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Foto | Paul Sturm Unter Druck fühlen sich auch WissenschafterInnen und UnternehmensmitarbeiterInnen wie der Hamster im Laufrad.

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Der Abgabetermin ist fällig und Sie haben das Werk kaum begonnen? Wie Sie die Panik bekämpfen bzw. vermeiden.

Zahlreiche externe Faktoren sind imstande, Druck auf kreativ Tätige auszuüben. Etwa die Auftraggebenden, das Finanzamt, das Bankkonto. Zu den äußeren Stressoren kommt der Druck von innen. Ob die »deadline«, der ultimative Abgabetermin, Sie anspornt oder lähmt, hängt vom Umgang mit den inneren Stressoren ab.

Sie schaffen es nie

Am Schreibtisch liegt ein Berg sorgfältig recherchierten Materials. Jetzt locker drauflos. Sie hatten ja die Grundidee Ihrer Arbeit samt rotem Faden im Kopf. Bis vor dem Anruf. Wo er denn bliebe, der Beitrag. Einmal habe man noch Geduld, und dann das Besetztzeichen. »Piep«, denken Sie und holen sich eine Zigarette. Da Sie schon in der Küche sind, stecken Sie eine Kaffeekapsel in die neue Espressomaschine. Es funktioniert nicht. Sie telefonieren mit der Freundin, die Ihnen das Gerät empfohlen hat. »Blöde Ziege«, denken Sie. »Die stiehlt mir die Zeit.« In Ihrem Kopf rumort es. Das geöffnete Dokument am Bildschirm ist leer. »Piep«, macht es. »Was wollte ich gerade tun?« In Ihren Kopf schiebt sich ein Bild. Streng blickt die Lehrerin aus der Vergangenheit. »So«, sagt sie, »so schaffst du’s nie.«

Wenn Sie jetzt einen Last-Minute-Flug buchen oder die Auftraggebende beschimpfen, sind Sie im unteren Bereich der möglichen Bewältigungsstrategien von Stress angelangt. Denn Flucht oder Kampf mag unseren Ahnen bei primären Stressoren wie Hunger, Kälte und Feinden geholfen haben: Im Fall der Bedrohung durch Abgabefrist wäre ihre Anwendung problematisch.

Zunächst einmal durchatmen. Es kann Ihnen nichts geschehen.
Dass Sie wegen eines kleinen Anrufs plötzlich große Angst haben, ist neurobiologisch völlig normal. Die Vorgänge im Kopf, erklärt der Göttinger Neurobiologe Gerald Hüther, erfolgen ähnlich der Bewegung eines Fahrstuhls: Im Obergeschoß sind die umsichtigsten Lösungen zu finden, im Keller die einfachsten. Durch Nutzung des präfrontalen Cortex, des Frontallappenteils der Großhirnrinde in der oberen Etage, lösen wir Probleme kreativ und vorausschauend. Stress kann die Nervennetze in unserem Frontalhirn in gehörige Erregung versetzen. »Bei steigendem Druck stürzen wir Stockwerk für Stockwerk ab«, beschreibt der Neurobiologe die dramatischen Ereignisse, die ein simpler Anruf aus-lösen kann.

Gerald Hüther: »Statt neue Ideen zu entwickeln, greifen wir zu gewohnten Handlungen, die sich vielleicht in der Vergangenheit bewährt haben.« Sie rufen jetzt die Sekretärin des Auftraggebers an? Mit einer komplizierten Geschichte bitten Sie um Verständnis und Aufschub. Leider haben Sie in der Aufregung vergessen, dass Sie diese Ausrede erst vor kurzem angewendet hatten. Das Gesuch wird strikt abgelehnt. Ein Mail verstärkt Ihr Empfinden, das sich großes Unheil über Ihnen zusammenbraut. »Es geht dann noch tiefer zu den Kindheitsmustern«, bestätigt der Neurobiologe. Dann kommt es zu einem Verhalten, das wir an uns nicht wirklich schätzen. Die entsprechenden Verschaltungen sind im Gehirn gut gebahnt. Unter Druck laufen sie wie von allein ab.«

Konstruktive Lösungen

Wir lassen Sie nun allein mit ihren kindlichen Reaktionsmustern und wenden uns konstruktiveren Lösungsmöglichkeiten zu. Das Schlaueste wäre, im Allgemeinen vorausschauend zu denken. »Ein Problem achtsam anschauen, warten und überlegen. Dinge nicht so lange vor uns herschieben, bis wir nur noch in Panik geraten können. So können wir unser Gehirn besser nutzen«, rät Hüther.

»Kreativ ohne Stress: Das ist das Beste, was man sich wünschen kann«, meint Wolf Schneider, Seminarleiter für kreatives Schreiben. Fällt dem ehemaligen buddhistischen Mönch dennoch nichts ein, so »falle ich mit der Tür ins Haus und sage die Kernidee gleich am Anfang. Oder nenne den Impuls, der mich bewegt hat, den Text überhaupt schreiben zu wollen«. Wenn dennoch Probleme auftreten, schreibt Wolf Schneider einfach alles auf, was er sagen will, um später alles Überflüssige zu streichen.

