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Das große Debakel

Meinung

Zwei schwere Finanzmarktkrisen in kurzer Abfolge sollten Anlass für ein Umdenken in der Wirtschaftspolitik sein.

Die gegenwärtige Finanzkrise ist die zweite schwere Krise dieser Art im noch kurzen 21. Jahrhundert. Beide Krisen haben ihren Ausgang von den USA genommen, wo eine Ideologie der Finanzmarktökonomie beginnend mit der Wahl Ronald Reagans zum Präsidenten 1980, dreißig Jahre die Wirtschaftspolitik beherrscht hat. Der Grundgedanke dieser Ideologie besteht darin, dass der Finanzsektor dem neoklassischen Ideal des »perfekten Marktes« am nächsten kommt. Durch freie Entfaltung der Finanzmärkte würde in allen Bereichen der Produktion Effizienz und Dynamik der gesamten Wirtschaft nachhaltig verbessert, Wachstum und Beschäftigung gesteigert.

»Reformmaßnahmen«

Beeindruckt von den »Erfolgen« dieses Systems, haben nahezu alle Länder der Welt »Reformen« durchgeführt, um den Finanzsektor von hemmenden Fesseln zu befreien bzw. seine Dynamik zu stimulieren. In den EU-Ländern erfolgten diese Reformen in der Rückführung bestimmter Staatsaufgaben in den privaten Bereich: Anstelle der staatlich organisierten Sozialversicherung wurde zwecks Vermehrung des Anlagen suchenden Kapitals private Vorsorge forciert; Staatsunternehmungen und staatlich erbrachte Leistungen wurden privatisiert, um das Angebot an Veranlagungsmöglichkeiten zu erhöhen. Den Entwicklungs-, Schwellen- und Transformationsländern wurde vor allem die Herstellung eines möglichst freien Kapitalverkehrs mit dem Ausland als grundlegende »Reform« empfohlen, um für das internationale Kapital attraktiv zu werden.
Treiber des US-Finanzmarktes waren die »Finanzinnovationen«: in den Achtzigerjahren die »junk bonds« (hoch riskante, mit hohen Ertragserwartungen lancierte Anleihen) zur Finanzierung von feindlichen Firmenübernahmen, in den Neunzigerjahren der massierte Einsatz von venture capital (Risikokapital) zur Finanzierung von Neugründungen im Bereich der new economy. Beim Zusammenbruch der new-economy-Blase 2001/02 war die nächste Vermögenspreishausse bereits im Aufbau begriffen: der Immobilienpreisboom, dessen dubiose Grundlagen inzwischen hinlänglich bekannt sind. Immer war bei diesen »Innovationen« massiver Betrug mit im Spiel - ein Zusammenhang, der kein bloß zufälliger gewesen sein kann. Ein Beispiel für den systematischen Anreiz zum Betrug ist der in den USA neu entwickelte Typ von »Pfandbriefen«. Die ursprünglich den Kredit gewährende Bank scheidet völlig aus dem Schuldverhältnis aus, sodass sich ihr Interesse auf das Kassieren möglichst hoher Abschlussprovisionen und Verkaufserlöse für die Zertifikate konzentriert - ideale Bedingungen also für die bewusste Täuschung der KäuferInnen dieser Wertpapiere.
Der gesetzlich erlaubte Bilanzbetrug wurde v. a. durch das sog. »fair value«-Prinzip ermöglicht, nach dem Vermögensgegenstände, für die es keine börsen- oder sonstigen marktmäßigen Notierungen gibt, nach Ertragserwartungen bewertet werden können, die nach Bedarf optimistisch waren. Damit erfüllten die Manager die Bedingungen für den Bezug ihrer millionenschweren Aktienoptionen.

Misstrauen ist angebracht

Unabhängig von der realen Produktion von Gütern und Dienstleistungen sollte Reichtum vermehrt werden. Diese Vorstellungen haben sich mit dem Finanzdebakel nun in Luft aufgelöst, die Finanzmarktideologie ist diskreditiert. Zwei schwere Krisen in kurzer Abfolge sollten genügend Anlass für ein Umdenken in der Wirtschaftspolitik sein, ihr Augenmerk wieder stärker der Realwirtschaft zuzuwenden, der gegenüber die Finanzmärkte eine untergeordnete Funktion haben sollten. Regulierungen des Bankensektors müssen wesentlich strenger werden, Misstrauen gegen sogenannte »Finanzinnovationen« ist angebracht. Eine wichtige Konsequenz aus der Krise ist, dass nicht private Vorsorge, sondern nur staatliche Systeme ein befriedigendes Maß der sozialen Sicherheit gewährleisten können. Europa sollte den Weg der Nachahmung der USA nicht weitergehen, sondern im Gegenteil dezidiert andere Wege beschreiten.

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