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V. l. n. r.: Andrea Kopietz, Karl Stammberger, Petra Weigl, Wolfgang Winter, Sandra Koch, Silvia Petrak, Marcus Gordisch

Für Sie unterwegs

Schwerpunkt

Ein gemeinsames Projekt von AK-Wien und der GPA-djp Region Wien beschreitet neue Wege der Mitgliederbetreuung.

Im Frühjahr 2007 initiierten die Arbeiterkammer Wien, Abteilung Service und Information, und die Gewerkschaft GPA-djp, Region Wien, ein Projekt, das auf mehreren Ebenen Pilotcharakter trug. »Wir sind gemeinsam für Sie unterwegs« ist zunächst der Versuch eines Brückenschlages zwischen der AK Wien und der GPA-djp mit dem Ziel, Synergien in der Mitgliederbetreuung und -werbung zu suchen, zu definieren und in der Praxis umzusetzen.
Auf einer weiteren Ebene sollte von den Projektleitern Marcus Gordisch (GPA-djp) und Rudi Wallner (AK Wien) paradigmatisch ein neuer Zugang in der Betreuung und Aktivierung von ArbeitnehmerInnen im Bereich Handel entwickelt werden, einem Sektor, der sich generell durch schwierige bis prekäre Arbeitsbedingungen und einen geringen Organisationsgrad auszeichnet. In Ansätzen folgt »Wir sind gemeinsam für Sie unterwegs« Strategien gewerkschaftlichen Handelns, die im internationalen Kontext unter dem sehr weit gefassten Begriff »Organizing« firmieren.
Die Kernidee von »Wir sind gemeinsam für Sie unterwegs« klingt bei oberflächlicher Betrachtung einfach. Sie kündigt in Wirklichkeit jedoch einen einigermaßen radikalen Wandel in der Kommunikation mit den Beschäftigten an:

  • Die Suche nach dem intensiven Gespräch mit den ArbeitnehmerInnen vor Ort, in überwiegend nicht organisierten Betrieben (ohne Betriebsrat)
  • ohne unmittelbaren Anlassfall,
  • den Einstieg in eine Beziehung zu den Beschäftigten zunächst auf einer vorrangig emotiven Kommunikationsebene - AK und GPA-djp wollen »gemeinsam in der Öffentlichkeit erlebbar und spürbar sein« - und erst in weiterer Folge auf einer fachlichen Ebene,
  • die Herstellung einer sozialen Beziehung über Mehrfachbesuche und damit natürlich auch die Möglichkeit durch Überzeugungsarbeit neue Mitglieder zu gewinnen
  • und - last but not least - die Intensivierung dieser Beziehungsarbeit bis hin zu Betriebsratskörperschaftsgründungen.

Auf Augenhöhe

Nach einer intensiven Projektentwicklungs- und -vorbereitungsphase, die u. a. einen Kick-off-Workshop und ein Kommunikationstraining umfasste, fand die Aktion selbst in drei Teilen statt. Über drei Wochen im April und Mai 2007 wurden Handelsbetriebe der Mariahilferstraße erstmals, an drei Tagen im Oktober ein weiteres Mal besucht. Den vorläufigen Abschluss fand »Wir sind gemeinsam für Sie unterwegs« mit drei Aktionstagen im neu eröffneten Stadion Center im Zweiten Wiener Gemeindebezirk im November. Gemischte Zweierteams - nach Möglichkeit zusammengestellt nach den Kriterien männlich/weiblich, AK/GPA-djp, jung/erfahren - führten eine Vielzahl an Gesprächen, bei denen möglichst niedrigschwellig der persönliche Kontakt gesucht wurde, um die Institutionen AK und Gewerkschaft vorzustellen, die Notwendigkeit einer starken ArbeitnehmerInnenvertretung und die Möglichkeiten individuellen Engagements - von der einfachen Mitgliedschaft bis zur Gründung eines Betriebsrates - herauszustreichen. Im Kern ging es in dieser ersten Projektphase um die Herstellung einer sozialen Beziehung »auf gleicher Augenhöhe« ohne unmittelbaren äußeren Anlass wie z. B. drohende Kündigungen, Verletzungen des Arbeitsrechts oder ähnliches.

