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Foto | Paul Sturm Das Thema Urlaub sollten wir uns wieder einmal genauer ansehen: »Es wäre vielleicht sinnvoll, früher einen höheren Urlaubsanspruch zu bekommen.«
Mag. Bernhard Achitz Mag. Bernhard Achitz

Früher mehr Urlaub

Interview

Bernhard Achitz im Gespräch mit der A&W über Arbeitszeit, Überstunden und einer möglichen Forderung nach neuen Urlaubsregelungen.

ZUR PERSON
Mag. Bernhard Achitz
Leitender Sekretär des Österreichischen Gewerkschaftsbundes
Geboren: 20. Juli 1965 in Wien
1983-1990 Jusstudium in Wien
1990-1991 Gerichtsjahr
1991-1997 Mitarbeiter in der Sozialpolitischen Abteilung der Arbeiterkammer Wien
1997-2007 Leiter des Referates für Sozialpolitik des ÖGB
seit 1/2008 Leitender Sekretär des ÖGB für den Bereich Grundsatz
seit 11/2006 erster stellvertretender Vorsitzender des Verbandsvorstandes im Hauptverband der Österreichischen Sozialversicherungsträger

Arbeit&Wirtschaft: Arbeitszeit war einst Kernthema der Gewerkschaften - sie haben den Achtstundentag und die 40-Stunden-Woche durchgesetzt - heutzutage wird immer öfter dem Ruf nach Flexibilisierung nachgegeben.

Bernhard Achitz: Arbeitszeit kann man heutzutage nicht mehr über einen Kamm scheren. Es gibt viele verschiedene Facetten in vielen verschiedenen Branchen. Es gibt auch ganz andere Interessen der Menschen - nicht nur der Betriebe - und dadurch wird das Ganze vielfältiger, bunter, aber natürlich auch komplizierter und schwerer zu kontrollieren oder zu regeln.

Arbeitszeit, Freizeit und Urlaub sind aber immer noch wichtige Verhandlungsposten bei den Kollektivverträgen. Wenn alte Regeln wie acht Stunden Arbeit, acht Stunden Freizeit und acht Stunden Schlaf oder der freie Sonntag in vielen Branchen den arbeitenden Menschen selbst nicht mehr so wichtig sind, was bleibt den Gewerkschaften zum Verhandeln übrig?

Arbeitszeit bleibt trotzdem wichtiger Verhandlungsgegenstand, denn sie hängt ja sehr eng mit der Entlohnung zusammen. In Wirklichkeit geht es sehr oft um die Fragen: Welche Arbeitszeit bekomme ich wie entlohnt? Was ist Normalarbeitszeit, was ist Überstunde? Was ist im Normallohn enthalten, was bekomme ich extra bezahlt? Insofern ist das Thema Arbeitszeit nach wie vor sehr wichtig bei KV-Verhandlungen. Auch wenn das Ganze nicht mehr so starr ist, ist die Frage der Arbeitszeitbegrenzung und der Höchstarbeitszeiten nach wie vor ein Thema.

Die neue Arbeitszeitrichtlinie der EU stößt auch im ÖGB auf heftige Kritik. ÖGB-Präsident Rudolf Hundstorfer sprach von einem verheerenden Signal für ein soziales Europa - was bedeutet diese Richtlinie für Österreich?

Die EU-Arbeitszeitrichtlinie hat auf unsere Rechtslage hier in Österreich nur marginal Einfluss. Insgesamt ist es aber kein schönes Signal, wenn man Staaten erlaubt aus sozialen Mindestnormen hinauszuoptieren. Ich glaube, da hat die EU die Zeichen der Zeit nicht richtig erkannt. Alle reden davon, dass die EU sozialer werden muss und dann kommt so ein Beschluss, das ist sicher nicht optimal. Da muss die EU umdenken - Kompromisse sind notwendig. Aber es kann nicht die Zukunft sein, dass wir uns in Europa gerade bei sozialen Themen immer am untersten Level einigen.

Arbeitszeit ist auch großes Thema bei den immer häufiger auftretenden prekären Arbeitsverhältnissen.

Das ist im Moment unser größtes Problem, denn die Normalarbeitszeit und Überstundenentlohnung von ArbeitnehmerInnen ist zumindest gesetzlich geregelt - und somit »nur« eine Frage der Durchsetzung und der Kontrolle. Wenn man keinen Arbeitsvertrag hat, dann gibt es aber auch keine Arbeitszeitvorschriften und das trifft neue Selbstständige und freie DienstnehmerInnen besonders. Damit besteht ein viel höheres Risiko der Selbstausbeutung. Deshalb wollen wir diese Beschäftigungsgruppen endlich ins Arbeitsrecht einbeziehen. Dafür kämpfen wir schon lange und haben sozialrechtlich ja auch schon einiges erreicht. Wir setzen schon Maßnahmen, damit das Phänomen der freien Dienstverträge nicht überhand nimmt.

