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Foto | Katharaina Klee GewerkschafterInnen agitieren (was in vielen Fällen sehr O. K. ist) - OrganizerInnen hören zu.

Das ist Organizing

Schwerpunkt

Das Organizing-Modell wurde in den USA vor allem von den Gewerkschaften SEIU und UNITE-HERE entwickelt.

ORGANIZING IN DER BRD
Bekannt wurde gewerkschaftliches Organizing durch den Film Bread and Roses des britischen Regisseurs Ken Loach. Die porträtierte US-amerikanische Gewerkschaft SEIU konnte mit ihrer Organizingstrategie ihre Mitgliederzahl in den vergangenen gut zehn Jahren auf zwei Millionen mehr als verdoppeln.
In der ersten größeren Organizingkampagne in der BRD gewann ver.di in Hamburg im Jahr 2006 rund 100 Aktive und Hunderte neue Mitglieder im Sicherheitsgewerbe. Mit Unterstützung von SEIU-Organizern wurden ein Tarifvertrag und die Gründung von Betriebsräten durchgesetzt.
2007 startete ver.di ein Organizingprojekt in zwei Großlagern eines Versandhändlers mit jeweils knapp 2.000 Beschäftigten. Es gelang, die bisher nicht streikfähigen Belegschaften in einen längeren Streik zu führen, zahlreiche KollegInnen gewerkschaftlich zu aktivieren und den Organisationsgrad um rund 50 Prozent zu erhöhen.
Aktuell plant ver.di eine Organizing Acadamy, zahlreiche kleine Organizingprojekte werden durchgeführt. Größere Projekte sind bei ver.di und der IG BAU in Planung. Innerhalb der NGG wurden erste Schritte im Rahmen der Bildungsarbeit gemacht. Die IG Metall geht sehr zielgerichtet auf die Organizingmethode zu und hat eine neue Vorstandsabteilung Kampagnen gegründet.
Zunehmend findet sich das Thema an den Universitäten behandelt. Eine Gruppe um Prof. Klaus Dörre beschäftigt sich in Jena intensiv mit Organizing. In Duisburg-Essen qualifizierten sich Studierende im Rahmen einer Seminarreihe und sind mittlerweile als OrganizerInnen tätig. Organizing findet sich hier auch im Wintersemester 2008/2009 im Seminarprogramm.

Auf den Begriff Organizing besteht kein Copyright. In der wörtlichen Übersetzung bedeutet er nichts anderes als Organisierung. Nicht überall, wo Organizing draufsteht, ist auch Organizing drin. Hier sollen die Grundzüge jenes Organizingmodells skizziert werden, welches in den USA vor allem von den Gewerkschaften SEIU und UNITE-HERE entwickelt wurde. Die bisherigen Organizingprojekte von ver.di und IG BAU sowie das Organizingkonzept der IG Metall beziehen sich auf dieses Modell.

Organisierung weißer Flecken

Das von den US-amerikanischen Gewerkschaften konzipierte Organizing enthält einige grundlegende Kernelemente. Diese sind geprägt von gesellschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen, die in den USA für Gewerkschaften tendenziell ungünstiger sind als in Europa. In der Regel bedeutet Organizing die Organisierung von weißen Flecken, Unternehmen, in denen es keine gewerkschaftliche Repräsentanz oder Betriebsräte gibt. Folglich verbietet sich eine schematische Übernahme. Organizingstrategien in Europa müssen spezifischen nationalen Bedingungen sowie den zu organisierenden Branchen angepasst werden.
Da in den USA eine umsatzstarke Union-Busting-Branche1 existiert, die Hunderte von Millionen US-Dollar jährlich umsetzt, müssen die Gewerkschaften mit starker Gegenwehr der Kapitalseite rechnen. Daraus resultiert eine Orientierung auf ein ausgeklügeltes und systematisches Organizing, welches im ersten Schritt eine gründliche Recherche der Unternehmen vornimmt. Diese Vorgehensweise eignet sich auch für den Kontext in der BRD. Ziel ist es, ein Relationsnetz der Beziehungen und Verflechtungen des zu organisierenden Unternehmens in Wirtschaft und Gesellschaft zu erstellen. In kurzer Zeit erschließen sich den OrganizerInnen so neuralgische Punkte, an denen das Unternehmen gepackt werden kann. Ein Beispiel: Behindert eine Reinigungsfirma eine Betriebsratswahl, kann in der Recherche festgestellt werden, dass das Unternehmen stark von Aufträgen der Kommunen abhängig ist. Hier ist politischer Druck möglich. Eine solch offensichtliche Relation lässt sich leicht erkennen, auch ohne ausgefeilte Organizingtechnik. Ihre wahre Stärke stellt die Unternehmensrecherche bei komplizierteren Verflechtungen unter Beweis, die unter normalen Umständen auch erfahrenen GewerkschafterInnen kaum in den Blick gekommen wären.

