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Joana Adesouw Reiterer ist vor Jahren aus Nigeria nach Österreich gekommen. Im Verein Exit klärt sie ihre Landsleute auf.

Armutsfalle Europa

Schwerpunkt

Immer mehr sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge kommen vorwiegend aus Afrika ins angeblich so wohlhabende Europa. Für viele eine Reise ins Elend oder den Tod.

Joana Adesouwa Reiterer weiß um die Gründe, die gerade die jüngsten und fittesten ihrer Landsleute nach Europa locken: »Zum einen sind es die Afrikaner, die in Europa leben und sich nicht getrauen zu berichten, unter welchen Umständen sie ihr Leben im Norden fristen. Sie schämen sich, dass es ihnen schlecht geht und erzählen es zu Hause nicht. Und zum anderen sind es die europäischen Mitarbeiter internationaler Konzerne, die riesige Villen, Wachpersonal, Hauspersonal und große Autos zur Verfügung gestellt bekommen - diese Zurschaustellung von Reichtum lässt viele Afrikaner glauben, allen Europäern ginge es so gut. Die begreifen nicht, dass das nur bei den gut bezahlten Jobs in Afrika so funktioniert.«

Joana Reiterer ist selbst vor Jahren aus Nigeria nach Österreich gekommen. Allerdings nicht ganz aus freien Stücken, sondern weil ihr Mann hier lebte und seinen Geschäften nachging und mittlerweile selbst Österreicher geworden war. Rund 40.000 Frauen allein aus Nigeria - einem der reichsten afrikanischen Länder - fristen ihr Dasein auf Europas Straßen als Zwangsprostituierte. Und über die Zahl der jungen Männer, die als Drogendealer versuchen ihre »Reisekosten« abzustottern, gibt es nicht einmal Schätzungen.

Der Mechanismus mit dem junge, oftmals gut ausgebildete AfrikanerInnen dazu verleitet werden, nach Europa zu gehen ist komplex: Da ist zum einen ein schier unausrottbarer Minderwertigkeitskomplex der AfrikanerInnen gegenüber Europa und den EuropäerInnen. Scheinbar alles ist in Europa besser und auch leichter.Voodoo, der in Afrika weit verbreitete »Natur- und Geisterglaube« wird gezielt dazu benützt, die »Auswanderer« in Angst und Schrecken zu versetzen und Geld von ihnen zu erpressen. Das Geschäft mit den Auswanderern ist ein gut gehender Wirtschaftszweig von dem viele profitieren. Und drittens ist da noch die Tatsache, dass es für alle Probleme im eigenen Land eine Lösung gibt die so einfach klingt: Europa.

Exit klärt auf

Joana Reiterer, die mit ihrem Verein Exit seit zwei Jahren erfolgreich Aufklärungsarbeit in den Herkunftsländern der geschleppten Menschen betreibt, bedauert diese Haltung ihrer Landsleute: »Wenn zum Beispiel die Nigerianer diese Energie, die aufgebracht wird, um nach Europa zu kommen und dann hier zu überleben, nutzen würden, um im Land etwas weiterzubringen, dann würde sich in Nigeria wirklich etwas bewegen.« Ein Problem, das auch andere Afrikaner bestätigen, ist die Tatsache, dass oft Quantität über Qualität geht. Dadurch wird auch in Afrika häufig fehl investiert und die Entwicklung stagniert. Selbst teure Technologien, die Fortschritt und Hilfe bedeuten würden, werden oftmals aufgegeben und bleiben ungenutzt.

Die Religion, der Geisterglaube Voodoo (eigentlich ist er in Westafrika unter dem Namen Juju bekannt) wird gezielt eingesetzt, um Menschen unter Druck zu setzen: Die Voodoo-Priester besiegeln die »Verträge«, die die Schlepper mit ihrer »Kundschaft« machen, mit den traditionellen Ritualen. Die Strafe, die den Geschleppten bei Nichteinhaltung des Vertrages angedroht wird, ist beängstigend. »Es ist wie eine Art Gehirnwäsche«, sagt auch Joana Reiterer, die sich vor ihrer Reise nach Österreich selbst so einem Ritual unterwerfen musste. Über ihre Erfahrungen damit und ihre Lebensgeschichte bis zur Integration in Österreich wird im neuen Buch »Die Wassergöttin, oder wie ich die Macht des Voodoo brach« in Kürze nachzulesen sein. Und so ziehen unzählige durch die Wüste gegen Norden, schiffen sich in abenteuerlich zusammengezimmerten Booten ein oder versuchen ihr Glück mit einem Touristenvisum und einem Flugticket für das nicht selten eine ganze Familie in die Tasche gegriffen hat.

