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Die Präsidenten der vier großen Sozialpartnerorganisationen v. l. n. r.: Herbert Tumpel, Rudolf Hundstorfer, Christoph Leitl, Gerhard Wlodkowski.

Die Bewährungsprobe

Aus AK und Gewerkschaften

Bericht über den Bad Ischler Dialog der österreichischen Sozialpartner am 8. und 9. Oktober 2008.

Seit 2006 veranstalten die österreichischen Sozialpartnerorganisationen zu Herbstbeginn den »Bad Ischler Dialog«. Auf dieser Konferenz diskutieren FunktionärInnen und ExpertInnen aus Arbeiterkammer, ÖGB, Wirtschaftskammer und Landwirtschaftskammer Schwerpunktthemen mit VertreterInnen aus Politik und Wissenschaft. In der ersten Veranstaltung 2006 wurde mit der Bad Ischler Deklaration ein neues Grundsatzdokument der Sozialpartnerschaft der Öffentlichkeit vorgestellt. 2007 war die Bildungspolitik das Schwerpunktthema.

Das Europäische Sozialmodell

Der dritte Bad Ischler Dialog am 8./9.Oktober 2008 war unter dem Titel »Ein soziales Europa« dem Thema Europäisches Sozialmodell (ESM) gewidmet. Dazu hatte der Beirat für Wirtschafts- und Sozialfragen ein Positionspapier erstellt.1 Die gefährliche Zuspitzung der internationalen Finanzmarktkrise in den Wochen zuvor und während der Tagung selbst sowie die nun sich immer stärker abzeichnenden Wirkungen auf die Realwirtschaft, d. h. auf Wirtschaftswachstum und Beschäftigung, brachten es mit sich, dass die SpitzenfunktionärInnen der Sozialpartnerorganisationen in ihren Statements ausführlich auch auf die aktuelle Entwicklung eingingen. In den Beiträgen der WissenschafterInnen wurden vielfache Bezüge zwischen dem Tagungsthema und dem Gefahrenpotenzial von Finanzmarktkrisen für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung hergestellt.
Das Beiratspapier über das Europäische Sozialmodell (ESM) hat seine Bedeutung vor allem dadurch, dass darin Sichtweisen und Einschätzungen der Grundlagen der Wirtschafts-, Sozial- und Bildungspolitik in der Europäischen Union abgesteckt werden, die den Interessenorganisationen von ArbeitnehmerInnen und UnternehmerInnen gemeinsam sind. Das ESM sei ein politisches Gesamtkonzept, mit dem einem zunehmenden Unbehagen der Bevölkerung an der EU-Politik begegnet werden kann. In weiten Teilen kann das Dokument als eine Art politische Programmschrift der österreichischen Sozialpartner gelesen werden.

Gesellschaftliche Verantwortung

Als Kernelemente des ESM werden eine Verantwortung der Gesellschaft für die grundlegenden Politikziele wie faire Einkommensverteilung, hohes Beschäftigungsniveau, soziale Absicherung gegen die Risiken Krankheit, Invalidität, Arbeitslosigkeit, Alter, Unterstützung der Familien, Bildungschancen für alle, Absicherung gegen Armut genannt. In einer sich ständig weiterentwickelnden Wirtschaft und Gesellschaft erhebt das ESM den Anspruch, wirtschaftliche Dynamik mit sozialem Fortschritt zu verbinden.
Diese Feststellungen sind eine klare Absage an ein neoliberales Gesellschaftskonzept, das dem Staat als Träger einer solchen gesamtgesellschaftlichen Verantwortung, die er heute in der europäischen Realität zweifellos innehat, mit grundsätzlichem Misstrauen begegnet und seine Rolle wieder zurückdrängen möchte.
Für die ArbeitnehmerInnenseite ist hier vor allem die Akzeptanz der Absicherung der sozialen Risiken als Staatsaufgabe durch die Unternehmerseite wichtig. Gleichzeitig wird in dem Positionspapier auch den meist von UnternehmerInnenseite betonten Aspekten der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft und der langfristigen Finanzierbarkeit der Sozialsysteme Rechnung getragen.

Wichtige Inhalte

Von den aus ArbeitnehmerInnensicht besonders wichtigen Inhalten des Positionspapiers sind beispielhaft die Folgenden zu nennen:

  • Die klare Feststellung, dass die Zukunftsfähigkeit des ESM von der erfolgreichen Umsetzung einer Politik für Wachstum und Beschäftigung abhängt und dies einen entsprechenden makroökonomischen policy-mix auf europäischer Ebene erfordert;
  • ein gemeinsames Bekenntnis zur vorrangigen Nutzung interner Beschäftigungspotenziale (in Hinblick auf Arbeitskräftebedarf und Migration);
  • »mehr und bessere Jobs« im Sinne der Lissabon-Strategie als wichtigste Antwort auf die demographische Herausforderung der nächsten Jahrzehnte;
  • gemeinsame Bereitschaft zur Prüfung alternativer Finanzierungsformen für unser Sozialsystem;
  • gemeinsame Forderung nach Ausbau der Kinderbetreuungsplätze insbesondere für unter Dreijährige; sowie
  • Aufnahme von ILO-Mindestarbeitsnormen in bilaterale und multilaterale Handelsabkommens.

