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Karl-Marx-Hof Karl Seitz: »Wenn wir einst nicht mehr sind, werden diese Steine für uns sprechen.«

Paläste des Proletariats

Gesellschaftspolitik

Das rote Wien hat seinen guten Ruf auch durch den sozialen Wohnbau erwirtschaftet - und lebt heute noch davon.

Karl Marx hat Wien nur ein einziges Mal besucht. Das tut nichts zur Sache. Die sozialdemokratische Arbeiterpartei hat ihm trotzdem mit ihrem größten kommunalen Wohnbau ein Denkmal gesetzt. Sich selbst allerdings auch: »Wenn wir einst nicht mehr sind, werden diese Steine für uns sprechen.« Mit diesem berühmten Satz eröffnete Bürgermeister Karl Seitz am 12. Oktober 1930 den Karl-Marx-Hof in der Heiligenstädterstraße und damit ein konkretes sozialpolitisches Angebot an einkommensschwache Arbeiterfamilien: Wohneinheiten mit Toilette, Balkon, Warmwasseranschluss, Blumenschmuck am Fenster, niedrigen Mieten und bespielbaren Grünflächen vor der Haustür.

Trutzburg der Arbeiterschaft

Der architektonische Superblock wurde zur Trutzburg der Arbeiterschaft, zum sichtbaren Zeichen für die neuen Machtverhältnisse nach dem Ersten Weltkrieg, zum Symbol des »roten Wien« und einer großen Aufbruchszeit, von der die Wiener SPÖ bis heute lebt. Denn die roten Politiker der Zwischenkriegszeit hatten das existenzielle Problem der Menschen erkannt: »Wir wohnten weit draußen im Ottakring, in einer Zinskaserne, die von oben bis unten mit armen Leuten angefüllt war. Mein Vater, meine Mutter, wir drei Kinder wohnten in einer Küche und einem Zimmer und hatten noch einen Bettgänger dazu!« Der Beginn der Lebensgeschichte der Josefine Mutzenbacher ist für damals symptomatisch: Sechs Personen auf 22 bis 28 Quadratmeter, Toilette und Wasser am Gang, waren in der Zwei-Millionen-Stadt Wien noch im Jahr 1890 für die Hälfte der Bevölkerung üblicher Wohnungsstandard, und der galt europaweit als der schlechteste.

Sozialer Wohnbau

Als 1922 die Sozialdemokratische Arbeiterpartei in Wien an die Regierung kam, wurde sozialer Wohnbau politisches Programm, mit dem Effekt, dass die Wählerzustimmung bis auf 60 Prozent kletterte. Die Partei hielt nicht nur ihr Wahlversprechen, sondern übertrumpfte es: Statt der 25.000 angekündigten, neuen kommunalen Wohnungen wurden zwischen 1923 und 1934 insgesamt 63.000 mit Fließwasser und Toiletten errichtet. Die Einführung einer Wohnbausteuer, ein nach Einkommen gestaffeltes Steuersystem vom Länderbank-Direktor Hugo Breitner entwickelt, und u. a. eine Luxussteuer für Vermögende machte die Finanzierung möglich. »Zwei Prozent der Reichen haben mit ihren Steuerabgaben Wohnungen für 500.000 arme Menschen finanziert«, hat Mag. arch. Sophie Hochhäusl im Rahmen ihrer Diplomarbeit »Masterplan in Paradise - 110 Jahre kommunaler Wohnbau in Wien und wo stehen wir heute?« recherchiert. Der Größenunterschied zu den früheren Wohnungen war gering - man kam auf 35 bis 42 Quadratmeter pro Wohnung, aber weil die Mieten niedrig waren, fielen die UntermieterInnen und BettgeherInnen (die sich in den Betten einquartierten, wenn die MieterInnen bei der Arbeit waren) weg, und so wurde zumindest für einen Teil der Bevölkerung Privatheit möglich.

Hofburg des Volkes

Auch sollte die architektonische Konzeption der »Burgen des Proletariats« ein neues Selbstbewusstsein der Sozialdemokraten de-monstrieren - und bei den BewohnerInnen wecken: So wurde etwa der von Architekt Karl Ehn genial konzipierte Karl-Marx-Hof als »Hofburg des Volkes« bezeichnet, erinnert sich Kurt Tremel, Mietervertreter seit 1981 und Bewohner seit der Kindheit: »Die Partei veranstaltete öffentliche Feste. In den Innenhöfen gabs bis zum 34er Jahr regelmäßig Theaterauftritte, Varieté und Musikveranstaltungen.« Heute ist der Karl-Marx-Hof eine Touristen- und vor allem Architekturattraktion, damals war es den WienerInnen wohl gar nicht bewusst, dass es sich bei diesem Projekt um die weltweit längste kommunale Wohnanlage handelt. Einen Kilometer zieht sich der Baukörper die Heiligenstädterstraße entlang und sein zentraler Hof entspricht in seiner Dimension dem Hof des Schlosses Schönbrunn. Auch das Entrée mit Rundbögen von mehr als 16 Metern Spannweite wirkt immer noch imposant. Man hatte sich bewusst für einen traditionellen Ziegelbau entschieden, obwohl Beton in Mode gekommen war, und bot mit 1.325 Wohnungen Platz für 5.500 Menschen und zahlreiche Gemeinschaftseinrichtungen: Zwar präsentiert sich der Karl-Marx-Hof im Vergleich zu manchen anderen kommunalen Wohnbauten schmucklos minimalistisch, ist aber gerade deshalb von beeindruckender Ästhetik und entfaltet sich im Detail: Das beginnt bei den schmiedeeisernen Toren, die, feingliedrig gestaltet, die Handwerkskunst der Zeit repräsentieren, setzt sich in den, vom Jugendstil geprägten Details der Eisentore des Waschsalons fort und mündet in den von bürgerlichen Kunstwerten geprägten Skulpturen, wie den Vasen von Josef Franz Riedl.