Reise ins Elend

Häufig verlassen aber auch Menschen ihre Heimat denen niemand in den Ohren gelegen ist. Sie geben ihre gutgehenden kleinen Geschäfte und ihren bescheidenen Wohlstand auf und verschulden sich Hals über Kopf, um ins gelobte Land zu kommen. »Eine Frau, die ich kenne, hatte eine Boutique in Lagos. Um nach Europa zu kommen, hat sie alles verkauft und noch heute 60.000 Euro Schulden bei ihrem Schlepper«, bestätigt auch Joana Reiterer die Vermutung, dass nicht nur arme Menschen vom Land nach Europa drängen. Da die Schlepper nach afrikanischen Verhältnissen ein Vermögen für die Reise nach Europa verlangen, ist es praktisch ausgeschlossen, dass völlig mittellose Menschen nach Europa kommen. Die Migrationsbewegung ist vielmehr ein Phänomen des afrikanischen Mittelstandes. »Es ist schon fast eine Mode, nach Europa zu gehen, und weil die Asylverfahren rund vier Jahre dauern, haben die Geschleppten auch so viel Zeit, das Geld für die Reise oftmals am Strich oder im Drogenmilieu zu verdienen.«

Die Familien die ihre Kinder mit Hilfe von Menschenhändlern nach Europa geschickt haben, ahnen nicht selten die Probleme, haben aber keine Vorstellung vom Ausmaß des Elends in das sie ihre Liebsten getrieben haben: »Am Anfang habe ich geglaubt, dass die Eltern nichts wissen, weil keine Eltern sich das für ihr Kind wünschen. Durch Recherchen habe ich aber herausgefunden, dass Mütter das sogar unterstützen, denn sie glauben, dass sie dem Schlepper etwas schuldig sind, weil er ihrem Kind geholfen hat. Die Eltern kennen die Realität in Europa nicht. Wie die Frauen die ganze Nacht im Prater stehen und mit unzähligen Männern schlafen müssen. Das haben sie noch nicht gehört.«

Rückkehr ist das schwerste

Hier setzt die Arbeit des Vereins Exit an: Gemeinsam mit StudentInnen eines Filmclubs hat Joana Reiterer einen Aufklärungsfilm gedreht, den sie auf Reisen in Nigeria neben NGOs auch SchülerInnen zeigt und mit ihnen diskutiert. Der Film erzählt die (wahre) Geschichte einer Nigerianerin, die nach Österreich geschleppt und hier mit Gewalt zur Prostitution gezwungen wurde. Dadurch wird nach und nach klar: Das Bild, das die Menschen in Afrika von Europa haben, ist falsch und verzerrt. »Human Trafficking« ist die moderne Form der Sklaverei, denn die Reisekosten müssen unter erbärmlichen Bedingungen und unter Freiheitsberaubung abgearbeitet werden.

»Das schwerste für die Menschen, die einmal hier in Europa gelandet sind, ist zurückzugehen und zuzugeben, was sie tun mussten, um zu überleben.« So versuchen die meisten, nachdem sie die Schulden an ihre SchlepperInnen abbezahlt haben, noch ein wenig Geld zu sparen, um dann nach Afrika zurückzukommen und die Mär vom goldenen Europa weiter aufrechtzuerhalten. Mit großer Geste werden da beim ersten Besuch zu Hause mühsam erworbene Geschenke verteilt oder ganze Familien über Jahre unterstützt. Mit welcher Arbeit will niemand so genau wissen. Bei ihrer Aufklärungsreise nach Nigeria traf Joana auch auf einen jungen Burschen der stolz erzählte, dass sein Bruder in London einen guten Job habe. Auf die Frage, was er denn in London arbeiten würde, konnte er keine Antwort geben. Nachdenklich meinte er nach der Vorführung des Filmes, er werde seinen Bruder beim nächsten Telefonat fragen, welche Art Arbeit das wohl wäre.

WEBLINKS
Informationen und Hilfe für Betroffene gibt es bei folgenden Vereinen:
www.exit-ngo.com
www.lefoe.at

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