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In Afrika gehen die Uhren anders.

Die Zeit anderer Länder

Schwerpunkt

Als Gott die Zeit schuf, gab er Afrikanern die Zeit und Europäern die Uhr«, sagt ein Sprichwort. In Asien herrscht wiederum ein anderes Zeitempfinden.

»Zeit ist Geld« sagt man in Europa. Spätestens seit der industriellen Revolution ist das so - Zeit ist eine Ressource, die man bestmöglich zu nutzen sucht. Durch die Informationsgesellschaft, mit Hilfe von Computern und Internet, lassen sich viele Vorgänge auch tatsächlich maximal beschleunigen und werden dadurch - wirtschaftlich gesehen - effizienter. Und Zeit ist tatsächlich etwas, was wir in Europa leider oft viel zu wenig haben. Entsprechend leben und handeln wir auch. Wir versuchen immer unsere Zeit - auch unsere Freizeit - sinnvoll zu nutzen und zu verplanen. Man will die kostbare Zeit ja nicht verschwenden. Nur Wenige geben sich heute noch der süßen Muse des Nichtstuns hin. Und viele haben tatsächlich wesentlich mehr Geld als Zeit.

»Höllisches Gefängnis« Zeit

Anderswo stellt sich die Situation ganz anders dar. In vielen Schwellen- und Entwicklungsländern herrschen bis heute Zustände, wie man sie in Europa bestenfalls aus dem vorletzten Jahrhundert kennt. Arbeitszeiten von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang und das sieben Tage die Woche, ist in China und Indien bis heute ganz normal ist. Doch dort sind die langen Arbeitszeiten nur in den seltensten Fällen an ein hohes Einkommen gebunden. Im Gegenteil. Oft verdienen die Menschen nur knapp genug, dass es zum Überleben reicht. Von Freizeit kann da nicht die Rede sein. Für Freizeitaktivitäten würde der Minimallohn ohnehin nicht reichen.

Zeit ist in Billiglohnländern, in denen europäische und nordamerikanische Imperien heute die Konsumgüter für ihren Markt produzieren lassen, genau das »höllische Gefängnis«, als die sieim 19. Jahrhundert in Europa von Karl Marx beschrieben wurde. Auf unmenschliche Weise werden die Menschen in ein Zeitkorsett gepresst, aus dem es kein Entrinnen gibt - denn Arbeit ist überlebensnotwendig.

15 Minuten Mittagspause

 »Wir dürfen nur einmal täglich auf die Toilette gehen und dabei nur maximal fünf Minuten brauchen«, erzählt Sun Chi, Arbeiterin in der Schuhfabrik eines bekannten europäischen Sportartikelherstellers in China. »Ja, eine Mittagspause haben wir auch. Die ist 15 Minuten lang«, fährt sie fort. Das mitgebrachte Essen wird direkt am Arbeitsplatz hastig verzehrt. Sun Chi ist vom Land in die Stadt gezogen. Als landwirtschaftliche Arbeiterin konnte sich ihre Zeit zwar viel freier einteilen, erzählt sie, dafür verdiente sie aber auch so gut wie gar nichts. Mit ihrem kleinen Lohn aus der Fabrik kann sie sich jetzt zumindest ihre täglichen Ausgaben halbwegs leisten.

Dennoch gibt es in China heute Menschen die viel verdienen und es - wirtschaftlich gesehen - geschafft haben. Diese Menschen gönnen sich auch Freizeit. Wenn auch nicht viel - denn das verbietet der Arbeitsethos, der vorherrscht. Beispielsweise wird dann eine Urlaubsreise nach Europa gebucht. Weil man aber nicht zu viel Zeit verprassen will, sind die Reisen meist kurz. Zehn Länder in sieben Tagen sind keine Seltenheit, wird von großen europäischen ReiseveranstalterInnen erzählt, die verstärkt chinesische KundInnen bedienen.

Ähnliches gilt auch für Reisende aus Japan. Auch in Japan geht man mit Zeit sehr sparsam um. Das gilt in jeder Beziehung, nicht nur auf Reisen, versteht sich. Die Kosten-Nutzen-Rechnung wird auch in Punkto Schlaf sehr gewinnbringend angewendet. Viele JapanerInnen befinden sich beinahe immer an ihrem Arbeitsplatz, also von den frühesten Morgenstunden, bis spät nachts; und doch oder gerade deshalb, kann man JapanerInnen auch immer und überall beim Schlafen beobachten. Das soll nicht heißen, dass JapanerInnen ihre Arbeit nicht gut machen und immer nur schlafen - weit gefehlt. Sie wissen nur mit jeder Minute Zeit sinnvoll umzugehen - und wenn gerade sonst nichts ansteht, dann wird jede Minute genutzt, um mit dem Kopf auf der Schreibtischplatte den viel zu kurz kommenden Nachtschlaf aufzubessern.

