topimage
Arbeit&Wirtschaft
Arbeit & Wirtschaft
Arbeit&Wirtschaft - das magazin!
Blog
Facebook
Twitter
Suche
Abonnement
http://www.arbeiterkammer.at/
http://www.oegb.at/
Foto | Paul Sturm Working poor: Leben im und vom Ausverkauf.

Working poor

Schwerpunkt

Viele Erwerbstätige brauchen Unterstützung, um mit ihrem Niedriglohn leben zu können.

Früher«, erinnert sich Leopoldine Schodl, Jahrgang 1948, »da waren es 195 m2, die wir in der Stunde zu reinigen hatten. Heute sind es 300. Das ist Akkord pur.« Seit 29 Jahren ist die Mutter von drei Kindern bei G.Rado GmbH & Co. KG, GR-Dienstleistungen beschäftigt. Seit ebenso vielen Jahren ist sie eine der fünf Betriebsrätinnen des Unternehmens. Die Armutsgrenze, meint sie, hätten die MitarbeiterInnen heute bereits erreicht. Nur: Was kann der Chef tun? Die Konkurrenz um die Objekte ist groß. Immer billigere Anbieter dringen auf den Dienstleistungsmarkt. Kleinere Anbieter haben da wenig Chancen. Was kann der Betriebsrat tun, wenn Objekte, wie etwa die UNO-City, die von 125 MitarbeiterInnen der GR-Dienstleistungen betreut wurde, an größere Anbieter verloren gehen?

Pro Quadratmeter

»Heute arbeiten wir das Doppelte, um dasselbe zu bekommen, wie früher«, sagt Leopoldine Schodl. Im Kollektivvertrag steht die Entlohnung pro Stunde. Nicht die zu reinigende Quadratmeterzahl. Bei sieben Euro brutto pro Stunde käme eine Arbeitskraft schon auf etwa 1.000 im Monat. Nur, und da hilft auch noch so rasches Arbeiten nichts: Im Reinigungsgewerbe gibt es - bis auf Ausnahmen wie die Sonderreinigung - keine acht Stunden mehr. »Viele werden nur noch geringfügig angestellt«, berichtet Frau Schodl. »Sie zahlen ihre Krankenkasse selbst. Wenn sie Glück haben und einen zweiten Job finden.« Und dabei haben die MitarbeiterInnen des österreichischen Betriebes G. Rado GmbH noch Glück. Sie kommen aus vielen Branchen: vom Friseurladen, Verkauf bis zum Büro. Sieben Euro, meint Frau Schodl, seien viel, im Vergleich was so manche Friseurin vorher verdient hätte.

Jacke wie Hose: 9,90

Die junge Frau ist fesch gekleidet, wirkt resolut und fröhlich. Wie sie heißt und wo sie arbeitet, braucht niemand wissen. Ein guter Betrieb in der boomenden Fitnessbranche, mit kleiner Gastronomie, Energydrinks und Vitamingetränken. »Trinkgeld geben die Leute heute wenig«, sagt sie. »Die meisten wissen nicht, dass wir eigentlich davon leben.« Sie lebt von 900 Euro brutto - und von der Unterstützung ihrer Eltern. Sie ist 35, ihre Tochter 14 Jahre. »Als Alleinerzieherin gehts momentan nicht anders«, sagt die gelernte Kellnerin. »Ich spare. Die Jacke hier: 9,90. Die Hose auch. Das Kaffeehaus geht mir ab. 2,60 die Melange, so viel wie ein Top im Ausverkauf.« Mit der Arbeitslosen sei es ihr, eigentlich, besser gegangen. 700 Euro, inklusive Transferleistungen für das Kind. Jetzt hat sie einen neuen Job in Aussicht. »1.300 brutto, das wäre toll.« Sie muss auf das nächste Angebot warten, bis die Tochter größer ist. Die 1.300 wären für 60 Wochenstunden.

Die junge Frau gehört zur heterogenen Gruppe der »working poor«, jener Menschen, die zwar Arbeit haben, aber damit ihre Existenz nicht sichern können. Allein in Österreich sind laut der Erhebung EU-SILC 2006 rund sieben Prozent davon betroffen. Von den knapp 3,4 Millionen Erwerbstätigen, so die für Österreich repräsentative Studie über Einkommen, Armut und Lebensbedingungen, sind rund 230.000 Personen armutsgefährdet. 97.000 davon sind »manifest« arm. Sie leben häufig in feuchten, schimmligen Wohnungen und haben einen schlechten Gesundheitszustand. 68.000 davon sind in Vollzeit beschäftigt.

Von den »unregelmäßig Beschäftigten« sind 16 Prozent armutsgefährdet. Fast ein Viertel der Arbeitskräfte, die in Teilzeit unter zwölf Stunden tätig sind, leben in Armut oder sind von ihr bedroht. Ähnliche Prozentsätze wurden für Menschen errechnet, die für 35 Wochenstunden weniger als 1.000 Euro brutto erhalten.

Soziale Zeitbombe

»Jenen Interessen nachzugeben, die einen Niedriglohnsektor mit ›Arbeit um jeden Preis‹ forcieren, bedeutet eine soziale Zeitbombe«, kommentiert das Netzwerk »Armutskonferenz« die aktuellen Daten der Statistik Austria, die der im vergangenen Mai präsentierten Studie EU-SILC 2006 zugrundeliege. Die Schwelle zur Armut wurde 2006 mit jährlich 10.711 Euro für den Einpersonenhaushalt (knapp 900 Euro pro Monat) festgelegt. Für jede weitere erwachsene Person im Haushalt werden 447 Euro, für jedes Kind 268 Euro dazugezählt. Nicht allein die Erwerbstätigkeit ist ausschlaggebend dafür, unter die Armutsgrenze zu geraten. Auch Geschlecht, Familiensituation und Staatsbürgerschaft spielen eine Rolle. Besonders groß ist das Risiko für alleinerziehende Mütter.