Es gibt aber auch im Rahmen der übrigen Arbeitsverhältnisse immer öfter Vertragsformen, die zur Selbstausbeutung führen können: z.B. die so genannten All-in-Klauseln. Da ist die zusätzlich geleistete Arbeit kaum überprüfbar oder nachrechenbar, wenn nicht jemand sehr diszipliniert ständig Aufzeichnungen führt. Ähnlich ist es auch mit Überstundenpauschalen, die nicht regelmäßig auf ihre Gültigkeit überprüft werden. Für manche ist so eine Überstundenpauschale psychologisch schon eine Art All-in-Klausel.

Verführen nicht auch die neuen Medien wie E-Mail oder Handy und die damit einhergehende permanente Erreichbarkeit zu einem zu großzügigen Umgang mit der eigenen Arbeitszeit?

Das ist schon auch berufsgruppenspezifisch: Die Supermarktverkäuferin und der Industriearbeiter sind davon weniger betroffen. Anders ist es mit MontagemitarbeiterInnen, diversen Außendiensten, auch sozialen Diensten und Büroangestellten. Da werden oft auch abends berufliche Mails abgerufen und bearbeitet oder das Handy wird nicht abgedreht. Aber alles im Leben hat Vorteile und Schattenseiten. In vielen Betrieben funktioniert das ja sehr gut. Da investieren Leute zwar Zeit in ihrer Freizeit. Auf der anderen Seite schaut dann der Arbeitgeber nicht so genau hin, wenn man einmal später kommt oder früher geht - Hauptsache, die Arbeit ist erledigt. Was man als Vertrauensarbeitszeit definiert, gibt es formal zwar selten de facto aber häufig. Das Problem beginnt immer dann, wenn der Arbeitgeber das ausnützt.

Eine weit verbreitete und häufig diskutierte Arbeitszeitform ist ja die Teilzeit. Angeblich wollen ja viele - besonders Frauen - gerne Teilzeit arbeiten.

Unsere Erfahrung aus sehr genauen Umfragen ist, dass viele Frauen nur wegen mangelnder Möglichkeiten Beruf und Familie zu vereinbaren bzw. ihre Kinder unterzubringen oder Pflegefälle in der Familie zu versorgen, Teilzeit arbeiten.

Der Mehrarbeitszuschlag bringt hier etwas. So bekommen die Beschäftigten wenigstens faire Teilzeitverträge. Vorher wurden Teilzeitverträge oft in einem geringen Stundenausmaß gegeben und dann wurden regelmäßig Mehrstunden geleistet. So hatten die Beschäftigten ein sehr geringes fixes Einkommen und waren auf die Mehrstunden zur Auffettung dieses Einkommens angewiesen. Die waren aber nicht fix, man konnte nicht damit rechnen, manchmal wurden sie nicht bezahlt und nur auf ein Zeitkonto gebucht - alles in allem glaube ich, dass es jetzt fairere Verträge gibt. Das Teilzeitausmaß richtete sich jetzt öfter danach, was wirklich benötigt wird und den Beschäftigten werden weniger Gutstunden auf Zeitkonten gut geschrieben, die nie abgebaut werden.

Wir GewerkschafterInnen werden uns das aber in Zukunft gemeinsam mit den BetriebsrätInnen noch sehr genau anschauen, weil viele ArbeitnehmerInnen diesen Zuschlag nicht verlangen. Das Problem haben wir ja generell, dass die Abgeltung von Überstunden oder Mehrstunden bei aufrechten Dienstverhältnis oft nicht stattfindet - die Menschen trauen sich nicht das ihnen zustehende Geld zu fordern. Wir müssen den Menschen hier die Angst nehmen, sie bei der Durchsetzung unterstützen und uns für eine vernünftige Arbeitsmarktsituation einsetzen. Und wir sind dabei sehr auf Betriebsräte angewiesen - in Betrieben mit Betriebsräten kommen die Beschäftigten eher zu ihren gesetzlichen und kollektivvertraglichen Rechten und Ansprüchen.

Leisten die Menschen zu viele Überstunden?

In manchen Phasen lassen sich Überstunden wohl kaum vermeiden, wenn allerdings in einem Betrieb permanent von allen MitarbeiterInnen Überstunden geleistet werden, dann ist das ein Fehler im System. Da würde ein Reduzieren der Überstunden Arbeitsplätze bringen. Überstunden sind oft ein Einkommensproblem. In manchen Branchen in manchen Jobs gehört aber auch zum Sozialprestige, dass man möglichst viel arbeitet. Ob das auch viel bringt ist manchmal fraglich. Wissenschaftlich nachgewiesen ist, dass Teilzeitkräfte am produktivsten sind.

