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Katharina Klee Katharina Klee, Chefredakteurin

Standpunkt | Die Mutigen

Meinung

Sie sind jung und alt, dick und dünn, Männer und Frauen. Sie sind verliebt, verlobt, verheiratet und oft auch Single. Sie sind hetero- und homosexuell. Sie sind Angestellte, ArbeiterInnen, Beamte/Beamtinnen und angelernte Kräfte. Sie arbeiten in einem Friseursalon und in einem internationalen Konzern, als PolizistInnen und PilotInnen, als Reinigungskraft und Müllmann. Sie stammen aus Vorarlberg, Anatolien, Pakistan, Bonn und Schwechat.

Sie verdienen viel und wenig. Sie sind extrovertiert und schüchtern, Witzbolde und ZynikerInnen, Gutmen-schen und RevoluzzerInnen. Für sie ist das Glas halbvoll und halbleer. Sie sind leise und laut, aufbrausend und harmoniesüchtig, besserwisserisch und neugierig. Sie sind ehrgeizig und zufrieden. Sie sind für Nichtraucherschutz und gegen das Rauchverbot. Sie haben Kinder oder Tiere, beides und keines von beidem. Sie sind oft nur in einem Verein Mitglied, oft in mehreren. Sie tragen Blaumann und Nadelstreif, Minirock und schickes Kostüm. Sie sind alte Hasen und »frisch G’fangte«. In ihrer Freizeit kümmern sie sich um den Garten und trainieren Fußballmannschaften, sie fotografieren und tischlern, sie singen und  sammeln Puppen. Sie reisen, sie wandern, sie lesen, laufen, kochen und surfen im Internet. Sie sind mutig. Denn sie haben sich auf das Abenteuer Verantwortung eingelassen.
Sie haben sich für die ArbeitnehmerInnenvertretung in ihrem Betrieb aufstellen lassen und sind gewählt worden. Als JugendvertrauensrätIn, BetriebsrätIn, PersonalvertreterIn kümmern sie sich um die Anliegen ihrer KollegInnen. Zu ihren Aufgaben gehört die Wahrung der wirtschaftlichen, sozialen, gesundheitlichen und kulturellen Interessen der Beschäftigten in ihrem Betrieb. Ihre Rechte und Pflichten sind im Arbeitsverfassungsgesetz abgesichert, ihr Engagement nicht selbstverständlich. Bei manchen von ihnen waren schon Vater oder Mutter im Betriebsrat. Andere wussten gerade, dass es so etwas wie ArbeitnehmerInnenvertretung gibt, als sie beschlossen, ihre Rechte wahrzunehmen und eine Betriebsratswahl zu organisieren.
Einige sehen ihre Aufgabe in der Organisation von Theaterkarten, Betriebsausflügen oder Weihnachtsfeiern, andere mussten Kündigungen verhindern, ArbeitnehmerInnenschutz durchsetzen, sich für die Einhaltung des Kollektivvertrages einsetzen und Sozialpläne verhandeln, viele machen das eine wie das andere. Manche sitzen im Aufsichtsrat oder sind mit europäischen Standortfragen konfrontiert.

Viele Vorurteile

Ganz automatisch führt das dazu, dass sie oft Kritik ausgesetzt sind. Nicht jede/r ist kulturinteressiert, der Betriebsausflug gefällt nicht allen, die Weihnachtsfeier war ein Reinfall, die Kündigung war gerechtfertigt, die Schutzhandschuhe sind lästig, der Betriebsrat soll sich nicht in meine Überstunden einmischen, der Sozialplan ist ein Witz. Und überhaupt: Freigestellt, Betriebsratskaiser, denen gehts nur um die Macht, die machen halt so Karriere, weil sie es anders nicht schaffen würden, die packeln mit dem Chef, wer braucht die schon, ich kann mir meins schon selbst ausverhandeln. Mit solchen Vorurteilen sind fast alle BeschäftigtenvertreterInnen irgendwann einmal konfrontiert.

Hochachtung und Respekt

Wie viel Einsatz diese Aufgabe erfordert, ist nur wenigen bewusst - nicht einmal allen, die sich für die Wahl in die ArbeitnehmerInnenvertretung aufstellen lassen. Die meisten lernen es aber schnell. Sie absolvieren Schulungen, die Wissen bringen, aber Zeit fordern. Das kranke Kind des Kollegen, die Scheidung der Kollegin gehen sie plötzlich genauso viel an, wie Fragen des Marktes, Outsourcing oder Arbeitszeitformen. Viel zu oft läutet das Handy. Nicht immer können sie helfen oder mitgestalten und immer öfter brennen sie so sehr für ihre Aufgabe, dass sie ausbrennen.
Ich habe Hunderte von ihnen kennengelernt in den vergangenen 15 Jahren und nicht alle waren mir sympathisch - aber bis auf ganz wenige Ausnahmen haben alle meine Hochachtung. Sicher gibt es KollegInnen, die im Lauf der Jahre durch ihre Funktion korrumpiert werden - aber dazu müssen sie immer wieder gewählt werden. Ohne den Glauben und den Wunsch nach Solidarität und Gerechtigkeit ist dieses Engagement nicht möglich. Die meisten aber lassen sich auf das Abenteuer Verantwortung ein, weil sie an eine bessere Welt glauben, weil Solidarität und Gerechtigkeit zu ihren Werten gehört. Werte, die sie auch in einer immer egozentrischeren Gesellschaft leben wollen. Und so leben sie ein Wert-volles Leben. Ich habe Respekt vor den Mutigen.

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