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Das 7. Symposium Impulse für die gewerkschaftliche Bildungsarbeit befasste sich Anfang September mit dem Thema »Mitgliederwerbung«.

Organizing - was ist das? Ist Organizing für österreichische Gewerkschaften interessant? Was können österreichische GewerkschafterInnen von ihren KollegInnen in anderen Ländern lernen? Und was hat das alles mit gewerkschaftlicher Bildungsarbeit zu tun? Diese und andere Fragen diskutierten GewerkschafterInnen aus Deutschland, der Schweiz und Österreich im Rahmen des 7. Symposiums Impulse für die gewerkschaftliche Bildungsarbeit unter dem Motto "Gewerkschaftliche Bildungsarbeit und Mitgliederwerbung" am 11. September 2008 im Karl-Weigl-Bildungsheim in Mödling.

Veränderte Rahmenbedingungen

Die Rahmenbedingungen für gewerkschaftliches Handeln haben sich in den vergangenen Jahrzehnten stark verändert. Europäische Gewerkschaften stehen vor einem zunehmenden Problem- und Anpassungsdruck. Ein Befund, der sich in den Beiträgen aller ReferentInnen während des Symposiums wieder fand. Arbeitsplätze werden abgebaut, Betriebe an kostengünstigeren Standorten wieder aufgebaut. Zunehmend mehr Menschen arbeiten in gewerkschaftlich schwach organisierten privaten Dienstleistungsbranchen. Viele Unternehmen haben sich von der Kultur der Sozialpartnerschaft längst verabschiedet und agieren zunehmend arbeitnehmerfeindlich. Immer weniger BetriebsrätInnen sind gewerkschaftlich organisiert, Gewerkschaften verlieren Mitglieder. Wie Gewerkschaften mit diesen Herausforderungen jedoch umgehen, gestaltet sich höchst unterschiedlich.

Organisierung

Nach dem Vorbild der USA starteten einige europäische Gewerkschaften vor wenigen Jahren die ersten Organizing-Kampagnen. Franziska Bruder, Organizerin bei der deutschen Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, lässt gleich zu Beginn des Symposiums keine Missverständnisse aufkommen: »Organizing ist mehr als Mitgliederwerbung. Organizing heißt übersetzt nichts anderes als Organisierung. Der Begriff muss erst mit Bedeutung gefüllt werden.« So wie ein Teil der US-Gewerkschaften und Bruder Organizing verstehen, bedeutet das Aufbau von Gewerkschaft im Betrieb. Es geht um die Schaffung von Basisstrukturen und die Aktivierung der Beschäftigten. Das heißt: Nicht der Betriebsrat oder die Gewerkschaft entscheiden, was gut für die Beschäftigten ist, sondern sie selbst. »Im Idealfall«, so Franziska Bruder, »unterstützen die Gewerkschaft und - wenn es einen gibt - der Betriebsrat diesen Prozess. Wir organisieren die KollegInnen, weil sie ein Problem haben und nicht, weil wir eines haben.« Juri Hälker, derzeit tätig für die deutschen Gewerkschaften IG Metall und IG BAU, meint provokant: »Wir werben keine Mitglieder. Das machen bei uns die Mitglieder, nicht die Hauptamtlichen.« Damit soll verhindert werden, Beschäftigte in die Gewerkschaft »hinein zu labern«. Denn jemand, der dazu überredet wurde Gewerkschaftsmitglied zu werden, würde nicht lange Mitglied bleiben, schon gar nicht aktiv werden. Mitgliederwerbung sei nicht das Ziel von Organizing, sondern das Resultat.

Systematisches Vorgehen

Immer wieder betont Franziska Bruder, dass es sich bei Organizing um einen konfliktreichen Prozess handelt, auf den die Beschäftigten vorbereitet sein müssen. In der Auseinandersetzung mit einem Arbeitgeber muss klar sein, mit wem sie es zu tun haben, und was Ziel der Kampagne ist. Wichtige Bestandteile jeder Organizing-Kampagne sind daher ausführliche Recherche über das jeweilige Unternehmen und die Entwicklung einer strategischen Vorgehensweise gemeinsam mit den Beschäftigten. Anhand von zwei Organizing-Kampagnen in der Otto-Lagerwirtschaft und dem Hamburger Sicherheitsgewerbe erläutert Bruder, dass es immer um die Frage geht, wie die Beschäftigten - auch gemeinsam mit anderen sozialen Bewegungen - ausreichend Druck erzeugen können, um ihre Arbeitssituation zu verbessern. Die Antwort auf diese Frage könne in verschiedenen Kampagnen sehr unterschiedlich ausfallen.
»Das größte Hindernis für die Beschäftigten, aktiv zu werden, ist meistens Angst«, meint Juri Hälker, der neben seiner gewerkschaftlichen Tätigkeit auch an der Universität Duisburg-Essen Theorie und Praxis von Organizing lehrt. Die direkte Kommunikation mit den Beschäftigten sei daher das A und O beim Organizing. Eindrucksvoll schildert Hälker den Niedergang der vormals bedeutenden Gewerkschaftsbewegung in den USA. Zwar sind die Unterschiede zwischen den USA und Europa enorm. Doch für Hälker sind die USA keine andere Welt. Vielmehr versteht er die Situation, in der sich die US-Gewerkschaften heute befinden, als Warnung an europäische Gewerkschaften. Seiner Ansicht nach müssen diese dem negativen Mitgliedertrend und Einflussverlust rechtzeitig entgegensteuern und aus den Erfahrungen, die Gewerkschaften jenseits des Atlantiks in den letzten Jahrzehnten gemacht haben, lernen. Und das besser heute als morgen.

