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Wirtschaft&Arbeitsmarkt

Nach den jüngsten Betriebsverlagerungen stellt sich wieder einmal die Frage, ob Investitionsförderungen eine sinnvolle Standortpolitik sind?

Neuer Höhepunkt in der Diskussion bezüglich Für und Wider von Subventionen für Unternehmen - Nokia Betriebsverlagerung von Deutschland nach Rumänien.

Die Abwanderung

Mit Jahresbeginn 2008, zeitgleich zum Ablauf der Subventionsübereinkommen über 52 Mio. Euro mit dem Land Nordrhein-Westfalen, gab die Geschäftsleitung von Nokia bekannt, dass das Werk in Bochum mit rund 3.300 MitarbeiterInnen aus Kostengründen geschlossen wird, weil der 2007 erwirtschaftete Gewinn von 134 Mio. Euro in seiner Höhe nicht den Erwartungen der Aktionäre entsprach. Der größte Teil der Produktion wird in ein neues Werk nach Rumänien verlagert, das mit günstigen Steuern, Niedriglöhnen und Infrastrukturinvestitionen von 1,4 Mrd. Euro lockt. Ende 2007 gab Novartis Österreich die Schließung des traditionsreichen Forschungsstandortes in Wien bekannt. Davon sind 240 Angestellte betroffen. Ursprünglich war Wien das weltweite Kompetenzzentrum von Novartis. Obwohl der Umsatz des Gesamtkonzerns in den ersten neun Monaten 2007 um 13 Prozent auf rund 19,4 Mrd. Euro angestiegen war, sollen zur Erzielung noch höherer Gewinne Arbeitskosten gespart werden. Und im vorliegenden Fall durch die Zusammenlegung der Forschungsstandorte. Die großen Massenentlassungen aufgrund Standortverlagerungen der letzten Jahre waren unter anderem Renault-Vilvorde in Belgien (1997), VW-Werk bei Brüssel (2006), Michelin in Frankreich (1999) und Goodyear in Italien (2000). Diese Liste lässt sich beliebig fortsetzen.

Der Fall Semperit

Auch darf die größte österreichische Betriebsverlagerung von Semperit nicht in Vergessenheit geraten: 1985 kaufte der deutsche Conti-Konzern das Semperit-Werk in Traiskirchen von der Creditanstalt. Zeitgleich wurde eine Investitionsförderung in Schilling-Milliardenhöhe vereinbart. 1994 erfolgte der Abzug der F&E-Abteilung in das Stammwerk nach Hannover. 1996 wurden ein Teil der Maschinen samt Produktion nach Tschechien verlagert und 500 MitarbeiterInnen freigesetzt. Da laut Konzernleitung die Werke in Schweden (Gislaved) und Österreich die teuersten Produktionsstandorte waren, wurde 2002 die Schließung der Reifenproduktion unter Freisetzung von ca. 1.500 MitarbeiterInnen beschlossen.

Die unmittelbare Reaktion der Öffentlichkeit auf diese Standortverlagerungen war neben der allgemeinen Empörung der Aufruf zum VerbraucherInnenboykott als »Selbsthilfemaßnahme« einer Nation. Gleichzeitig haben PolitikerInnen auf allen Ebenen sowie die EU-Kommission aufgefordert, rasch mit dem Fördertourismus Schluss zu machen. Gewiss hat die öffentliche Diskussion dem Firmenimage geschadet, doch solche tagespolitischen Meldungen sind bald vergessen.

EU-Subventionen

Ist Investitionsförderung durch Subventionen unter den Rahmenbedingungen großer Ungleichheiten in der erweiterten Union noch zeitgemäß? Oder tragen die dafür eingesetzten Fördermittel am Ende selbst zu unerwünschten Verlagerungen und entsprechenden Arbeitsplatzverlusten bei? Der Schwerpunkt der europäischen Kohäsionspolitik liegt überwiegend auf der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und weniger auf dem Ausgleich der regionalen Unterschiede. Die wirtschaftlich rückständigen Regionen der EU setzen die europäischen Fördergelder zur Überwindung von Standortnachteilen ein: Modernisierung der wirtschaftlichen Infrastruktur und Förderung von ansiedlungswilligen Unternehmen mit den nach dem europäischen Beihilfenrecht höchstmöglichen Fördersätzen als Anreiz zur Betriebsansiedlung.

Nationale Förderungen

Die Europäische Kommission beteuert, dass im Fall Nokia keine EU-Strukturfondsmittel für die Werkserrichtung in Rumänien ausgezahlt wurden. Dies widerspräche auch den verschärften Bestimmungen der Allgemeinen Strukturfondsverordnung, die verhindern sollen, dass mit europäischen Geldern Standortverlagerungen innerhalb der Europäischen Union gefördert werden. Inwieweit die Nokia-Ansiedlung in Rumänien durch rein nationale Fördertöpfe (also solche, die nicht aus dem Strukturfonds mitfinanziert werden) gefördert wird, bleibt offen. So können beispielsweise unter dem Titel Forschung und Entwicklung, Umweltschutz, Investitions- und Regionalförderung nationale Beihilfen, also ohne Co-Finanzierung aus EU-Töpfen, nach Art. 87 (3) (a) und (c) EG-Vertrag vergeben werden. Angesichts der geringen Bedeutung staatlicher Beihilfen am BIP (siehe Tabellen 1 -3) dürften Beihilfen bei Unternehmen weitgehend den Stellenwert eines Mitnahmeeffektes einnehmen.

