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Foto | Paul Sturm Gesetze sollen Gefahren für Leib und Leben der Beschäftigten minimieren.

Gesundheit ist mehr

Schwerpunkt

Auch in der betrieblichen Gesundheitsvorsorge wird Gesundheit nicht mehr lediglich als das Fehlen von Krankheit gesehen.

Die Gesundheit ihrer Beschäftigten war verantwortungsvollen Unternehmensführungen immer schon ein wichtiges Anliegen. Der ökonomische Erfolg in einer wettbewerbsorientierten Wirtschaft erfordert motivierte und leistungsfähige MitarbeiterInnen und darf nicht durch Ausfälle - insbesondere von Schlüsselkräften - aufs Spiel gesetzt werden. Mit der Reduktion krankheitsbedingter Fehlzeiten allein ist es allerdings auch nicht getan, wenn die MitarbeiterInnen zwar da, aber nicht »bei der Sache« sind, weil sie vielleicht schon resigniert haben.

Einschlägige IFES- Forschungen der letzten zehn Jahre - seien es MitarbeiterInnenbefragungen in heimischen Betrieben, sei es der im Auftrag der AKOÖ erhobene und analysierte Arbeitsklimaindex - zeigen, dass sich die Schwerpunkte des Themas »betriebliche Gesundheit« merklich verschoben haben. Im Folgenden sollen nun einige zentrale Aspekte dieses Wandels und sich abzeichnende Weiterentwicklungen dargestellt werden.

1. Wandel der Arbeit

Der Fokus der herkömmlichen betrieblichen Gesundheitsvorsorge richtete und richtet sich stark auf körperliche Gesundheitsgefährdungen durch industrielle und gewerbliche Produktion sowie Dienstleistung. Gesetzliche Schutzmaßnahmen sollen Gefahren für Leib und Leben der Beschäftigten minimieren; eigens eingerichtete Arbeitsinspektorate sind berechtigt, ihre Einhaltung jederzeit zu kontrollieren. Die größte Schutzbedürftigkeit wird demnach bei jenen Personen, etwa ArbeiterInnen, gesehen, die in ihrer beruflichen Tätigkeit besonderen körperlichen Beanspruchungen (Hitze, Staub, Lärm usw.) oder Gefährdungen ausgesetzt sind. Die Gesundheit von Büroangestellten wiederum sieht man hauptsächlich in einer inadäquaten Arbeitsplatzgestaltung, etwa in einer falschen Sitzposition des Bürosessels und - seit neuerem - etwa in den Belastungen für die Augen durch PC-Arbeit gefährdet - siehe Bildschirmpause. Gesetzliche Arbeitszeit- und Urlaubsregelungen sollen überdies die Regeneration von ArbeitnehmerInnen ermöglichen. All diesen sinnvollen und notwendigen Schutzmaßnahmen ist gemeinsam, dass sie fast ausschließlich körperliches Wohlbefinden und Unversehrtheit im Auge haben und psychosomatische Befindlichkeitsstörungen vernachlässigen.

Als in den 1970er Jahren die Gewerkschaften unter der Losung »Humanisierung der Arbeitswelt« zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen aufriefen, war die Arbeitswelt in vieler Hinsicht noch von körperlicher Schwerarbeit geprägt.

In der Zwischenzeit ist nicht nur der Anteil an manuellen Tätigkeiten kontinuierlich zurückgegangen, die Tätigkeitsfelder von ArbeiterInnen unterscheiden sich in vielen Bereichen von jenen früherer Tage. So ist etwa ein besonders risikoreicher Berufszweig, der Bergbau, in Österreich fast völlig ausgestorben. ArbeiterInnen in der modernen industriellen Produktion sind vielfach zu SteuerungstechnikerInnen komplizierter Maschinen geworden, bei denen statt Kraft gleichbleibende Konzentration gefordert wird. Damit verändert sich das hergebrachte Belastungs- und Beanspruchungsprofil und damit die Art des Gesundheitsrisikos.

2. Neue Gesundheitsgefährdungen

Einschlägige Forschungen des IFES zeigen, dass immer mehr Beschäftigte durch Gesundheitsrisiken betroffen sind, die weniger deren körperliche als vielmehr psychische, seelische und soziale Befindlichkeit berühren. Als besonders markante Risikofaktoren seien an dieser Stelle nur Folgende genannt:

