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Jaime Arciniega: »Ich befürchte, der Organisationsgrad ist inzwischen auf nicht mehr als zwei Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung geschrumpft.«

Wende in Ecuador

Schwerpunkt

Der Neoliberalismus setzte den ehemals starken ArbeitnehmerInnenvertretungen im lateinamerikanischen Staat stark zu.

Ecuador ist ein friedliches Land. Ganz im Gegensatz zum Nachbarn Kolumbien, wo in den vergangenen zwei Jahrzehnten mehr als 3.000 KollegInnen wegen ihres gewerkschaftlichen Engagements ermordet wurden, kennt der Andenstaat kaum brutale Repression gegen ArbeitnehmervertreterInnen. Und doch liegt die ecuadorianische Gewerkschaftsbewegung danieder. Der Neoliberalismus mit der Flexibilisierung aller Arbeitsverhältnisse ließen die organisierte Arbeitnehmerschaft radikal schrumpfen. Unter dem neuen Präsidenten Rafael Correa kündigt sich eine interessante Wende an.
Die Zahlen sind ernüchternd: Während sich die Gewerkschaftsbewegung Ecuadors seit dem Ende der sechziger Jahre wie in vielen Teilen Lateinamerikas dynamisch entwickelte, folgte mit der durch die Schuldenerpressung mögliche neoliberale Wende ein weit dramatischerer Rückgang. Heute gibt es in dem Andenstaat weniger Gewerkschaftsorganisationen als zu ihrer Gründerzeit nach dem Zweiten Weltkrieg. »Ich befürchte, der Organisationsgrad ist inzwischen auf nicht mehr als zwei Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung geschrumpft, über genaue Statistiken verfügen wir nicht«, erläutert Jaime Arciniega, der Vorsitzende des mit gut 100.000 Mitgliedern größten Gewerkschaftsbundes CEOSL (Confederación Ecuatoriana de Organizaciones Sindicales Libres - Ecuadorianische Vereinigung der freien Gewerkschaftsorganisationen). Drei weitere Gewerkschaftsbündnisse existieren in Ecuador, was auf eines der hausgemachten Probleme der Bewegung verweist: Mangelnde Einheit aufgrund parteipolitischer Zerstrittenheit und persönlicher Rivalitäten der Führungspersönlichkeiten. Nicht verschweigen will Arciniega die andere Achillesferse der ecuadorianischen Gewerkschaften. »Leider gibt es Fälle des Missbrauchs gewerkschaftlicher Positionen, insbesondere im staatlichen Sektor. Wenn sich beispielsweise im staatlichen Erdölunternehmen einzelne Funktionäre gezielt Abfindungen von mehr als 600.000 Dollar zuschustern, fördert dieses Verhalten das Image der Gewerkschaftsbewegung keinesfalls.«

Hilflos gegen Neoliberalismus

In der Tat sind Gewerkschaften in der ecuadorianischen Bevölkerung nicht sehr populär. Neben der erwähnten Probleme hat eine reale Hilflosigkeit der Gewerkschaften angesichts des seit den achtziger Jahren dominanten neoliberalen Modells dazu beitragen. Das oft sinnentleerte Schlagwort vom Neoliberalismus wird in der Beschreibung der Arbeitswelt des Andenstaates hautnah.
»Seit den achtziger Jahren gab es bei uns aufgrund des Drucks des Internationalen Währungsfonds mehrere Arbeitsreformen. Die Mehrheit der Beschäftigten war bald mit Teilzeit- oder Stundenverträgen ausgestattet«, erläutert Arciniega. »Schlimmer noch war die Einführung eines umfassenden Systems von Subunternehmen, formal hatte die Mehrheit der Beschäftigten bald keine direkten Arbeitsbeziehungen mehr zu dem Betrieb, in dem sie arbeiteten.« Legendär ist das Netz von 300 »Terceriziadoras« bei dem größten Bananenunternehmer und rechtspopulistischem Politiker Alvaro Noboa. Unabhängige Nachforschungen ergaben, dass die Hälfte dieser Subunternehmen offiziell nicht registriert waren, eine staatliche Kontrolle dieser Betriebe gab es nicht. Für die Mehrheit der abhängig Beschäftigten bedeutet dies Arbeit ohne Sozialversicherung und ohne jede Arbeitsplatzsicherheit. Wer mochte sich unter diesen Bedingungen einer Gewerkschaft anschließen, die von den Unternehmern militant abgelehnt werden? »Eine Mitgliedschaft in der Gewerkschaft bedeutet oft automatisch die Kündigung, und die Unternehmen führen schwarze Listen über organisierte KollegInnen«, beschreibt Marcelo Arcos seine Erfahrungen. Er versucht, für die Landarbeitergewerkschaft FENACLE in den Hochtälern rund um die Hauptstadt Quito Arbeiterinnen und Arbeiter aus den Blumenplantagen zu organisieren.

