Banken geben Kredite mit Krediten, die sie selbst aufgenommen haben. Die Folge ist eine Kette nicht erfüllbarer Schuldverpflichtungen. Das ist weiter verschärft worden durch das Entstehen der sogenannten Hedge-Fonds und Private-Equity, reine Spekulationen. Die haben Kredite aufgenommen, um mitzuspekulieren. Und um die Zinsen auf diese Kredite zu bezahlen, haben sie neue Kredite aufgenommen. Wenn bei so einer Kette von Krediten irgendwo die Rückzahlung ausbleibt, hat das eine Kettenreaktion zur Folge. Und all diese riesigen Kreditaktionen sind auch begierig in anderen Ländern aufgenommen worden in der Hoffnung auf hohe Renditen. Denken Sie an Ackermann, den Chef der Deutschen Bank, der gesagt hat, wenn etwas nicht 25 Prozent Rendite einbringt ist es für mich nicht interessant. So etwas ist verbrecherisch.

Und ist das jetzt auch das Ende des Neoliberalismus?

Nein - leider. Eigentlich weiß keiner genau, wie wir wieder aus dieser Krise herauskommen. Wir haben aus den 30er-Jahren gelernt: Aus der Finanzkrise wurde keine Krise in der Realwirtschaft wie damals. Damals ist die Krise aus enormen Misstrauen und darauf folgenden Run auf die Banken entstanden. Dadurch brach das Geldsystem zusammen. Das hat man jetzt durch die Bankgarantien verhindert. Bis jetzt ist die Öffentlichkeit nicht in Panik geraten.
Banken bauen auf einer gewissen Masse von nationalem Geld Konten auf, die ja auch Geld sind. Diese Konten müssen - wenn es gewünscht wird - in Bargeld umgewandelt werden können. Kippt das Verhältnis kann eine Bank illiquid werden. Sie muss dazu nicht bankrott sein, kann ausstehende Forderungen haben, kann aber die Bargeldwünsche nicht erfüllen. Um das zu verhindern gibt es ein Interbanksystem in allen Ländern.
Dieses System ist jetzt zusammengebrochen. Die Banken haben Angst, dass ihnen andere Banken das geborgte Geld nicht mehr zurückzahlen können. Und das führt dazu, dass jetzt die Regierungen den Banken Geld geben und diese verpflichten, es als Kredite weiterzugeben. Das sind auch Vertrauensfragen, und da ist das Vertrauen noch nicht hergestellt.

Und wie geht es wieder raus aus der Krise?

Das Ganze ist ja nicht nur eine Frage für die Ökonomen, sondern auch eine Frage für die Politologen und Soziologen. Es ist ja nicht nur die Frage: Was könnte man vernünftigerweise tun? Sondern vielmehr auch die Frage: Welche Interessen werden dadurch berührt und können sich durchsetzen? Die Neoliberalisten haben ja nicht umsonst die Befreiung von Kapitalkontrollen gewünscht, sondern weil sie riskante Geschäfte machen wollten. Die haben auch von all dem profitiert. Die Banken haben die Anleihen weiterverkauft an Käufer, die das Risiko nicht einschätzen konnten. Sie haben enorm an diesen Spekulationsgeschäften verdient und haben kein Interesse, dass sie zu sehr eingeschränkt werden. Auch jetzt nicht. Das merkt man eindeutig an den Bankdirektoren bei uns und in Deutschland, die sehr deutlich gesagt haben, sie wollen keine staatliche Hilfe. Die hatten Angst, dass der Staat ein gewisses Mitspracherecht fordert. Und genau das wäre aber notwendig.
Im Grunde gibt es ja zwei Probleme. Erstens: Wie kommen wir aus dieser globalen Finanzkrise wieder heraus? Das ist schwierig, weil man da keinerlei Erfahrung hat. Zweitens: Was muss man machen, dass so etwas in diesem Ausmaß nicht wieder passiert? Ganz verhindern kann man Finanzkrisen im Kapitalismus überhaupt nicht.
Hyman Minsky hat schon vor 30, 40 Jahren vorausgesehen, dass es immer wieder zu einem Kollaps kommen muss. Auf jede Spekulationsblase folgt eine Regulierung. Dann kommt eine ruhigere Zeit. Dann beginnt wieder die Gier nach höheren Renditen und das Spiel fängt von neuem an. Das zu verhindern fordert eben sehr leistungsfähige Kontrollinstrumente. Die gegen die sehr mächtigen neoliberalen Kräfte durchzusetzen wird politisch sehr schwer sein.
Das Modell des Neoliberalismus ist ein logisches und gutes und ideales Modell für die großen multinationalen Finanz- und Realkonzerne. Die sind dadurch immer größer geworden und konnten mehr andere Unternehmen schlucken. Dass die das vertreten haben, ist verständlich. Das Malheur ist leider, dass sie es ideologisch so stark untermauert haben. Ich denk an Parolen wie »weniger Staat, mehr privat« und »individuelle Freiheit«. Das Problem ist, dass diese Ideen Gesellschaft und Parteien durchdringen. Wollen jetzt Regierungen etwas ändern, haben sie keinen Rückhalt bei einer Bevölkerung, die das nicht durchschaut. Also müssen sie mit den Firmen zusammenarbeiten.