Klare Zeitangaben

In Mittel- und Westeuropa neigen wir dazu, Zeitangaben für eindeutig und klar zu halten. Über Zeitangaben brauchen wir nicht diskutieren, man muss sie nur einhalten. Punkt. Die meisten Leute akzeptieren es, wenn andere zu spät kommen, so lange es sich um wenige Minuten handelt. Eine Entschuldigung wird dennoch erwartet. Bei größeren Verspätungen wird angerufen, so dass die Wartenden Bescheid wissen. Diese Art des Miteinanders erscheint uns als angebracht und höflich. Dass Zeitempfindung und Zeitmanagement in anderen Ländern ganz anders aussehen kann, habe ich in Afrika gelernt. 

 »Als Gott die Zeit schuf, gab er den Afrikanern die Zeit und den Europäern die Uhr«, sagt ein Sprichwort, auf das ich kürzlich gestoßen bin. Treffender könnte ich es wohl auch nicht sagen. Man kann sich an ein unterschiedliches Zeitverständnis gewöhnen. Aber das geht langsam und kann auch ganz schön nerven. Ich werde mich immer an eine Begebenheit erinnern, die sich in Ghana ereignete. Ich wartete auf einen guten, ghanaischen Freund von mir. Wir wollten essen gehen und ich hatte großen Hunger. 19 Uhr war vereinbart worden. Es wurde 19.15, das war noch normal, dann 19.30 und dann 19.45 Uhr. Ich begann mich zu wundern, denn mein Freund Victor ist ein - für Ghana - sehr pünktlicher Mensch. Um 19.57 kam er gemächlich zu meiner Tür herein. Ich zeigt auf die Uhr und sagt: »Na, mal wieder zu spät?« Verwundert sah er mich an: »Wieso, ich bin doch pünktlich, es ist ja noch immer 19 Uhr!« So lernte ich, dass in Ghana die Uhren wirklich anders gehen. 20.00 Uhr beginnt genau in dem Moment, in dem die Uhr von 19.59 auf 20.00 Uhr umspringt und keine Minute früher.

Nun könnte man fälschlich annehmen, dass das Leben in Afrika für die Menschen viel entspannter ist als in Europa. Solange Leute einen fixen Arbeitsplatz im formellen Sektor haben, ist die Arbeitssituation tatsächlich einigermaßen entspannt. Die meisten Menschen jedoch arbeiten im informellen Sektor, sind also oft kleine Einmann/frau-Betriebe, die tagtäglich ums Überleben kämpfen. Die Arbeitszeit können sich diese Leute frei einteilen. Eigentlich müssen sie aber immer arbeiten, haben nie Freizeit. Ein Arbeitsplatz mit geregelter Arbeits- und Freizeit ist für sie unvorstellbarer Luxus. Ich habe mich in Afrika nur selten gewundert, wenn Leute in so prekären Jobs ihre Arbeit eher langsam und gemütlich angehen. Wer so wenig Geld verdient, egal, ob er/sie langsam oder schnell arbeitet, der/die hat keinen Grund sich zu hetzen. Im Falle von Afrika und wohl auch vielen anderen Entwicklungsländern kann man wohl sagen, dass die freie Zeiteinteilung eine Beschränkung der Freiheit darstellt. Denn freie Zeiteinteilung bedeutet für diese Menschen normalerweise auch, dass sie keinen gesicherten Arbeitsplatz haben. 

 Es gibt aber noch andere Arbeitsmodelle in der so genannten Dritten Welt, die teilweise fatal an Sklaverei erinnern: Ich erinnere mich noch gut an meine Reise durch Indien vor einigen Jahren. In den verschiedensten Hotels, bot sich mir immer wieder dasselbe Szenario: Die Menschen lebten und wohnten an ihren Arbeitsplätzen. Es ist dort üblich, dass der/die RezeptionistIn direkt in der Rezeption schläft. Kommt in der Nacht ein Gast, muss der/die Angestellte aufstehen, den Gast bedienen und kann sich dann wieder schlafen legen. Nun könnte man sagen: Nachtdienste gibt es ja auch bei uns! Das ist wohl wahr. Allerdings waren diese Leute auch am nächsten Tag und in der nächsten Nacht in ihrer Rezeption zu finden und auch am übernächsten und über-übernächsten.

Ich arbeite immer, zu jeder Zeit

Dasselbe galt für die KellnerInnen in den Restaurants. Ich denke noch oft an die Antwort eines Kellners auf die Frage, an wie vielen Tagen er frei hätte und wie viele Stunden er täglich arbeiten müsse. Er wusste zuerst nicht wovon ich sprach, denn er hatte offenbar keinen Begriff von Arbeitszeiten und Freizeit: »Ich arbeite immer, jeden Tag und zu jeder Zeit.« Ich konnte es nicht glauben und fragte immer weiter. Doch schließlich verstand er vermeintlich was ich sagen wollte und lächelte: »Ja, letztes Jahr konnte ich für eine Woche meine Familie besuchen!« Ich fragte ihn, ob er seither denn nicht wieder frei gehabt hätte? Daraufhin meinte er: »Nein, das war nicht notwendig«, denn seine Schwester habe ihn ja vor einigen Monaten erst besucht. Darauf wusste ich nun wieder nichts zu sagen. Meine geregelte Arbeitszeit weiß ich seither aber doch wieder sehr zu schätzen. 

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Artikel »Missbrauchte und verzweckte Zeit«
www.visionen.ch/themen/html/00040phi.html

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