Organizing heißt Kulturwandel

Welche Funktion und Rolle Gewerkschaften in einer Gesellschaft haben, welche Strategien sie verfolgen, und welche Mittel und Methoden sie einsetzen, um an ihr Ziel zu gelangen, ist eng mit der gewerkschaftspolitischen Kultur verbunden. Das macht auch Roman Burger, Geschäftsleiter der Unia Zürich, mit seinem Vortrag bewusst. »Eines unserer zentralen Themen ist Migration«, so Burger. »Denn als Gewerkschaft haben wir die Aufgabe den Konkurrenzdruck unter den Beschäftigten zu verhindern, damit das Management sie nicht gegeneinander ausspielen kann. Nicht zuletzt deshalb müssen wir Menschen mit Migrationshintergrund organisieren.« An diesem Ziel ist auch die Personalpolitik der Unia ausgerichtet. Ein großer Teil der hauptamtlich Beschäftigten dieser Gewerkschaft hat selbst einen Migrationshintergrund und spricht mehrere Sprachen. Burger: »Ohne den radikalen Kurswechsel vor einigen Jahren wären wir nicht dort, wo wir heute sind. Um handlungsfähig zu sein und ernst genommen zu werden, muss eine Gewerkschaft nicht nur mehr Mitglieder, sondern auch aktive Mitglieder wollen.«
Im Laufe des Symposiums wurde deutlich, dass Organizing einen bewussten Reflexionsprozess erfordert. Denn es bedeutet, der Aktivierung der Beschäftigten und dem Aufbau von Gewerkschaft im Betrieb Priorität zu verleihen anstelle von stellvertretender Problemlösung. Dieser Umdenkprozess erfordert einerseits bildungspolitische Maßnahmen, andererseits ausreichend Ressourcen. Rudolf Silvan, Bildungssekretär in der Gewerkschaft Bau-Holz (GBH), macht es deutlich: »Offenbar ist es ein Tabu, aber es muss gesagt werden: Wir verlieren Mitglieder. Nun versucht die GBH neue Wege zu gehen. Es kann aber weder von Hauptamtlichen noch von BetriebsrätInnen erwartet werden, dass sie von heute auf morgen alles anders machen als bisher. Organizing ist daher immer ein bildungspolitischer Auftrag für die Gesamtorganisation.« Dass neue Methoden sowohl innerhalb der Gewerkschaft als auch in der Öffentlichkeit äußerst positiv aufgenommen werden, unterstreicht Nobert Bacher, der ein Mitgliederwerbeprojekt von GPA-djp und AK Wien auf der Mariahilferstraße begleitet hat: »Wir haben gemerkt, dass die involvierten haupt- und ehrenamtlichen KollegInnen gerne draußen bei den Leuten waren.« Werner Drizhal, Bildungssekretär in der GPA-djp, spricht abschließend die strukturelle Ebene an und betont die Rolle von BetriebsrätInnen und Mitgliedern innerhalb von Gewerkschaften. Dort sieht er - nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Beschlüsse am 16. ÖGB-Bundeskongresses im vergangenen Jahr - großen Handlungsbedarf. Drizhal gibt sich skeptisch: »Alle von uns, die beim vorigen Bundeskongress für mehr Mitbestimmung und Beteiligung gestimmt haben, müssen beurteilen, was aus diesem Vorhaben geworden ist.«

Erneuerung braucht Willen

Einig waren sich alle ReferentInnen darin, dass es bei Organizing nicht um die Frage geht, was Gewerkschaften für ihre Mitglieder tun, sondern was sie mit ihnen gemeinsam erreichen können. Gewerkschaftliche Erneuerung passiert nicht einfach, sondern braucht politischen Willen. Angesichts des wachsenden Problemdrucks drängt sich die Frage auf: Wann, wenn nicht jetzt?

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