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Franz Schuh im Gespräch mit Peter Huemer zum Thema »Geld regiert, Mitleid krepiert«.

Armut in Entenhausen

Interview

Bei den Wiener Stadtgesprächen im Juni sprach der Schriftsteller und Philosoph Franz Schuh über Geld und Liebe in Zeiten des Kapitalismus.

ZUR PERSON
Franz Schuh
Er studierte Philosophie, Geschichte und Germanistik in Wien. 1976-80 Generalsekretär der Grazer Autorenversammlung. Redakteur der Zeitschrift Wespennest und Leiter des essayistischen und literarischen Programms des Verlags Deuticke. Freier Mitarbeiter bei Rundfunk und Zeitungen. Lehrbeauftragter an der Universität für angewandte Kunst Wien.
AUSZEICHNUNGEN
1986 Österreichischer Staatspreis für Kulturpublizistik
2000 Jean-Améry-Preis
2006 Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Sachbuch/Essayistik
2006 Schweizer Medienpreis Davos für außergewöhnliche Leistungen im Journalismus
WERKE (AUSWAHL)
Liebe, Macht und Heiterkeit. Essays 1985. Das phantasierte Exil. Essays 1991. Der Stadtrat. Eine Idylle. 1995. Schreibkräfte. 2000
Schwere Vorwürfe, schmutzige Wäsche. 2006. Hilfe! Ein Versuch zur Güte. 2007. Memoiren. Ein Interview gegen mich selbst. 2008

Arbeit&Wirtschaft: »Geld regiert, Mitleid krepiert«, titelt eines Ihrer Essays. Ist Geld unmoralisch?

Franz Schuh: Geld ist ein Faktum, gegen das die Moral eine schwache Institution abgibt. Der moralische Einwand gegen die Geldgier trifft zwar, aber er hat gesellschaftlich gesehen keine Kraft, auch weil Geld ein wichtiges Medium ist, mit dem man vieles, auch Gutes, machen kann. Arme sind, selbst wenn sie keine Kritik äußern, ein lebendiger Beweis für Kritikgründe. Armut ist ein Einwand gegen die Gesellschaft, die so stolz auf ihr Funktionieren ist. Man sieht ja, wie in den öffentlichen Meinungskämpfen versucht wird, diesen Einwand nicht allzu stark werden zu lassen, wobei ich der nicht sehr originellen Meinung bin, dass mit dem Ende des Kommunismus das übrig gebliebene System furchtloser und ohne Relativierung die eigenen Werte bis zur Übertreibung forciert.

Es gibt die statistischen Fakten der Armut und die sogenannte gefühlte Armut ...

Gefühlte Armut ist eine problematische Kategorie. Im Prinzip ist auch Dagobert Duck einer, der sich arm fühlt. Wenn ihm ein Taler fehlt, steigt er auf die Barrikaden. Weniger die eigene Armut, heißt es, bereitet Schmerzen als der Palast des Reichen neben der eigenen Hütte. Armut ist unter Umständen eine Geschichte des sozialen Vergleichs, und dabei spielt das Moment der gefühlten Armut seine Rolle. Allerdings ist Armut, die besteht, immer auch »gefühlt«. Daher ist es nicht human, sie - gegen solche Gefühle - zu verobjektivieren.
Es gibt für mich zwei Betrachtungsweisen der Armut: Die eine ist die gesamtgesellschaftlich analytische. In diesem Sinn ist Österreich eine reiche Gesellschaft. Macht man eine Ideologie daraus, führt das zur Ansicht: Wir sind reich, unsere Armen fallen nicht ins Gewicht.

Dagegen die andere Perspektive: So lange es auch nur einen einzigen Armen gibt, ist eine Gesellschaft nicht reich. Konzentriert man sich auf Armutsgruppen, etwa der alleinerziehenden Mütter, kann man sagen: Gemessen daran fällt der Reichtum der Gesamtgesellschaft nicht ins Gewicht.
Die Frage ist allerdings, mit welchen Maßnahmen reagiert man auf Armut? Und es gibt das Problem, dass der Sozialstaat auch entsolidarisierend wirken kann, weil die Solidarität Armen gegenüber bei bestimmten Leuten, die, wie sie sagen, »nichts geschenkt bekommen«, Ressentiments bewirkt.

Ressentiments könnten auch die haben, die fünf Euro pro Stunde verdienen, während andere das 20-Fache kriegen ...