Arbeitszeit ist ja immer auch Lebenszeit.

Das war unser Motto bei internen Diskussionen. Flexible Arbeitszeit wird gerne von der Industrie und den Unternehmen eingefordert, ist aber generell nichts Böses. Flexible Arbeitszeit kann, wenn sie nach den Interessen der Menschen gestaltet ist, ja auch etwas Positives haben. Gerade in Zeiten wo man Kinder hat, wo man ein Haus baut oder sich fortbildet bieten flexible Arbeitszeitmodelle die Chance, so etwas mit der Berufstätigkeit in Einklang zu bringen. Allerdings ist man bei einem Sabbatical oder dem so genannten Downshifting von den rechtlichen Rahmenbedingungen auf eine Einigung mit dem Arbeitgeber angewiesen.

Wie stehst du zum 40-40-40-Konzept des GPA-DJP-Vorsitzenden Wolfgang Katzian?

Wichtig ist, dass die gesetzliche Wochenarbeitszeit in einem überschaubaren Rahmen erreicht wird und dass sich die Anzahl der Überstunden einigermaßen in Grenzen hält. Das Problem ist, dass in manchen Branchen wie dem Gast- oder dem Transportgewerbe Überstunden fast schon als Lohnbestandteil gesehen werden. Da muss man sich schon überlegen, ob das auf Dauer sinnvoll ist, wenn sich jemand bis 45 total ausbeutet und dann ausgebrannt ist. Man muss die Menschen auch teilweise vor sich selbst schützen. Das geht nur, wenn es gelingt in diesen Branchen die Grundlöhne zu erhöhen.

Die Sozialpartner haben vor kurzem einen Aktionsplan für ältere ArbeitnehmerInnen präsentiert - welche Rolle spielt hier das Thema Zeit?

Eine besondere: Während junge Menschen gerne Überstunden machen, weil sie gesundheitlich in der Lage sind und oft das Geld dringend brauchen, ist das bei Älteren anders. Darauf müssen die Firmen reagieren. Altersteilzeit ist da ein beliebtes Modell. Wir versuchen gerade eine vernünftige Dauerregelung zu finden, die derzeitige Regelung läuft ja de facto langsam aus. Da gibt es Verständnis von der Wirtschaft, aber wenig Verständnis von der Politik. Die bezeichnet das gerne als Frühpensionsmodell. Das sehe ich nicht so: Man arbeitete einfach Zeit ein, nimmt dann Zeitausgleich und geht zum frühestmöglichen Zeitpunkt in Pension.

Sommerzeit ist auch Urlaubszeit - wie sieht die Position des ÖGB dazu aus?

Die Erfahrung zeigt, dass der Urlaub eine ganz, ganz wichtige Erholungsphase ist. Sogar diejenigen, die sonst auch außerhalb der Arbeitszeit zum Handy greifen oder vor dem Computer sitzen, haben im Urlaub die Chance, sich wirklich zu erholen. Insofern sollten wir in den Gewerkschaften wieder schauen, ob wir nicht parallel oder alternativ zu unserer Forderung nach Arbeitszeitverkürzung Urlaubsverlängerung fordern sollten. Das Thema Urlaub sollten wir uns wieder einmal genauer ansehen: Es wäre vielleicht sinnvoll, früher einen höhere Urlaubsanspruch zu bekommen, für besondere familiäre Ereignisse könnte es Zusatzurlaubsansprüche geben. Wir haben in den Kollektivverträgen zwar Dienstfreistellungen für besondere Ereignisse, aber da gesetzlich etwas zu bewegen, wäre eine interessante Möglichkeit. Bei der Arbeitszeitverkürzung gibt es ja die Befürchtung, dass das in manchen Branchen einfach nur die Überstunden steigert, das wäre beim Urlaub eher weniger der Fall.

Wie sieht dein persönliches Verhältnis zurzeit aus, Bernhard Achitz?

Ich versuche pünktlich zu sein. Wer zu spät kommt stiehlt den anderen die Zeit. Es ist halt eine Frage der Organisation, man muss in meinem Job viel Zeit investieren um sich vernünftig zu organisieren, muss Prioritäten setzen. Im Moment hab ich vielleicht ein bisschen wenig Zeit für mich, aber in anderen Arbeitsphasen geht es. In diesem Beruf geht Arbeit und Privatleben ineinander über - ich hab das Glück, dass meine Partnerin auch in unserer Bewegung arbeitet und wir Abendtermine gemeinsam wahrnehmen können.

Wir danken für das Gespräch und schönen Urlaub.

Das Interview führte Katharina Klee für Arbeit&Wirtschaft.

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