Ringstraße des Proletariats

Nicht nur der Karl-Marx-Hof, die gesamte Bautätigkeit des roten Wien war die monumentale Anti-These zur bürgerlichen Stadtplanung der Ringstraßen-Ära und gilt international als historisch vorbildlich für soziales Wohnen. Wobei die ersten Gemeindebauten aus den Strukturen der gründerzeitlichen Zinshäuser entstanden sind, wie der älteste Bau an der »Ringstraße des Proletariats«, dem Wiener Gürtel, zeigt. Otto-Wagner-Schüler Hubert Gessner wurde im zweiten Bauabschnitt als Architekt für den Metzleinsthaler Hof beauftragt, und er war es, der den Typus der Wiener Gemeindebauten schuf: Licht, Luft, Reinlichkeit war die Devise, begrünte Innenhöfe statt dunkler Hinterhöfe, womit ein halböffentlicher Raum geboren wurde, ein Ort der Begegnung und ein Platz für künstlerische Gestaltung. »Kunst am Bau«, schreibt Genoveva Kriechbaum im Bildband »Versailles der Arbeiter«, »wurde zu einem essenziellen Kriterium des Typus »Gemeindebau«. Auch der Reumann-Hof trägt Gessners Handschrift: Eine 180 Meter lange Fassade demonstriert die Kraft des roten Wien, ein 16 Etagen hoher Mittelblock in der Anlage sollte das erste Hochhaus der Stadt werden, aus finanziellen Gründen blieb es bei neun Stockwerken, wurde aber mit einem markanten Dachaufbau ausgestattet. Allerdings brachte der mit Jugendstilementen versehene »Volkswohnpalast« im Sinne Victor Adlers, der das »Recht der Arbeiter auf Schönheit« betont hatte, dem Architekten viel Kritik ein. Vor allem sein berühmter Zeitgenosse Josef Frank machte sich über die »heroischen Fassaden«, hinter denen sich Kleinstwohnungen ducken, lustig und lieferte als Gegenstück den schmucklosen, nur durch Balkone rhythmisch gegliederten Leopoldine-Glöckel-Hof.

Wie einen Volkspalast legte Gessner auch den zwischen 1926 und 1933 entstandenen Karl-Seitz-Hof mit ursprünglich 1.173 Wohnungen an, nach Vorbild Otto Wagners: Symmetrie und Harmonie im Blockrastersystem mit vielen Innenhöfen und platzartigen Kreuzungspunkten. Eine innere Hauptstraße als Zentralachse, eine kreisförmige Arena als Gegenpol und ein neungeschossiger Uhrenturm mit kunstgewerblichem Bauschmuck wie Vasen und Fliesen sind die Insignien eines »kleinen Welttheaters«, wie es dem Architekten vorschwebte. An der Konzeption des Sandleiten-Hofes wiederum arbeiteten mehrere Architektenteams, das Ergebnis war eine Stadt in der Stadt, voller jugendstilartiger Formen, wobei das nahezu 100.000-Quadratmeter-Terrain nur zu einem Drittel gestaltet wurde, und mit villenartigen Gebäuden und Infrastruktur bestückt. Der Rabenhof wiederum, einer der größten kommunalen Wohnbauten der Stadt, wurde mit traditionellen und kleinstädtischen Motiven, wie Erkerfenstern und runden Balkonen versehen.

Ein Prozent Grünfläche

Bei aller stilistischer Verschiedenheit hatten die Gemeindebauten doch eines gemein: Mindestens 50 Prozent des Areals musste Grünfläche sein. De facto wurden es oft fast 70 Prozent. Bis in die späten 1980er Jahre ist man diesem Konzept treu geblieben. Aber jetzt ist vieles anders: »Beim Gasometer wurde die Grünfläche auf zwei Prozent reduziert und durch Shoppingcenter und Parkplätze ersetzt«, so Sophie Hochhäusl, »im 35-stöckigen Mischek-Tower ist die Grünfläche auf ein Prozent geschrumpft. Dafür freuen sich die Bewohner über die schöne Aussicht.«

BUCHTIPP
Gerald/Genoveva Kriechbaum:
Karl-Marx-Hof
Versailles der Arbeiter. Wien und seine Höfe.
Holzhausen Verlag,
Wien 2008, 176 Seiten, EUR 29,-
ISBN: 978-3-85493-150-8
Bestellung:
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Tel.: (01) 405 49 98-132
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Kommentare
Frau Hannelore Holzer 19.09.2008 12.42 Paläste des Proletariats da ich selber Mieter und Hausbesorger einer Wohnhausanlage der Gemeinde Wien bin, ist mir dieser Artikel durch den Buchtipp ins Auge gefallen. Persönlich fand ich die Geschichte dieser Anlage sehr gut rezensiert. Es macht Neugierig ob es über andere alte und neue Anlagen auch Geschichte bzw. Hintergründe gibt warum sie nach wem Benannt wurden oder warum in den neueren Anlgen die Grünzonen weniger werden. Vorallem währe es auch Interessant wo die Kinderspielplätze geblieben sind die es ja einmal gab? Zum Abschluss noch es ist nicht nur eine Geschichte der Wohnhausanlagen sondern auch eine der Stadt Wien
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