Weil sie sonst mit Standortwechsel drohen …

Früher gab es eine Kräftebalance zwischen Staat, Industrie und Gewerkschaften. Sie wollten voneinander etwas und konnten einander etwas geben. Sozialpartnerschaft und Wohlfahrtsstaat haben was gebracht. Man hat den Firmen Möglichkeiten gegeben, sich zu entwickeln. Sie haben sich mit den Gewerkschaften auf Löhne und Regeln geeinigt und die Politik wollte von den einen und den anderen gewählt werden. Das hat sich durch die mikroelektronische Technik radikal verschoben. Sie bot produktions- und organisationstechnisch enorme Möglichkeiten, die Konzerne zu lenken und die Produktion als Ganzes oder in Teilen zu verlagern. Sie hatten Handlungsmöglichkeiten, bei denen weder die Gewerkschaften noch die Nationalstaaten mitspielen konnten.
Es erfordert also viel Optimismus zu sagen, der Neoliberalismus ist tot. Er ist sicherlich angeschlagen. Immerhin sprechen jetzt schon Konservative vom Kasino-, Turbo-, Raubtierkapitalismus. Beim Weg aus der Krise geht es nicht um gute wirtschaftliche Ideen, sondern um ihre Durchsetzung.
Man muss auf zwei Schienen fahren. Einerseits schauen wie man mit der Finanzwirtschaft fertig wird, und andererseits Konjunktur fördernde Maßnahmen einsetzen. Derzeit neigen die Menschen zur Vorsicht. Dabei muss man jetzt investieren.

Das heißt, die Gewerkschaften sollen sich bei den Lohnverhandlungen nicht zurückhalten?

Man darf jetzt nicht mit der Inflationsangst kommen. Seit Jahren hinken die Löhne deutlich hinter der Produktivitätssteigerung zurück. Da wäre jetzt zumindest die »Benya-Formel« angebracht, also Lohnerhöhungen in der Höhe der Inflation plus Anteil am Produktivitätsfortschritt. Die enorme Vermögensverlagerung der vergangenen Jahre muss gestoppt werden. Da ist die Europäische Zentralbank mitverantwortlich. Hinter all dem lauert die Gefahr eines Vertrauensverlusts. Das kann sehr plötzlich eintreten.

Das würde ja an die Krise der 30er-Jahre anschließen. Wie haben Sie die damals erlebt?

Da waren vorher auch die »Roaring Twenties«, da haben die Leute auch an die ewige Konjunktur geglaubt. Aber dann kam die Arbeitslosigkeit. Es ist aber ein Unterschied, ob man heute arbeitslos wird oder damals. Damals, das war Not und Hunger. Heute arbeitslos zu werden - als Einzelschicksal - ist psychologisch schwieriger zu verkraften als damals, als 25 Prozent arbeitslos waren. Da hat man sich ja schon geniert, wenn man nicht arbeitslos war (lacht). Man hat auf das System geschimpft und nicht das Vertrauen in sich selbst verloren.
Der Vorteil dieser Finanzkrise ist, dass man über den Finanzmarkt spricht und der Neoliberalismus diskutiert wird. Das Malheur ist, dass andere Themen verdrängt werden, wie prekäre Arbeitsverhältnisse oder die Umwelt. Da haben kritische Stimmen nicht unrecht: Für das Soziale brauchen wir jetzt eine Expansion der Wirtschaft. Langfristig müsste man aber schauen, bei Ressourcen schonend zu agieren. Diese langfristigen und die unmittelbaren Ziele zusammenzubekommen ist eine schwierige Frage.

Glauben Sie, dass Wirtschaft und Politik in solchen Zeiten näher zusammenrücken?

In Zeiten der Not? Jetzt wollen die Banken Geld vom Staat. Aber auch diejenigen, die das Geld jetzt gerne nehmen, werden schauen, wie sie die staatliche Kontrollen schnell wieder loswerden.
Ralf Dahrendorf hat gesagt, das zwanzigste Jahrhundert war das Jahrhundert der Sozialdemokratie, des Sozialen. Seit den 70er-, 80er-Jahren haben wir eine deutliche Gegenbewegung. Es ist eher ein Abbau des Sozialen. Das kann sich wieder ändern, aber ob sich das durch die Krise schon ausgeht? Wie Nestroy schon gesagt hat: Prognosen sind schwierig ganz besonders, wenn sie die Zukunft betreffen.

Wir danken für das Gespräch.

Kontakt
Schreiben Sie Ihre Meinung
an die Redaktion
aw@oegb.at

Artikel weiterempfehlen

Kommentar verfassen

Teilen |

(C) AK und ÖGB

Impressum