topimage
Arbeit&Wirtschaft
Arbeit & Wirtschaft
Arbeit&Wirtschaft - das magazin!
Blog
Facebook
Twitter
Suche
Abonnement
http://www.arbeiterkammer.at/
http://www.oegb.at/

Geheimnisse von Wien

Schwerpunkt

Ein Bericht des Illustrierten Wiener Extrablatts vom 29. Juli 1893 über Elendsquartiere.

Die Wiener Sanitäts-Behörde … lässt gegenwärtig sämtliche sanitätswidrigen Wohnungen konskribieren … Die Kommission fand in manchen Orten … Wohnungen, von deren Existenz die wenigsten Wiener eine Ahnung haben. Diese Räume, welche für den Aufenthalt von Menschen gar nicht geeignet sind, beherbergen ganze Familien, zwanzig bis dreißig Personen. Die in den schmutzigen, ekligen Räumen die Nacht und einen großen Teil des
Tages verbringen. So wurden in einem Glashause in der Wallensteinstraße (Hütte Nr. 229) dreißig Personen zusammengepfercht vorgefunden, darunter zehn Kinder - neun Personen schliefen am Dach … In einem geradezu entsetzlichen Zustande befinden sich viele Dachwohnungen in der Brigittenau, Dresdnerstraße, und in Zwischenbrücken.

Hier wohnen Menschen und Tiere zusammen in einem Raum, welcher nicht genügend ventiliert ist … In einer Dachwohnung in der Dresdnerstraße fand man eine Frau mit einer ansteckenden Krankheit behaftet und neben ihr lagen zwei kleine Kinder. … So abstoßend im ersten Augenblicke vielleicht die Figuren, welche der mit photographischer Treue aufnehmende Zeichner in diesem Bilde gruppiert, wirken mögen, so wird man sich bei ruhigem Nachdenken eines tiefen Mitleids für die Armen und Elenden nicht erwehren können, welche von der harten Not in diese … menschenunwürdigen Aufenthaltsorte gejagt wurden."

Die Menschen, die vor 125 Jahren so lebten, wie es dieser Zeitungsbericht schilderte, waren meist TaglöhnerInnen. Sie arbeiteten, wenn sie Arbeit fanden, rund um die Uhr und oft in vielen Jobs und hatten doch kaum genug zum Leben. Der Großteil der österreichischen Bevölkerung zählte damals zu den »working poor«, die so wenig verdienten, dass sie keine Steuern zahlten und deshalb auch nicht wählen durften. Das »Extrablatt« rief in seinem Beitrag zur Wohltätigkeit auf, um die Armut zu lindern, sie  sei wohl unmöglich. Das war der große Unterschied zum Ziel der jungen Arbeiterbewegung. Sie wollte eine Politik der Gerechtigkeit, die Armut verhindert, statt einer Politik der Wohltätigkeit, bei der die Armen arm bleiben. Deshalb bildete sie Gewerkschaften, um bessere Löhne zu erreichen, und deshalb kämpfte sie für den modernen Sozialstaat, sobald sie politisch mitreden konnte.

KONTAKT
Schreiben Sie Ihre Meinung an
brigitte.pellar@aon.at
oder die Redaktion
aw@oegb.at

Artikel weiterempfehlen

Kommentar verfassen

Teilen |

(C) AK und ÖGB

Impressum