Kommunikation und Themenfindung

GewerkschafterInnen agitieren (was in vielen Fällen sehr O. K. ist) - OrganizerInnen hören zu. Kommunikation ist das wichtigste Kernelement des Organizingansatzes. Organizer suchen die Themen der Beschäftigten. Diese sind in der Regel betriebsbezogen. GewerkschafterInnen, die den Anspruch haben Belegschaften in überbetriebliche Auseinandersetzungen (z. B. Flächentarif) und gesellschaftspolitische Kämpfe zu führen, sollten vorab unter Beweis stellen, dass sie mit den KollegInnen im Betrieb zur erfolgreichen Problembearbeitung fähig sind. Durch diese entsteht jenes Selbstbewusstsein und Vertrauen, auf welches die Gewerkschaften bei den notwendigen politischen Mobilisierungen gegen Kapital und Politik zwingend angewiesen sind. Gewerkschaften, die in den Betrieben als schwach oder unglaubwürdig gelten, wird dieses nicht gelingen.
OrganizerInnen agieren nicht für die Lohnabhängigen, sondern mit ihnen. Gemeinsam mit den betroffenen KollegInnen werden Probleme identifiziert, analysiert und Lösungswege erarbeitet. Ziel ist, dass möglichst viele Beschäftigte gemeinsam aktiv werden. Ist das Vorgehen von Erfolg gekrönt, ist es der Erfolg aller Beteiligten. Geht der Schuss nach hinten los, gilt dies auch. Ärgern sich KollegInnen über Verlauf oder Ausgang einer Kampagne, dann lässt sich schwerlich über die Gewerkschaft schimpfen. Denn die Gewerkschaft, das sind in diesem Modell die KollegInnen selbst. Diese Erfahrung machen auch Noch-icht-Mitglieder, welche bei vielen Organizingkampagnen bewusst mit einbezogen werden. Wichtig sind in diesem Zusammenhang niedrigschwellige Beteiligungsmöglichkeiten. Organisierte wie unorganisierte KollegInnen lernen durch diese, aktiv und erfolgreich zu sein. Schritt für Schritt wächst so das Selbstbewusstsein und die Beteiligten werden mutiger und entschlossener. KollegInnen in Betrieben, in denen Gewerkschaften nicht interventionsfähig sind, können sich mit dieser Methode zu streikbereiten Belegschaften entwickeln.
Organizing fragt: Was ist der Konflikt? Ohne Konflikt kein Organizing. Und: Wer ist der Gegner? Ohne klar definierte Gegner kein Organizing. Und: Was ist das Ziel? Ohne konkretes Ziel kein Organizing. Im Ergebnis geht es darum, ein klares, erreichbares und messbares Ziel durchzusetzen. Druck zur Durchsetzung dieses Zieles wird oft durch direkte Aktion erzeugt. Darüber hinaus sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt.

Kampagnenplanung

Neben der Aktivierung der betroffenen KollegInnen werden oft Bündnisse mit Dritten angestrebt. Die so erarbeiteten Interventionsmöglichkeiten, im Betrieb und ggf. auch außerhalb, bilden die nach und nach sichtbar werdenden Säulen, um die herum eine sorgfältig geplante Kampagne konzipiert ist. Alle Züge bis zum Matt des Gegners werden vor dem Start der öffentlich sichtbaren Kampagne geplant. Konkret eingeplante Zwischenziele ermöglichen Erfolgserlebnisse, die motivieren und die Basis der Aktivisten systematisch erweitern. Dies gelingt auch deshalb, weil OrganizerInnen wissen, wie wichtig es ist die Erfolge mit den KollegInnen ausgiebig zu feiern! Erfolgreiches Organizing lebt von Begeisterung und ist Gewerkschaftsarbeit, die Spaß macht.
Wenn das Ende der Kampagne erreicht ist, haben die KollegInnen und die beteiligten OrganizerInnen ihr Ziel erreicht. Was bleibt, ist eine selbstbewusstere und zukünftig interventionsfähige Belegschaft. Diese hat eine plastische Vorstellung vom real existierenden Grundwiderspruch zwischen Kapital und Arbeit bekommen. Und das Gefühl dafür, dass dieser auch erfolgreich bearbeitet werden kann. Im organisierten Betrieb ist eine gewerkschaftliche AktivistInnenstruktur entstanden, die von ihrer Gewerkschaft Unterstützung und Koordination einfordert, aber deutlich weniger Stellvertreterpolitik erwartet. Diese gewerkschaftlichen Aktiven haben eine Politisierung erlebt, die, das zeigen die bisherigen Erfahrungen in der BRD, auch zu einer verstärkten Beteiligung an überbetrieblichen und gesellschaftspolitischen Kampagnen der Gewerkschaften führen. Ach ja - normalerweise steigt der gewerkschaftliche Organisationsgrad im so organisierten Betrieb signifikant an. Das lässt sich in so einem Organizingprozess aber auch kaum vermeiden.

1 Union Buster, das sind Firmen die mit einer Vielzahl von Strategien gewerkschaftliche Organisierung in Betrieben zu verhindern helfen. Auch in der BRD finden sich zunehmend Unternehmen, die nach diesem Vorbild extrem gewerkschaftsfeindlich agieren.

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