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Der Arbeitsdruck steigt

Schwerpunkt

Seit Jahren steigt der Arbeitsdruck in der Europäischen Union vor allem im Dienstleistungssektor konstant an.

Seit dem Jahr 1991 steigt in der Europäischen Union (EU) die Arbeitsintensität kontinuierlich an. Untersuchungen der Arbeitsbedingungen, die seither in Abständen von fünf Jahren von der Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen durchgeführt werden, ergaben, dass 48 Prozent der Erwerbstätigen im Jahr 1991 zumindest während der Hälfte der Arbeitszeit mit sehr hohem Tempo arbeiten mussten. 50 Prozent hatten knappe, unaufschiebbare Termine vorgegeben.

Hohes Arbeitstempo

Im Jahr 2005 waren 60 Prozent der ArbeitnehmerInnen durch sehr hohes Arbeitstempo und 62 Prozent durch knappe, unaufschiebbare Termine belastet. Parallel dazu ging eine erhebliche Verringerung des Anteils an Beschäftigten, die nie mit hohen Tempo arbeiten mussten (von 36 Prozent im Jahr 1991 auf 21 Prozent im Jahr 2005) bzw. die nie an knappe Termine gebunden waren (von 31 Prozent im Jahr 1991 auf 19 Prozent im Jahr 2005), einher. Das bedeutet, dass die Arbeit immer schneller und unter größerem Zeitdruck bei gleichzeitig immer weniger Möglichkeiten zeitweise unter geringerem Druck zu arbeiten, ausgeführt werden muss. Wir haben es also - zumindest seit 1991 - mit zunehmender Arbeitsverdichtung bei fortschreitender Arbeitsintensivierung zu tun.

Steigende Anforderungen

Steigende Arbeitsanforderungen geben jedoch nicht allein Anlass zur Sorge um den gesundheitlichen Zustand der ArbeitnehmerInnen in der EU. In vielen Fällen treten sie nämlich in Verbindung mit geringen Entscheidungsspielräumen auf und bewirken damit die ungünstigsten, Stress verursachenden Belastungen für die ArbeitnehmerInnen. Davon sind FacharbeiterInnen und angelernte ArbeiterInnen in Industrieberufen und in der Sachgüterproduktion besonders betroffen, weil an diesen Arbeitsplätzen die Bindung an maschinenabhängige Arbeitsabläufe weit verbreitet ist. Auch die im Bauwesen Beschäftigten sind hohen Arbeitsanforderungen bei eher mäßig ausgeprägten Entscheidungsspielräumen ausgesetzt. Im tertiären Wirtschaftssektor stehen besonders ArbeitnehmerInnen im Gaststätten- und Beherbergungswesen aber auch im Transport- und Kommunikationswesen unter einem großen, Stress verursachenden Arbeitsdruck.

Im Jahr 2000 gab ein Drittel der ArbeitnehmerInnen in der EU an, keinen Einfluss auf das Arbeitstempo zu haben. Im Jahr 2005 waren dies ca. 35 Prozent. Für den überwiegenden Teil der ArbeitnehmerInnen (68 Prozent) waren Personen von außerhalb des Unternehmens wie Kunden/Kundinnen, KlientInnen oder PatientInnen der das Arbeitstempo bestimmende Faktor. Für 47 Prozent war das Tempo abhängig von der Arbeit von KollegInnen. Als weitere, das Arbeitstempo bestimmende Faktoren erwiesen sich die direkte Kontrolle von Vorgesetzten (41 Prozent), zahlenmäßig vorgegebene Produktionsziele (39 Prozent) und die automatischen Bewegungen einer Maschine bzw. eines Produkts (18 Prozent).

Fremdbestimmtheit

Für diese Situation ist die vorherrschende Bedeutung des Dienstleistungssektors verantwortlich. Die Kontrolle über das Arbeitstempo wird in erster Linie durch direkte Anforderungen von Kunden/Kundinnen, KlientInnen, PatientInnen etc. und - in geringerem Umfang - innerhalb der KollegInnenschaft ausgeübt. Besonders ausgeprägt ist die Fremdbestimmtheit des Arbeitstempos durch Personen von außerhalb des Unternehmens im Gaststätten- und Beherbergungswesen, im Gesundheitswesen und im Handel.

Leistungsdruck im Team

Unter diesen Bedingungen ist die direkte Kontrolle des Arbeitstempos durch Vorgesetzte oft nicht mehr nötig. Kunden/Kundinnen bestimmen allein durch ihre Anwesenheit, ob und wann Pausen gemacht werden können bzw. wie sehr man sich beeilen muss. Innerhalb eines Teams sind es oft die Teammitglieder selbst, die - unter dem Einfluss von Kundenwünschen - einen mitunter beträchtlichen Leistungsdruck aufbauen, weil ein Teammitglied die anderen nicht »hängen« lassen will. Das führt gelegentlich dazu, dass Beschäftigte krank in die Arbeit kommen, weil sie ihre KollegInnen nicht im Stich lassen wollen. Da kann es auch vorkommen, dass reguläre Arbeitszeiten nicht eingehalten werden.