Beispiel für sozialen Dialog

Das Positionspapier kann als ein Beispiel für den sozialen Dialog gesehen werden, der in der Einleitung mit folgender Formel definiert wird: »Interessengegensätze zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern werden in institutionalisierter Form ausgetragen (Kollektivverträge, betriebliche Mitbestimmung); Sozialpartner werden von Regierung in politische Willensbildung einbezogen.«
Die Sozialpartner haben sich in den vergangenen zwei Jahren wieder häufig gemeinsam in die Gestaltung der Wirtschafts-, Sozial- und Bildungspolitik eingebracht, und diese Mitwirkung wurde von der Regierung als positiver Beitrag gesehen.
Es soll dabei aber nicht in Vergessenheit geraten, dass noch wenige Jahre zuvor die Sozialpartnerschaft als Bremsklotz betrachtet und eine andere Regierung bei Entscheidungen über so wichtige Materien wie Reform des Pensionssystems den Dialog mit den Sozialpartnern nicht ernsthaft gesucht hat.

»Reformmaßnahmen«

Von den Wissenschaftern kamen am ersten Tag die Ökonomen zu Wort. Gustav Horn vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der gewerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung in Düsseldorf zeigte am Beispiel der Finanzkrise auf, wie sehr im EU-Binnenmarkt bzw. in der Währungsunion ein einheitliches Vorgehen der Mitgliedsstaaten gefordert sei.
Das Vorpreschen Irlands mit einer 100-prozentigen Staatsgarantie für Bankeinlagen hat zum Abfluss von Spargeldern aus den anderen Mitgliedsstaaten, v. a. aus England, geführt und dort die Bankenkrise verschärft.
Die mangelnde Koordination durch den Rat der Wirtschafts- und Finanzminister (EcoFin)äußert sich in einem Steuersenkungswettbewerb für die Unternehmenssteuern, der zu einer relativen Mehrbelastung der Arbeit als Produktionsfaktor mit negativen Wirkungen auf die Beschäftigung und auf die Finanzierungsbasis des Sozialstaates führt.
Die Finanzkrise, so Horn, sei keine Bestätigung für die Richtigkeit der Geldpolitik der EZB - vielmehr hätte diese mit der am 8. Oktober verfügten Senkung der Leitzinsen indirekt zugeben müssen, dass die erst im Juni erfolgte Erhöhung falsch war. Rolf Kroker vom unternehmernahen Institut der deutschen Wirtschaft in Köln wandte ein, dass zumindest bisher die Sozialquoten in der EU ziemlich konstant geblieben seien und demnach eine Erosion des Sozialstaats kaum erkennbar sei.
Die beste Sozialpolitik sei - so habe schon Ludwig Erhard festgestellt - eine gute Wirtschaftspolitik. Dagegen wandte Horn ein, dass eine gute Wirtschaftspolitik die Grundlage für den sozialen Fortschritt sei, dieser aber nur durch die gestaltende Kraft der Sozialgesetzgebung komme.
In der Diskussion zwischen ÖkonomInnen und PolitikwissenschafterInnen am zweiten Tag ging es um die immer noch geringe politische Bedeutung der EU-Wahlen. PolitikerInnen seien ihren WählerInnen primär auf der nationalstaatlichen Ebene verantwortlich und agieren dementsprechend (Sonja Puntscher-Riekmann, Univ. Salzburg).

Stabilisierender Faktor

Die Präsidenten der vier großen Sozialpartnerorganisationen stimmten darin überein, dass die Wirtschaftspolitik mit einem massiven Konjunkturpaket zur Stärkung von privatem Konsum und Investitionen reagieren muss. Bei einzelnen Maßnahmen zeigten sich dabei auch manche Auffassungsunterschiede zwischen ArbeitnehmerInnen- und ArbeitgeberInnenseite.
Gleichzeitig war die Veranstaltung als solche eine Demonstration der Bereitschaft zum konstruktiven Bemühen um gemeinsame Lösungen. Ronald Barazon, der als Moderator durch die Veranstaltung führte, wies abschließend auf die große Verantwortung der Sozialpartnerschaft als stabilisierender Faktor in einer nach dem Wahlergebnis von 28. September instabiler gewordenen politischen Situation hin.

1 Die hier erwähnten Dokumente sind auf der Website www.sozialpartner.at verfügbar

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Homepage der Sozialpartner mit ausführlichen Berichten aus Bad Ischl:
www.sozialpartner.at

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