Durchatmen

Mit der Reihenfolge der Gedanken zu spielen, ist auch eine Methode, der Panik zu entkommen, wenn man vor Zeitdruck keinen klaren Gedanken mehr fassen zu können glaubt. Wenn ein Gedanke den nächsten jagt handelt es sich meist nicht um die besten. Beruhigen Sie die Lehrerin in Ihnen mit: »Ich schaff das schon.« Trinken Sie Tee und stellen Sie das Telefon und den E-Mail-Eingang auf lautlos. Schreiben Sie die anstehenden Arbeiten auf und legen Sie den Zettel in die Ablage für morgen. Räumen Sie jetzt nicht die Wohnung oder das Büro auf. Was wollten Sie gerade tun?

Atmen Sie wieder durch und wiederholen Sie den Satz, der Ihnen Mut gibt. Sie schaffen das schon. Es fallen Ihnen wieder die Techniken ein, die Sie sich zur effizienteren Erledigung ihrer kreativen Arbeiten angeeignet haben. Sie brauchen gar nicht mehr unter www.kreativesdenken.com und ähnlichen Adressen googeln. Sie haben bereits sämtliche Informationen am Schreibtisch und im Kopf. Nun strukturieren Sie das Material und arbeiten wie gewohnt. Wenn die Arbeit fertig ist, prüfen Sie eingegangene Nachrichten auf ein Ultimatum des Auftraggebers. Herrscht Ruhe an dieser Front haben Sie noch Zeit. Wenden Sie eine Ihrer bewährten Entspannungstechniken an. Ein kurzer Spaziergang, eine Runde laufen, Musik, Schoko oder Kopfstand?

Lesen Sie Ihren Text noch einmal kritisch durch, aber geraten Sie dabei nicht wieder in Entsetzen. Schicken Sie das Ding einfach ab. Denken Sie an den Satz der Kreativitätstrainerin Heike Thormann: »Druck und andere Blockaden sind Gift für Ihre Kreativität. Es mag sein, dass Sie auch unter Stress zu Ideen kommen. Die besten werden es aber kaum sein. Schlafen Sie drüber und lassen Sie Ihr Gehirn die Arbeit tun.«

Ja zum Stress

Sie sind nun ausgeschlafen und merken, dass Sie die Mücke mit einem Elefanten verwechselt haben? Wozu machen Sie sich eigentlich Notizen wie: »Der psychosoziale Stress entsteht durch das Empfinden des Einzelnen und seine Interpretation der auf ihn einwirkenden Umstände. Er basiert auf eigener Wertvorstellung, individueller Meinung und Erfahrung. Wie Stressoren empfunden werden, entscheidet über die Belastung. Aus: ›Ja zum Stress. Höchstleistungen bringen und im inneren Gleichgewicht bleiben.‹ Wolfgang Stehling«

Stress ist Einstellungssache. Übertriebener Perfektionsanspruch, übersteigerter Ehrgeiz oder Minderwertigkeitsgefühle können aus kleinen Stressoren große Belastungen machen. Bei der entsprechenden Einstellung kann Druck auch positiv sein. Auch wie man ihn bewältigt, hat Folgen auf die neuronalen Verknüpfungen im Gehirn. »Offenbar ist Stress auch eine Anpassungsreaktion, die den Umgang des Organismus mit alten und neuen Herausforderungen optimiert«, meint der Stressberater Stehling.

Im Allgemeinen entstehen unter Druck kaum kreative Ergebnisse, belegt Teresa Amabile, Leiterin für Unternehmensmanagement an der Harvard Business School in einer Studie. Die befragten WissenschafterInnen und UnternehmensmitarbeiterInnen fühlten sich wie der Hamster im Laufrad. Gekennzeichnet waren diese Zustände durch fehlenden Fokus und ein gehetzt-sein mit vielen Aufgaben- und Situationswechseln. Als Gegenbeispiel nennt Amabile eine NASA-Mission, in der Ingenieure binnen kurzem ein Luftfilter konstruierten, um die Besatzung vor dem Tod zu retten. Einige Lehren der erfolgreichen Mission lassen sich auch für kleine Aufgaben, wie das Erfüllen von Deadlines, gewinnen: Druck wird erträglich, wenn es um das Erreichen eines Zieles geht und die Dringlichkeit als wichtig und sinnvoll empfunden wird. Konzentration, Gelassenheit und konsequentes Verfolgen der eigenen Ziele machen langfristig resistent gegen äußeren und inneren Druck.

BUCHTIPP
Gerald Hüther
»Biologie der Angst: Wie aus Stress Gefühle werden.«
Vandenhoeck & Ruprecht
Göttingen, 1997
EUR 16,40
ISBN-10: 3525014392
Bestellung:
ÖGB-Fachbuchhandlung, 1010 Wien, Rathausstr. 21,
Tel.: (01) 405 49 98-132
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