Interessant ist auch, dass sich seit dem Jahr 1991 die Verbreitung körperlicher und physikalischer Arbeitsbelastungen kaum verändert hat. EU-weit waren im Jahr 2005 30 Prozent (1991: 27 Prozent) der ArbeitnehmerInnen durch starken Lärm, 45 Prozent (1991: 43 Prozent) durch Arbeit in beschwerlichen Körperhaltungen und 34 Prozent (1991: 31 Prozent) durch die Handhabung schwerer Lasten belastet. Das widerspricht der Annahme, dass es aufgrund des technischen Fortschritts zu einer Abnahme körperlich-physikalischer Arbeitsbelastungen kommen würde. Diese Belastungen sind eher gleich geblieben und psychisch wirksame Arbeitsbelastungen haben zugenommen. Österreich ist von diesem Trend nicht ausgenommen. Es gehört noch vor Deutschland, Holland, Frankreich und Großbritannien zu den sieben EU-Mitgliedsstaaten mit der größten Arbeitsintensität. Mehr als die Hälfte der Arbeitszeit wurde 2005 in Österreich unter einer Kombination von sehr hohem Arbeitstempo und knappen, unaufschiebbaren Terminen gearbeitet. Im EU-Durchschnitt waren es nicht ganz 45 Prozent der Arbeitszeit. In einem Teil der Länder, in denen mit einer noch größeren Arbeitsintensität als in Österreich gearbeitet wird, stehen den ArbeitnehmerInnen jedoch ausgeprägte Entscheidungsspielräume bei Inhalt und der Organisation der eigenen Arbeit zur Verfügung, was negative Konsequenzen hoher Arbeitsanforderungen mildert. Dabei wurden vorwiegend die nordischen Länder, untersucht.In Österreich ist die Situation weniger günstig. Hier verbinden sich hohe Arbeitsanforderungen mit (relativ) geringen betrieblichen Handlungsspielräumen für die Beschäftigten. Dadurch entstehen negative Belastungswirkungen und Stress.

Interessant ist, dass ein geringer Arbeitsdruck - also relativ niedrige Arbeitsanforderungen in Verbindung mit hoher Arbeitsautonomie - wie in Belgien, Luxemburg und den Niederlanden - durchaus nicht zu geringer Leistung führen muss. Diese Länder weisen nämlich ein sehr hohes Produktivitätsniveau auf.

Zu wenig Zeit

Von den österreichischen ArbeitnehmerInnen dürfte im Vergleich mit dem EU-Durchschnitt auch mehr Arbeit verlangt werden. Während EU-weit etwa 30 Prozent der Befragten angeben, nicht ausreichend Zeit für die Erledigung der verlangten Arbeit zu haben, geben das in Österreich etwa 40 Prozent an. Besonders betroffen von dieser Situation dürften in Österreich Unternehmen der Informationstechnologiebranche sein. Einer aktuellen Untersuchung zufolge werden in den Unternehmen dieser Branche regelmäßig Überstunden gemacht, und dementsprechend hoch ist auch das Burn-out-Risiko. Aus der Zunahme der Arbeitsintensität ergeben sich zwei problematische Konsequenzen. Erstens steigt die Stressbelastung aller ArbeitnehmerInnen und damit generell das Risiko für stressbedingte Erkrankungen wie psychosomatische

(z. B. Herz-Kreislauferkrankungen, Magen-Darmerkrankungen, Schlafstörungen) und psychiatrische Erkrankungen (z. B. Störungen der Stimmungslage, Angststörungen) sowie Burn-out.

Zweitens sind von steigender Arbeitsintensität vor allem ältere ArbeitnehmerInnen betroffen, da es ihnen schwerer fällt, mit Stress umzugehen. Daher besteht angesichts alternder Belegschaften in Zukunft ein zunehmender Handlungsbedarf für eine alters- und alternsgerechte betriebliche Arbeitsorganisation.

Vor diesem Hintergrund ist es nicht erstaunlich, dass EU-weit etwa jede/jeder fünfte Erwerbstätige über allgemeine Erschöpfung und Stress klagt. Organisationsbedingte und psychosoziale Arbeitsbelastungen beeinträchtigen nicht nur vorübergehend die Gesundheit, sondern tragen auch maßgeblich zum Eintritt einer dauerhaften Arbeitsunfähigkeit vor Erreichen des Pensionsantrittsalters (Invaliditätspension) bei. Dies haben Untersuchungen in Deutschland ergeben, die eine zum Teil erhebliche Beteiligung von psychisch wirksamen Arbeitsfehlbelastungen an den gemeinwirtschaftlichen Kosten für Krankenstände und Invaliditätspensionen nachweisen konnten.

Zukunftserfordernisse

Es wird daher erforderlich sein, Arbeitsbedingungen, die Arbeitsdruck und Stress verursachen, deutlich zu verbessern. Hohes Arbeitstempo sowie kurzfristig gesetzte und unaufschiebbare Terminvorgaben müssen entschärft sowie Entscheidungsspielräume für die ArbeitnehmerInnen erweitert und der zunehmenden Arbeitsverdichtung entgegengesteuert werden. Dies ist vor allem in der Sachgüterproduktion aber auch im Dienstleistungssektor, im Gaststätten- und Beherbergungswesen sowie im Transport- und Kommunikationswesen und besonders in der IT-Branche erforderlich, um stressbedingte Erkrankungen der ArbeitnehmerInnen erst gar nicht entstehen zu lassen und ihre Gesundheit zu fördern.

WEBLINKS
Europäische Agentur für Sicherheit
und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz:
http://osha.europa.eu/de/
European Working Conditions Survey (EWCS)
www.eurofound.europa.eu/ewco/surveys/index.htm
Artikel im Forum Gesundheitspolitik:
www.forum-gesundheitspolitik.de/artikel/artikel.pl?artikel=0587

 

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