  • Belastungen durch Arbeitsstress und Zeitdruck: Diese nehmen - wie fast alle unsere betrieblichen Längsschnittuntersuchungen zeigen, tendenziell zu und haben in bestimmten Gruppen, insbesondere bei qualifizierten Angestellten und bei solchen mit Führungsfunktionen, teilweise schon ein »krank machendes« Niveau erreicht. Die tatsächlich geleisteten Arbeitszeiten liegen, wie der Arbeitsklimaindex zeigt, durchwegs um 10 bis 15 Prozent über dem vereinbarten Niveau, die modernen Technologien der Bürokommunikation ermöglichen eine Rundum-Verfügbarkeit und lassen die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit bisweilen verschwinden. Entsprechende Dienstvereinbarungen - Stichwort »All-Inclusive« - tragen dazu bei.
  • Kennzeichnend für moderne Unternehmensphilosophien ist auch die Tendenz zur Delegation von - auch wirtschaftlicher - Verantwortung von den oberen zu den mittleren und unteren Managementebenen - ja, bis hin zu den MitarbeiterInnen selbst. Was auf der einen Seite als mehr Autonomie und Selbstbestimmung am Arbeitsplatz durchaus zu begrüßen wäre, birgt aber auf der anderen Seite das Risiko zunehmender »Selbst«-ausbeutung, zumal dann, wenn für die übernommenen Verantwortungsbereiche und Zielvorgaben nicht ausreichende Kompetenzen, und Arbeitszeit-Ressourcen zur Verfügung stehen. Mit der Losung »Die Arbeit muss gemacht werden, egal wie!«, versuchen Heerscharen »selbst bestimmter« Angestellter tagtäglich dem Arbeitstag mehr Zeit abzupressen und verzichten allzu oft auf die ihnen zustehenden Arbeitspausen, wie eine von IFES jüngst im Auftrag der GPA-DJP erstellte Studie festgestellt hat.

Die gesundheitlichen Folgen dieser - und anderer - Entwicklungen äußern sich vielfach nicht so offensichtlich wie die Staublunge des Bergmanns oder die Rückenschmerzen des Büroangestellten. Bevor etwa bei einem/einer chronisch überlasteten MitarbeiterIn ein Burn-out-Syndrom diagnostiziert wird, hat sie/er möglicherweise bereits eine jahrelange Krankheitsgeschichte hinter sich, die im Betrieb nicht aufgefallen ist, weil die Leistung scheinbar ja immer gestimmt hat.

Unsere Forschungen der letzten Jahre deuten - zusammengefasst - darauf hin,

  • dass psychosomatische Beschwerden bei Beschäftigten generell zunehmen,
  • und dass davon nicht nur Angestellte, sondern auch ArbeiterInnen betroffen sind.

3. Neue Lösungen

Diese Erkenntnisse verdanken wir nicht zuletzt dem Umstand, dass in vielen Betrieben die Sensibilisierung für diese »neuen« Gesundheitsgefährdungen gewachsen ist, und dass gesundheitsbezogene Fragestellungen ein immer wichtigerer Bestandteil von MitarbeiterInnen-Befragungen werden. Es besteht also ein sichtlich gesteigertes Interesse seitens der Personalverantwortlichen, einen umfassenden Blick auf die gesundheitliche Situation ihrer Beschäftigten zu gewinnen.

Zunehmender Druck entsteht aber auch seitens der innerbetrieblichen Interessenvertretungen, wie etwa das Beispiel einer aktuellen, von den Personalvertretungen und Betriebsräten aus sechs Telekommunikations-Unternehmen initiierten, betriebsübergreifenden Gesundheitserhebung zeigt. Motor einer veränderten Problemwahrnehmung und einer stärkeren Fokussierung auf psychosomatische Gesundheitsrisiken ist jedoch auch ein gestiegenes Gesundheitsbewusstsein der Beschäftigten selbst.
Wenn »Befunde« aus spezifischen Gesundheitserhebungen nun einmal auf dem Tisch liegen, ist seitens der Unternehmen das Bemühen zu erkennen, korrigierend einzugreifen. Vielfach dringt man aber nicht bis zum Kern der Problematik vor und glaubt, mit Oberflächenkosmetik das Auslangen zu finden. Keine nachhaltigen Lösungen sind etwa unzumutbare Belastungen finanziell abzugelten, oder den MitarbeiterInnen Stresstests oder Zeitmanagement-Seminare anzubieten.

4. Fazit und Perspektiven

Unsere Forschungsprojekte in österreichischen Unternehmen zeigen, dass das Problembewusstsein für berufliche Gesundheitsrisiken sowohl bei den Interessenvertretungen, den Beschäftigten, aber auch den Personalverantwortlichen - jenseits der rein körperlichen Gefährdungen - wächst. In der Regel bestehen die Maßnahmen darin, potenziell krank machende Faktoren zu identifizieren und die MitarbeiterInnen dabei zu unterstützen, besser mit diesen Bedingungen leben zu können. Ein nächster Schritt müsste jedoch sein, diese Faktoren zu beseitigen, Belastungen möglichst auszuschalten oder zumindest zu reduzieren.

Gesundheit ist allerdings weit mehr als nur das Fehlen von Krankheit! Nach der allgemein anerkannten Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) beinhaltet Gesundheit eine Reihe von Positivindikatoren wie z. B. soziale Partizipation, Selbstwirksamkeit und Sinnfindung, also Rahmenbedingungen und Ressourcen, die Gesundheit in einem umfassenden Sinne überhaupt erst hervorbringen.

Zentral gehören dazu etwa im sozialen Gefüge »Arbeit«:

  • ein wertschätzender Umgang miteinander und herrschaftsfreie Kommunikation zwischen allen Ebenen der betrieblichen Hierarchie,
  • tatsächliche Entscheidungs- und Gestaltungsspielräume für die Beschäftigten und nicht nur »Scheinautonomie« und
  • und eine Arbeitszeitgestaltung, die, als Work Life Balance, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Arbeit und Freizeit ermöglicht.

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Institut für empirische Sozialforschung (IFES)
www.ifes.at

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