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Die letzten landesweiten Großdemonstrationen in Dänemark liegen zehn Jahre zurück. Damals erkämpften sich die Gewerkschaften übrigens nicht weniger als eine sechste Urlaubswoche.

Weltmeister Dänemark?

Schwerpunkt

Drei Viertel der dänischen ArbeitnehmerInnen sind gewerkschaftlich organisiert. Doch auch im hohen Norden kämpft man mit Mitgliederschwund.

Wenn es darum geht, Best-practice-Beispiele für gewerkschaftliche Organisationsdichte zu zitieren, werden seit langem die Länder Nordeuropas als Vorbilder herangezogen. Zwar sind auch sie nicht gefeit vor dem globalen Trend des Mitgliederschwunds. Dennoch bleiben die nordeuropäischen Länder unangefochten Weltmeister in der gewerkschaftlichen Organisation.
Der hohe gewerkschaftliche Organisationsgrad wird in der einschlägigen Literatur als eine wesentliche Ursache für das hohe Niveau der sozialstaatlichen Leistungen in Dänemark bezeichnet. So sind alle EinwohnerInnen Dänemarks von einem steuerfinanzierten Gesundheitssystem erfasst. Die Ersatzrate beim Krankengeld beträgt bis zu 100 Prozent des letzten Einkommens. Eine ebenfalls steuerfinanzierte Grundrente (»Folkepension«) zahlt dänischen PensionsbezieherInnen ab einem Alter von 65 Jahren ca. EUR 1.300 monatliche Pension (ohne Erwerbsarbeitssäule).

Drei Verbände

In Dänemark gibt es drei Gewerkschaftsdachverbände, zu denen zahlreichen Einzelgewerkschaften gehören, die sich die Mitglieder untereinander aufteilen. Insgesamt sind 75 Prozent der dänischen ArbeitnehmerInnen Mitglied einer Gewerkschaft. Der Dachverband LO (Landsorganisationen i Danmark) hat 1,3 Millionen Mitglieder. Die beiden größten Einzelgewerkschaften unter seinem Dach sind die HK Danmark, die unter anderem Privat- und Handelsangestellte organisiert, und die Arbeitergewerkschaft 3F. Insgesamt bilden die ArbeiterInnen die größte Gruppe innerhalb der LO.
Die FTF, der Zentralverband der Angestellten und Beamten, organisiert 450.000 Angestellte im privaten und öffentlichen Bereich und ist damit der zweitgrößte der drei Gewerkschaftsdachverbände Dänemarks. Er vereinigt Berufsgruppen wie LehrerInnen, Krankenschwestern, Bankangestellte oder PolizistInnen. Drei von vier FTF-Mitgliedern arbeiten im öffentlichen Dienst. Die AC (Akademikernes Centralorganisation) ist eine Organisation der AkademikerInnen und stellt den kleinsten der drei Dachverbände dar.
Der Mitgliedsbeitrag in Dänemark wird nicht wie in Österreich als Prozentsatz des Einkommens berechnet, sondern ist, wie zum Beispiel auch in Nordamerika, ein fixer monatlicher Beitrag, der noch dazu von Sektor zu Sektor variiert. Er kann bis zu zwei Prozent eines Durchschnittslohnes betragen. Nur Jugendliche und Teilzeitbeschäftigte bezahlen einen reduzierten Satz, für alle anderen gilt eine flat rate. Ein großer Teil des Mitgliedsbeitrages fließt in die Arbeitslosenversicherung.

Arbeitslosenversicherung

Die Versicherung gegen Arbeitslosigkeit ist in Dänemark freiwillig. ArbeitnehmerInnen, die Mitglied einer Gewerkschaft werden, schließen damit automatisch eine Arbeitslosenversicherung ab. Wer nicht Mitglied einer Gewerkschaft ist, kann seit längerem eine Versicherung auch auf dem freien Markt kaufen. Vielen erscheint jedoch das »Kombipaket« mit der Gewerkschaftsmitgliedschaft immer noch attraktiver.
Flexicurity-Konzept
Im Rahmen des Konzeptes der »Flexicurity«, das Flexibilität am Arbeitsmarkt mit einem hohen Niveau an Sozialleistungen verknüpft, bieten die Arbeitslosenversicherungen nach einer einjährigen Mitgliedschaft eine Ersatzrate bis zu 90 Prozent des Bruttolohnes (für GeringverdienerInnen mit Kind). Die Ersatzrate sinkt, je höher das Einkommen ist. Ein/e alleinstehende/r DurchschnittsverdienerIn bekommt allerdings immer noch eine deutlich höhere Ersatzrate als sie ein/e ÖsterreicherIn unter gleichen Umständen bekommen würde.
Den Betroffenen steht eine Vielzahl von privaten und öffentlichen Fortbildungs- und Umschulungsangeboten offen, die nach einer Arbeitslosigkeit von über einem Jahr verpflichtend werden. Auch müssen Stellen angenommen werden, die deutlich weniger Geld bringen als der letzte Job und mit langen Arbeitswegen verbunden sind. Die Sanktionen sind hart: Das Arbeitslosengeld kann auf einen Schlag für eine Dauer von fünf Wochen gestrichen werden. Dafür bietet der dänische Staat die meisten Stellenangebote in Europa, mit vergleichsweise hohem Lohnniveau und niedriger Arbeitslosigkeit. Auch ältere ArbeitnehmerInnen werden in gleicher Weise gefördert und können aus einer Vielzahl an Weiterbildungsangeboten wählen.