Griff in die Trickkiste

Wo diese Drohungen nicht ausreichen, half bislang ein Griff in die juristische Trick-kiste des Neoliberalismus. Gewerkschaften können in Ecuador legal erst ab 30 Beschäftigten in einem Betrieb gegründet werden. Und da sind dann die Subunternehmen vor, die jeweils mehrere Gruppen von bis zu 29 Personen für einen Betrieb zur Verfügung stellen, damit es Gewerkschaften nicht geben kann.
Die Resultate dieser Politik sind fatal. Nach offiziellen Zahlen ist die Mehrzahl der ecuadorianischen Arbeitsbevölkerung heute in den offiziellen Sektor abgedrängt, als ambulante HändlerInnen, GelegenheitsarbeiterInnen oder Scheinselbstständige. Weniger als ein Fünftel ist noch in das Sozialversicherungssystem integriert, ein Arbeitsunfall oder Krankheit kann so den Absturz in absolutes Elend bedeuten. Die Kluft zwischen Arm und Reich hat sich in den vergangenen beiden Jahrzehnten vertieft. Während sich insbesondere seit der offiziellen Einführung des US-Dollar im Jahr 2000 die ecuadorianischen Oberschichten eines ungebremsten Konsums erfreuen, reichen die offiziellen Mindestlöhne der arbeitenden Bevölkerung in Höhe von 200 Dollar im Monat für ein Leben oberhalb der knapp bemessenen Armutsgrenze nicht aus.
Die Unzufriedenheit mit der Zerstörung jedweder sozialer Sicherheit hat dazu beigetragen, dass sich Ecuador in die lateinamerikanischen Staaten mit »linken« Regierungen eingereiht hat. Ende 2006 stand der fortschrittliche Ökonom Rafael Correa dem bereits erwähnten Bananenkönig Alvaro Noboa bei den Präsidentschaftswahlen gegenüber. Die meisten ecuadorianischen Gewerkschaften nahmen ebenso deutlich Stellung wie die Mehrheit der Bevölkerung - gegen das neoliberale System, für einen Neuanfang unter Correa. Dessen heterogene »Bürgerbewegung« Alianza País dominiert seitdem die Politik des Andenstaates.
Guillermo Touma ist der langjährige Vorsitzende der Landarbeitergewerkschaft FENACLE und kennt die arbeitnehmerfeindliche Politik von Noboa aus direkter Erfahrung. Er führte seine Gewerkschaft in eine direkte Unterstützung für Correa und akzeptierte eine Kandidatur zur neuen verfassungsgebenden Versammlung, die neue Strukturen einer gerechteren Gesellschaft schaffen sollte, um »die lange Nacht des Neoliberalismus zu überwinden«, wie es Correa ausdrückte. »Es war eine sehr bereichernde Erfahrung, als Vertreter der Arbeiter in der verfassungsgebenden Versammlung mitzuwirken«, resümiert Guillermo Touma seine Erfahrungen: »Wir haben die Arbeits- und Gewerkschaftsrechte in der neuen Verfassung deutlich stärken und wichtige Akzente für die Armen setzen können, beispielsweise den freien Zugang zur medizinischen Versorgung und ein allgemeines Sozialversicherungssystem.«
Der größte Erfolg Toumas dürfte die Abschaffung des Subunternehmertums sein. Zunächst ging ein Schrei der Empörung durch die rechte Opposition und Presse, die Unternehmer drohten mit dem Abbau von Arbeitsplätzen. Doch die Realität in den vergangenen Monaten scheint eine andere: Die Zuckerrohrplantagen von San Carlos vergaben an 5.000 Arbeiter ebenso Direktverträge wie die internationale Fast-Food-Kette Kentucky Fried Chicken in ihren ecuadorianischen Niederlassungen und die öffentlichen Betriebe.

Gewerkschaftsgründungen

Touma verweist auf erste neue Gewerkschaftsgründungen im Plantagensektor sowohl bei dem bekannten Bananen-Multi Dole als auch bei den bislang schwer zu organisierenden »russischen« Betrieben, die an der Pazifikküste bereits mehr als 7.000 Hektar Bananenplantagen aufgekauft haben. »Dies war nur möglich, weil die KollegInnen nun zum einen Direktverträge mit der Plantage haben, zum anderen aber auch, weil es eine politische Entscheidung des Arbeitsministers gibt, die Durchsetzung der Arbeitsgesetze im Interesse der Beschäftigten zu überwachen.«
Ende September wurde in Ecuador in einer Volksabstimmung über die Annahme der neuen Verfassung entschieden. Fast 64 Prozent der Stimmberechtigten haben die 444 vorgeschlagenen Artikel angenommen. Verbesserte Arbeitsverhältnisse, die Abschaffung der verhassten Subunternehmer, um fast 30 Prozent erhöhte Mindestlöhne, soziale Gerechtigkeit, kulturelle Vielfalt, Gleichberechtigung, Umweltschutz, Stärkung der Stellung des Präsidenten und zugleich mehr Bürgerbeteiligung, Schutz der nationalen Souveränität, kostenlose Gesundheitsversorgung und Bildung, transparente und effiziente Verwaltung und sogar das Recht auf "Sumak Kawsay", was auf Quechua in etwa "gutes Leben" bedeutet, sind in dem Grundgesetz als Staatsziele verbürgt.


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