»Gerade hier zeigt sich die Schwierigkeit, Lösungen zu finden«, meint die Sozialforscherin Petra Wetzel vom Wiener Institut L&R-Socialresearch. Armut bzw. Armutsgefährdung wird in Österreich nämlich auf Haushaltsebene gemessen. Niedriglöhne bzw. geringfügige Einkommen »allein« bedeuten noch keine prekäre Lebenslage, sofern diese als Dazuverdienst gelten. Erst bei der Trennung vom Partner tritt die Gefahr akuter Armut auf.

Neue Erwerbsformen

Besonders groß ist das Risiko, trotz Arbeit arm zu sein, für die Beschäftigten in den neuen Erwerbsformen: freie DienstnehmerInnen, Neue Selbstständige, Zeitarbeit, geringfügig Beschäftigte und Teilzeit. Der Bericht »Zufriedenheit, Einkommenssituation und Berufsperspektive bei neuen Erwerbsformen in Wien«, im Dezember 2005 von der Arbeitsgemeinschaft L&R Sozialforschung, abif und SORA erstellt, lieferte erstmals empirisch gesicherte Daten für den Arbeitsmarkt Wien. Das durchschnittliche Einkommen Neuer Selbstständiger wurde damals mit 1.411 Euro erhoben. Die freien DienstnehmerInnen des im Strukturwandel befindlichen Arbeitsmarkt Wiens kamen auf rund 557 Euro, ZeitarbeiterInnen auf etwa 573 Euro. Das Unterbieten im Baugewerbe, im Handel und im Reinigungsgewerbe nimmt bizarre Formen an. Von einer Arbeitskraft berichtet die Betriebsrätin Leopoldine Schodl, die wegen des hohen Kostendrucks von der Firma entlassen worden war. Kurz danach stand sie, vom AMS entsendet, vor demselben Objekt, in dem sie bisher acht Stunden pro Tag gearbeitet hatte. Die neue Firma beschäftigt sie nun für sechs Stunden.

System »Flexicurity«

»Herrscht bei Ihnen Goldgräberstimmung?«, fragte das Blatt »Die Wirtschaft« zu Beginn des Branchenbooms 2005 den Geschäftsführer des Multi-Dienstleisters ISS Österreich. Mit Sicherheit, so dieser, sei »Facility Management« ein aufstrebender Markt. Unternehmen müssen sparen, Dienstleistungen rund ums Gebäude, die nicht zum Kerngeschäft gehören, werden ausgelagert. In Österreich setzt der Konzern ISS auf Zeitarbeit. Von den weltweit 450.000 MitarbeiterInnen sind nur 10.000 ZeitarbeiterInnen, berichtete ISS-Chef Jørgen Lindegaard in einem Interview im vergangenen April mit der Presse. 1.200 davon allein in Österreich. »Zeitarbeit hängt sehr vom Arbeitsmarkt ab«, meinte Lindegaard. »In manchen Ländern ist einstellen und kündigen sehr einfach. Wir nennen das System ›Flexicurity‹. Die Firmen haben keine Angst, Leute einzustellen, weil sie wissen, dass sie sich leicht trennen können.« Die Österreich-Tochter von ISS ist mit ihren derzeit zwölf Niederlassungen und 9.500 MitarbeiterInnen immerhin viertgrößter Kunde des AMS.

Sittenwidrig

Frau Schodl berichtet von Frauen, die auch am Wochenende arbeiten, um sich Extra-Ausgaben leisten zu können. Etwa die Schullandwoche für das Kind oder eine unvorhergesehene Reparatur. Frauen, die gerne Teilzeit arbeiten, kennt sie keine. »Als Alleinerzieherin ist das nicht zu schaffen«, meint sie. »Manche rufen von der Arbeit um sechs Uhr früh ihre Kinder an, damit sie sich für die Schule fertig machen.«

Es gebe, sagt sie, viele Kämpferinnen unter ihnen. Aber auf verlorenem Posten. Ein Urteil des Arbeitsgerichtes Dortmund sei an dieser Stelle erwähnt. Der Textildiscounter KiK muss nunmehr den Stundenlohn einer Teilzeit-Angestellten um rund drei Euro anheben. Das Gericht stufte die bisherige Bezahlung der 58-jährigen Verkäuferin als sittenwidrig ein. Sie hatte bisher nur 5,20 Euro pro Stunde erhalten. Angemessen seien jedoch mindestens 8,21 Euro, so das Gericht.

WEBLINKS
Weitere Informationen zum Thema finden Sie unter:
www.armutskonferenz.at
Den Bericht »Einkommen, Arbeit und Lebensbedingungen - Ergebnisse
aus EU-SILC 2006«, herausgegeben von STATISTIK AUSTRIA, Wien 2008, können Sie unter der web-Adresse
www.statistik.gv.at als pdf-Datei laden.
 

KONTAKT
Schreiben Sie Ihre Meinung an
gabriele.mueller@utanet.at
oder die Redaktion
aw@oegb.at

 

Artikel weiterempfehlen

Kommentar verfassen

Teilen |

(C) AK und ÖGB

Impressum