Kollektivverträge

Nicht nur bei der Arbeitslosenversicherung, sondern auch bei den Kollektivvertragsverhandlungen kommt den Gewerkschaften in Dänemark eine noch wesentlichere Rolle zu als in den meisten anderen europäischen Ländern. Schließlich wird der Arbeitsmarkt fast nirgendwo so wenig gesetzlich geregelt wie hier im Norden. So zählt Dänemark neben Zypern, Irland, Italien und Großbritannien zu den fünf europäischen Staaten ohne maximale tägliche Arbeitszeiten. Ohne die EU-Arbeitszeit-Richtlinie könnte in Dänemark die Wochenhöchstarbeitszeit von 48 Stunden noch deutlich überschritten werden. Hier kommt den Kollektivverträgen eine entscheidende Bedeutung zu.
Nach Abschluss der Kollektivvertragsverhandlungen muss sowohl die ArbeitnehmerInnen- als auch die ArbeitgeberInnenseite die Ergebnisse zur Abstimmung vorlegen. Lehnt eine Seite ab, ist der Kollektivvertrag gescheitert und es können Kampfmaßnahmen folgen.

Kündigungsfristen

Dass es in Dänemark generell keine Kündigungsfristen geben soll, kann übrigens getrost ins Reich der Legenden verwiesen werden. Das Problem bilden vielmehr die großen Unterschiede zwischen ArbeiterInnen und Angestellten. Die Kündigungsfristen für Erstere sind gesetzlich nicht abgesichert und müssen verhandelt werden. Das geschieht mit durchaus unterschiedlichen Ergebnissen, die aber den ArbeitgeberInnen in der Regel, durchaus im Sinne des Flexicurity-Konzeptes, ein rasches Kündigen von MitarbeiterInnen ermöglichen.
Anders verhält es sich bei den Angestellten, bei denen die Jobrotation auch niedriger ist als bei den ArbeiterInnen. Für die Angestellten ist die Kündigungsfrist durch das Angestelltengesetz geregelt und nach dem Dienstalter im Betrieb gestaffelt. Sie beträgt zwischen drei und sechs Monate und ist somit sogar länger als hierzulande.

Mitgliederschwund à la Dänemark

Trotz allem gehen auch in Dänemark die Mitgliederzahlen insgesamt zurück. Wenig zu klagen haben zwar die Angestelltengewerkschaft FTF und die Akademikergewerkschaft AC, weisen sie doch beide jährliche Zuwachsraten auf. Die ArbeiterInnengewerkschaft LO muss dagegen mit Verlusten von etwa 20.000 Mitliedern pro Jahr fertig werden.
Die Ursachen erinnern durchaus an die Probleme in anderen Ländern: Abnahme von traditionellen Beschäftigungsverhältnissen und Schwierigkeiten, Konzepte zu finden, um junge Beschäftigte an die Gewerkschaftsbewegung zu binden. Außerdem wurde auch das sogenannte Closed-Shop-Prinzip entsorgt. Dabei mussten bei bestimmten gewerkschaftlich organisierten Betrieben alle ArbeitnehmerInnen Mitglied einer Gewerkschaft sein. Ein weiteres Problem stellt auch das vermehrte Auftauchen von »gelben« Gewerkschaften dar, die sehr arbeitgeberfreundlich agieren und bei denen der Mitgliedsbeitrag nur 20 Prozent von jenem der traditionellen Gewerkschaften beträgt.

Herausforderungen

Um sich den neuen Herausforderungen und Realitäten zu stellen, wurde auch in Dänemark ein Fusionierungsprozess initiiert. So soll die hohe Anzahl der Einzelgewerkschaften mit zum Teil nur wenigen Tausend Mitgliedern gesenkt werden. 2007 beschlossen zum Beispiel die Dachverbände der Gewerkschaften für Bundesbedienstete und Gemeindebedienstete ihre Zusammenlegung.
Als weitere Maßnahme wurden 2007 auf Initiative der Metaller-Gewerkschaft erstmals Übereinkommen mit bestimmten ArbeitgeberInnen getroffen, die sich bereit erklärten, für ihre Beschäftigten die Gewerkschaftsmitgliedsbeiträge vollständig zu bezahlen.
Von der Gewerkschaftsbasis wird darüber hinaus mehr Aktionismus gefordert. Die bis jetzt letzten landesweiten Großdemonstrationen liegen immerhin schon zehn Jahre zurück. Damals erkämpften sich die dänischen Gewerkschaften übrigens nicht weniger als eine sechste Urlaubswoche.

WEBLINKS
Gewerkschaft 3F/Deutsche Information zu Arbeit in Dänemark
forsiden.3f.dk/apps/pbcs.dll/artikkel?Dato=20070425&Kategori=TYSK&Lopenr=70425013&Ref=AR&profile=2644
Dachverband Landsorganisationen i Danmark
www.lo.dk
Gewerkschaft HR
www.hr4europe.com/europe.php?cpl=dk12de

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