Billiger Faktor Arbeit

Aus den dargelegten Beispielen drängt sich folgende Schlussfolgerung auf: Die Produktionen waren zwar erfolgreich, doch konnten sie durch Umsiedlung noch gewinnbringender gestaltet werden - eben mit noch niedrigeren Kosten für den Faktor Arbeit. Das Lohnniveau der bulgarischen und rumänischen Metall- und Elektroindustrie beträgt z. B. nicht einmal zehn Prozent des Lohniveaus der westlichen EU-Länder.

Dazu ergeben sich im Vergleich auch massive Vorteile hinsichtlich niedrigerer Unternehmensbesteuerung, wobei dieses Thema von den absiedelnden Unternehmen und der Politik selten ins Treffen geführt wird. Haben sich anfänglich die neuen Mitgliedsstaaten gegenseitig unterboten, so überschlagen sich jetzt auch die »alten« Mitgliedsstaaten beim Angebot von günstigen Steuersätzen.

Das Wohlstandsgefälle zwischen den alten und neuen Mitgliedsstaaten, bedingt durch niedrige Löhne und Steuern, bringt den mittel- und osteuropäischen Ländern enorme Standortkostenvorteile. Hauptmotiv der Produktionsverlagerungen sind die niedrigen Arbeitskosten. Die multinationalen Konzerne sind darauf bedacht, diese Lohnunterschiede auch langfristig beizubehalten, ansonsten ziehen sie weiter. Dadurch geht die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander, obwohl allgemein argumentiert wird, dass multinationale Konzerne ihre Beschäftigten überdurchschnittlich gut bezahlen und damit wichtig für den wirtschaftlichen Aufholprozess sind. Aber mitnichten - das Nokia-Werk bezahlt seine ArbeiterInnen selbst für rumänische Verhältnisse unterdurchschnittlich! Und dies ist gewiss kein Einzelfall. Von Investitionsförderungen profitieren in erster Linie die Unternehmen, daher ist »Subventions-Hopping« durch die Länder der EU eine Fehlallokation von Steuermitteln und strikt zu unterbinden.

Aus Sicht der Gewerkschaften ist die Zusammenarbeit der europäischen Betriebsräte zu stärken. Diese haben ein Recht auf rechtzeitige Information und Anhörung und können im Rahmen dessen Alternativkonzepte vorlegen. So werden laut einer Studie des Fraunhofer Instituts in Karlsruhe beispielsweise Produktivitätssprünge von 15 bis 30 Prozent an bestehenden (deutschen) Standorten, die durch innovative Technologien und Lösungen im Wettbewerb sowie überdurchschnittliche Investition in Forschung und Entwicklung erreicht werden, bei kostenorientiertem Standortvergleich nicht kalkuliert.

Eine internationale Solidarisierung über die Eurobetriebsräte oder Gewerkschaftsorganisationen kam bis dato nur in geringem Umfang zustande, da die nicht betroffenen Standorte nicht zu Kampfmaßnahmen zu motivieren waren. Solidarisierung klappt eben nur bei eigener Betroffenheit. So waren im Fall des Conti-Konzerns zunächst die gewerkschaftlichen Kampfmaßnahmen in Charlotte (USA) von Erfolg gekrönt, durch die nach einem Jahr Streik 1989 höhere Löhne durchgesetzt wurden.

Inzwischen sind drei der vier Produktionsstandorte in den USA geschlossen, nur der nicht organisierte Betrieb in Mount Vernon ist nach wie vor tätig. Eine späte Rache der Konzernleitung? Einzige Hoffnung: Das Fraunhofer Institut stellte fest, dass insgesamt der erwartete Erlös aus der Verlagerung gar nicht realisiert wird. Mitte 2004 bis 2006 verlagerten 15 Prozent aller (deutschen) Industrieunternehmen Teile ihrer Produktion ins Ausland. Jedes Sechste kehrte nach vier bis fünf Jahren nach Deutschland zurück, weil die Auslandserfahrung negativ war.

Alternativkonzepte der Politik

Aus Sicht des europäischen Industriekommissars Verheugen ist die Konsequenz klar: Wenn für die Unternehmen einzig und allein der Shareholder-Value Grundlage für Unternehmensentscheidungen ist und sich die Investitionen nur unter Zuhilfenahme von Steuermitteln rechnen, ist eine nachhaltige Förderung der regionalen Entwicklung nicht gewährleistet. Diese Mittel sollten besser für Bildung, Ausbildung und den Aufbau einer modernen Infrastruktur verwendet werden. Neben der Sozialisierung der Standortschließungskosten (auf EU-Ebene durch den Sozial- und Globalisierungsfonds, auf nationaler Ebene durch Arbeitsstiftungen, staatliche Bürgschaften und Garantien) wird auch immer wieder die Einführung von Staatsfonds zur Verwaltung von strategischem Eigentum angedacht.

Dies vor allem, seit der Europäische Gerichtshof regelmäßig nationale Gesetze zur Erhaltung eines »Golden Share« wegen Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit als EU-rechtswidrig qualifiziert und die Staatsfonds der aufstrebenden Wirtschaftsmächte immer globaler tätig werden. Damit soll der Verschleuderung von volkswirtschaftlichem Vermögen entgegengewirkt werden: So lukrierte im Falle von Semperit der Conti-Konzern jahrelang Gewinne, während gleichzeitig die ArbeitnehmerInnen mehrere Rationalisierungsprogramme hinnahmen. Nach Schließung des österreichischen Produktionsstandortes verblieben das gesamte Technologiewissen sowie die Markenrechte bei Conti.

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