Genau. Auch wenn man nicht mehr weiß, als dass mit dem Begriff »Gerechtigkeit« eine Idee verbunden ist, weiß man relativ genau, was Ungerechtigkeit ist. Und das ist von Fall zu Fall bekanntzugeben. In einer demokratischen Gesellschaft finden die sogenannten Verteilungskämpfe nicht zuletzt öffentlich statt. Dabei geht es auch um symbolisches Kapital, um Bildungschancen zum Beispiel. Diese Kämpfe sind von schnöden Interessen, aber auch von Gerechtigkeitsvorstellungen durchdrungen, ohne dass man exakt definieren könnte, was denn etwa ökonomische Gerechtigkeit wäre. Die Ungerechtigkeit, dass einer von den Zinsen seines Kapitals lebt, erzeugt in mir Ressentiments. Ich muss in meinen prekären Lebensumständen ja schwer arbeiten. Es gibt aber zum Glück keine Instanz, die außerhalb des öffentlichen Streits sagen kann, was Gerechtigkeit für alle ist und wie man sie herstellt.

Warum zum Glück?

Weil es keine Menschen gibt, die gerecht genug wären, um die Gerechtigkeit, die sie versprechen, gerecht durchzusetzen. Das wäre eine Gerechtigkeitsbürokratie, die unter dem Vorwand, gerecht zu sein, das Ungerechte schlechthin tun würde.

Sie sagen, es gebe Zeiten und Konflikte, wo die Politik durchaus angezeigt wäre. Welche?

Der Satz von Karl Kraus, Politik sei Parteinahme, ohne zu wissen wofür, erscheint mir plausibel. Politik ist eine Art von substanzloser Leidenschaftlichkeit einerseits, und von bürokratischer Vertrocknung andererseits. Allerdings müssen die Angelegenheiten der Menschen geregelt werden. Der Inbegriff der Notwendigkeit von Politik ist die Vermeidung von Krieg. Die Art von Politik, die zu Kriegen führt, erfordert Politik, die Kriege verhindert. Es gibt auch Konflikte, die nichts als die Entscheidung für den Krieg zulassen. Gegen Hitler hätte man ohne Krieg keine menschenwürdige Welt haben können.

In Ihrem Buch »Hilfe! Ein Versuch zur Güte« schreiben Sie, dass Hilfe oft nur im Rahmen von Institutionen möglich ist. Die ArbeitnehmerInneninteressen werden von der Institution ÖGB vertreten ...

Die Gewerkschaftsbewegung ist eine der wichtigsten Humanisierungsanstrengungen in der Geschichte der Menschheit. Gewerkschaften unterliegen aber wie alle anderen Bürokratien der Gefahr, dass sie sich bloß um sich selber kümmern und hauptsächlich jene Probleme lösen, die es ohne sie nicht gäbe. Das ändert aber nichts daran, dass es eine über die Verhandlungsbereitschaft von Individuen hinausgehende Arbeitervertretung geben muss. Vorstellungen von Unternehmern wie Stronach, dass Gewerkschaften unnötig sind, weil er eh alles »mit seinen Leuten ausredet«, reichen nicht. Solche Konfliktregelungen müssen institutionalisiert werden, so dass die Vertretung von ArbeitnehmerInneninteressen außerhalb einer subjektiven Gesprächbereitschaft Gesetz, also juristisch festgelegt ist.
Was in einer sogenannten globalisierten Wirtschaft mit ArbeitnehmerInneninteressen geschieht, die traditionell national vertreten worden sind, steht in den Sternen. Global konkurrieren Arbeitnehmerinteressen mit ArbeitnehmerInneninteressen. Weil die ArbeitgeberInnen etwa von Deutschland nach Rumänien gehen. Der alte marxistische Satz, dass die Konkurrenz der ArbeiterInnen untereinander deren größter Feind ist, ist jetzt auf internationaler Ebene aufgespannt und klingt in meinen Ohren ganz nach dem Slogan der Zukunft.

Ihr »Sehnsuchtsbegriff« ist für Sie nicht die Güte, sondern die Großzügigkeit. Die scheint am freien Markt eingeschränkt möglich, wo etwa viele Freiberufler untereinander konkurrieren.

Mit dem Hinweis, der freie Markt ließe keine Großzügigkeit zu, sie als unnötig zu denunzieren - das halte ich für ein kleinmütiges Argument. Wir sollten außerdem den Konkurrenzkampf nicht heroisieren. In einer sozialpartnerschaftlich ausbalancierten Gesellschaft wie der unseren, ist der Konkurrenzkampf gemildert, »sublimiert«. Vergleicht man die angelsächsische Konkurrenzkampfgesellschaft mit der unseren, bekommt man eine Ahnung vom Unterschied.