Abseits der Hochburgen

Die Praxis zeigte, dass diese neue Kommunikationsform besonders in dieser Branche auf fruchtbaren Boden fällt. »Gewerkschaftliche Stärke ist nirgendwo in Stein gemeißelt. Sie muss in Hochburgen gehalten, in schwach verankerten Firmen ausgebaut und in einer großen Zahl von Betrieben überhaupt erst hergestellt werden.«1 »Wir sind gemeinsam für Sie unterwegs« ist definitiv eine Aktion außerhalb der Hochburgen. Der gewerkschaftliche Organisationsgrad im Handel ist vergleichsweise gering. Die Aktion erfasst demnach nicht nur schwach, sondern überwiegend gar nicht organisierte Betriebe. »Wir sind gemeinsam für Sie unterwegs« erschließt somit ein enorm bedeutendes Tätigkeitsfeld, das sonst hinter dem traditionellen Handlungshorizont der dualen Vertretung durch Gewerkschaft und Betriebsrat weitgehend verborgen bleibt. Gleich an den ersten Aktionstagen gelangte das Team zu einer wichtigen Erkenntnis. Weniger die im Vorfeld erwartete allgemeine Politikverdrossenheit oder der ›BAWAG-Skandal‹ wurden diskutiert; es stellte sich heraus, dass viele, vor allem jüngere, ArbeitnehmerInnen in nicht organisierten Betrieben  kaum einen Bezug zu Gewerkschaft und - in etwas geringerem Ausmaß - Arbeiterkammer haben.

Erfolgsgeschichte

Das gesamte Team war und ist gefordert: Es ging zunächst viel stärker darum, die Basisinformationen zu vermitteln. Nach wenigen Tagen und Mehrfachbesuchen in den Filialen waren die Teams bekannt, akzeptiert und wurden - bis auf wenige Ausnahmen - freundlich aufgenommen. Die Botschaften sind angekommen, die ersten Mitgliedsanmeldungen wurden gesammelt und motivierten weiter. Ab diesem Punkt kann »Wir sind gemeinsam für Sie unterwegs« ohne weiteres als ›Erfolgsgeschichte‹ bezeichnet werden. Der Ansatz greift, die Beschäftigten reagieren äußerst positiv auf die Gespräche und die vielschichtigen allgemeinen und speziellen Informationen, die sie dabei erhalten. Von der einfachen Einführung »Wer sind wir« und »Was tun wir für Sie« bis hin zu Kollektivverträgen, die auch an Nichtmitglieder verteilt wurden, und Fachberatungen zu Steuer-, Arbeitsrecht- und Pensionsversicherungsfragen, die bei Informationsveranstaltungen im Cafe Ritter, im Generali-Center (Mariahilferstraße) und am permanenten Projektstand im Stadion Center stattfanden.
Die Erfolgsgeschichte spiegelte sich auch in den hard facts wider: Allein in den ersten drei Wochen der Aktion wurden über 1.300 Gespräche geführt, insgesamt konnten 75 neue Gewerkschaftsmitglieder geworben werden. Das entspricht in Bezug auf die kontaktierten Personen immerhin einem Organisationsgrad von 3,5 Prozent im ersten Anlauf. Nicht eingerechnet sind dabei kontaktierte Personen, die bereits Mitglieder waren. Drei bis vier Betriebsratsgründungen sind bereits in Vorbereitung. Mit den beiden Aktionen im Herbst 2007 wurde das Beziehungsnetzwerk vertieft und erweitert.

Stadion Center

Während in der Mariahilferstraße bereits auf Bestehendes aufgebaut werden konnte, wird im Stadion Center buchstäblich Neuland betreten. Das Shopping Center wurde erst kurz zuvor eröffnet, Gewerkschaft und Arbeiterkammer zeigten Präsenz zum frühestmöglichen Zeitpunkt. An drei Tagen wurden 400 von gesamt 600 Beschäftigten im direkten Gespräch erreicht und 150 Intensivberatungen am Projektstand durchgeführt. Der Weg für künftige Kontakte, vor allem, wenn tatsächlich Probleme auftreten ist damit geebnet. Doch auch hier gilt: Ein kontinuierlicher politischer Diskurs mit Beschäftigten, unabhängig von gegebenen Anlassfällen, trägt zur Festigung der Basis bei.
Die unmittelbaren Erfolge des Pilotprojektes sind durchaus eindrucksvoll und wichtig. Sie markieren im besten Fall jedoch den Beginn einer kommunikativen Neuausrichtung gewerkschaftlicher Arbeit, die strategisch und inhaltlich permanent weiterentwickelt werden muss, um nachhaltige Effekte erzielen zu können. GPA-djp und AK-Wien sind mit einer Reihe von Aktionen auch 2008 und durchaus vergleichbaren Ergebnissen diesen Weg weiter gegangen.
Die wahre »Mächtigkeit« des Ansatzes wird sich allerdings erst in ihren mittel- und langfristigen Effekten zeigen. Am augenscheinlichsten dann natürlich im Organisationsgrad und an der Beteiligung bei AK-Wahlen, am tiefgehendsten wahrscheinlich in der Bildung eines Beziehungsnetzwerkes, einer »Community« mit hohem politischen Bewusstsein im Sinne von Empowerment und Organizing.

1 Heiner Dribbusch: Das »Organizing-Modell« - Entwicklung, Varianten und Umsetzung, in: Peter Bremme, Ulrike Fürniß, Ulrich Meinecke (Hrsg.): Never work alone, Organizing - ein Zukunftsmodell für Gewerkschaften, Hamburg 2007, S. 24.

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