Sie haben keine Pensionsvorsorge. Wie gehen Sie damit um?

Abgesehen von dem persönlichen Jammer, den jeder hat, ist es nicht uninteressant, dass ein bestimmter Typus von Schriftstellern schon in Prekariatsverhältnissen gelebt hat, als das Prekariat noch gar nicht erfunden war. Ein Einzelner, der sich früh darin übte, ist weniger davon überrascht, als ganze Gruppen, die plötzlich hineinrutschen, und das, obwohl doch eine Generation vor ihnen noch mit sicheren Arbeitsverträgen agiert hat. Ein schöngeistiger Teil des abbröckelnden Mittelstandes hat Prekariatserfahrung und existiert darin wie der Fisch im Wasser.

Die Hoffnung auf den Glücksfall, mit einem Bestseller privatwirtschaftlich an die zauberhafte Erfolgsspitze hinaufgetragen zu werden, spielt bei KünstlerInnen aller Art eine Rolle. Das ist wie Lotto spielen. Es gibt Prekariatsformen, die dieser Spielchance entbehren. Die Aussicht auf zauberhafte Befreiung besteht ja nur in manchen Berufen. So muss man, auch wenn es Übergänge gibt, zwischen dem hoffnungsvollen und dem depressiven Prekariat unterscheiden.

Sind die JournalistInnen schon Prekariat? Ein wichtige Frage, weil über das Aushungern der Redaktionen sehr viel an bisher garantierter Selbstreflexion der Gesellschaft unterschlagen wird. Das bedeutet - wie so manches andere - eine Übergangsform zu einer weniger freien Gesellschaft. Für Österreich ja kaum ein Problem, weil hier der Journalismus auch in seinen besten Zeiten seine Stärke nicht in der Reflexion hatte.

Was tun, wenn das Elend über die Medien in die Wohnung dringt?

»Alles was wir wissen«, hat der Soziologe Luhmann gesagt, »wissen wir durch die Medien.« Einerseits wüssten wir ohne Medien vom Elend der Welt kaum etwas. Andererseits aber ist die Beobachterposition, zu der Medien konditionieren, eine ganz andere als die der »caritas«, der tätigen Hilfe. Das Serviertbekommen des Elends macht daraus ein Spektakel. Das Spektakel führt dazu, dass man gerührt ist, in erster Linie von sich selbst und von der eigenen Rührung.

Was tun? Man kann wegschauen; man kann sich zum Spezialisten für solche Spektakel heranzüchten oder es mit ritualisiertem Spenden versuchen. Man kann vom humanitären Staat verlangen, im Sinne der Staatengemeinschaft Hilfe zu leisten. Man kann politisch aktiv werden, oder man kann sich existenziell in die Sache einmischen, wie Ärzte ohne Grenzen.

Das Wort »charity«, und auch »charity« ist eine Möglichkeit, beansprucht die Würde der alten »caritas«. Mich interessiert weniger die Kritik an »charity«, an ihren widerwärtigen Erscheinungsformen; mich interessiert, dass selbst die hartherzigsten Typen, die ohne soziale Verantwortung existieren, Wert darauf legen, nicht als hartherzig eingestuft zu werden.

Es kommt in meinen Augen ja gar nicht darauf an, ob wir wirklich gut sind, sondern darauf, ob wir effektiv helfen, egal mit welchem moralischen Hintergrund. Mein sozialpsychologisches Interesse ist aber: Warum haben manche
der so unfassbar am Gelde hängenden Leute das Bedürfnis, in der Öffentlichkeit eine Fassade ihres Gutseins aufzubauen?

Könnte »charity« die konkrete Arbeit karitativer Organisationen in der Öffentlichkeit diskreditieren?

Vielleicht, weil es in der Tat so ist, dass viele, die sich in der Öffentlichkeit durch »charity« Ansehen verschaffen, zugleich Gegner der »caritas« sind: In deren Augen steht sie links. Das Wesen der »caritas«, und ich meine nicht die Organisation allein, ist eine Menschenliebe, die über die spezifischen Gründe hinausgeht, aus denen unsereins einen anderen liebt. Man denke an den TV-Werbespot: »Warum helfe ich dem, obwohl er ...?« »Weil er ein Mensch ist«, heißt die Antwort. Man benötigt, um zu helfen, keinen anderen Grund.

Das Gespräch führte Gabriele Müller, freie Journalistin und Übersetzerin in Wien.

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