topimage
Arbeit&Wirtschaft
Arbeit & Wirtschaft
Arbeit&Wirtschaft - das magazin!
Blog
Facebook
Twitter
Suche
Abonnement
http://www.arbeiterkammer.at/
http://www.oegb.at/
Christiane Knacke hat am 18. August 1977 als erste Frau der Welt mit unter 60 Sekunden für 100 Meter Schmetterling beim Länderkampf DDR-USA eine Schallmauer durchbrochen.

Politisch missbraucht

Schwerpunkt

Schon immer wurde Sport von der Politik für ihre Zwecke verwendet oder missbraucht. Eine ehemalige DDR-Spitzensportlerin erzählt.

Ich kann Ihnen meine Geschichte niemals so erzählen, dass Sie wirklich verstehen, was damals geschehen ist«, meint die ehemalige Weltrekordhalterin über 100 Meter Schmetterling, Christiane Sommer. Unter Ihrem Mädchennamen Knacke sei diese eins zu eins im Internet nachzulesen. Die ehemalige Weltklasseschwimmerin hat mit ihrer Vergangenheit als Hochleistungssportlerin im Dienste der DDR, die damals nur von wenigen Staaten anerkannt wurde, abgeschlossen. Die positiven Erfahrungen hat sie in ihr neues Leben integriert. »Wer sportlich gebildet ist weiß, dass er aus eigener Kraft viel bewegen kann. Man wird zielstrebig.« Ihre Sportkarriere hat sie 1981 nach mehreren Operationen beendet. »Irgendwann ist es auch aus«, sagt sie, »denn das Schizophrene an dieser Form des Sports bekommst du ja mit.«

Der Zwiespalt

Mitte des vorigen Jahrhunderts erregte die DDR international Erstaunen, aber auch Misstrauen: Zwischen 1956 und 1988 gewannen SportlerInnen nicht weniger als 578 olympische Medaillen, neben vielen Welt- und Europameistertiteln. »Das Verhältnis der DDR zu den Olympischen Spielen war von Anfang an durch politische Ambitionen der Staats- und Parteiführung geprägt. In kaum einem anderen Land waren Sport und Politik so eng miteinander verflochten«, schreibt der Autor Andreas Michaelis in seinem Aufsatz »Die DDR und Olympia«.

»Das war beinhart«, berichtet die ehemalige Spitzenathletin Christiane Sommer: »Die DDR hatte ja ökonomisch gesehen kaum etwas vorzuweisen. Mit dem Trabi konnte sie ja kaum die Welt erobern.« Im Reisekader des Nationalen Olympischen Komitees der DDR konnte die junge Schwimmerin bald Einblick nehmen, wie eng Politik und Sport verwoben sind. Nach ihrem Weltrekord 1977 hätte sie sogar einen Werbevertrag abschließen können. »Durfte ich aber nicht, denn damals galt für uns noch der Amateurstatus für die Spitzensportler.«

Parteiauftrag Medaillengewinn

Politische Schulung war ebenso wichtig wie hartes, körperliches Training. »Der Parteiauftrag hieß in meinem Fall, auf jeden Fall eine Medaille zu machen. Und wir wurden geschult: Welche Aussagen darf ich machen, mit wem darf ich reden?« Kommunizieren durften die damaligen SportlerInnen der DDR mit den AthletInnen aus den befreundeten sozialistischen Ländern. Kuba aber war nicht erwünscht. »Kuba galt als exotisch: Wer dort Freundschaften gebildet hat, war schnell weg.«

»Entwicklungen der politischen Ereignisse im Kontext des Sportes werden oft anhand der Olympischen Spiele dargestellt«, schreibt Christian Flandera in einer Arbeit zum Thema »Zur Problematik von Sport und Politik in den 60er Jahren«. Nicht zuletzt, so der Salzburger Historiker, aufgrund der globalen Bedeutung des IOC in finanzieller und politischer Hinsicht. 1952 hatte die Sowjetunion erstmals an den Olympischen Spielen teilgenommen: »Eine neue Front im Kapitalismus entstand«, schreibt Flandera. Nicht mehr der olympische Gedanke war wichtig, sondern der Beweis, welche Ideologie die bessere sei. Das IOC wurde immer mehr zu einem politischen Instrument von Ost und West.

»Wir waren mitten drin im Kalten Krieg«, erinnert sich die ehemalige Schwimmerin, die heute in Österreich verheiratet ist. »Wir wurden ins Trainingslager nach Mexiko oder Amerika geschickt, bevor eine Staatsführung von uns dort gewesen ist. Wir waren Vorbereiter, und wir waren hoch politisch ausgebildet. Wir waren so etwas wie Primaten des Höchstleistungssportes.« Von »Diplomaten im Trainingsanzug« war damals die Rede. »Wir waren Instrumente, und wir sollten repräsentieren. Es hieß zwar, der Mensch ist der Mittelpunkt: Aber es wurde nicht der Mensch gefördert. Der war bloß Material.«

Dopingprozess

Acht Jahre nach der politischen Wende 1989 trat sie als Hauptbelastungszeugin im Dopingprozess gegen Ärzte und Trainer auf. Zwischen 1974 und 1989 waren männliche Hormone zur Leistungssteigerung an minderjährige Mädchen verabreicht worden. Christiane hatte erst 1994 »durch Zufall erfahren, dass man an uns Medikamente ausprobiert hat«. Alle Beschuldigten im damaligen »Pilotprozess« wurden verurteilt.

»Aber bis heute wurde nicht verstanden, warum wir damals den Prozess geführt haben. Doping war im Prozess kein Thema. Es ging darum, unsere eigene Geschichte, unsere Jugend aufzuklären und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. An uns wurden Medikamente getestet, die schwere irreversible Folgeschäden verursachten. Auch das Risisko späterer behinderter Nachkommen wurde von den Verantwortlichen bewusst in Kauf genommen.«

Leistungssteigernde Substanzen

Dass die DDR Devisen erhielt, damit die ostdeutsche Akademie der Wissenschaften mit kapitalistischen Unternehmen wie Bayer, Hoffmann, La Roche und allen voran Ciba-Geigy »leistungsteigernde Substanzen« entwickelte, ist mittlerweile bekannt. Das androgene Stereoid »Dianabol«, das 1958 von der Firma Ciba-Geigy zum Patent angemeldet wurde, vermehrt die Muskelmasse und steigert das Wachstum. »Es soll nicht der Eindruck entstehen, als wären die Erfolge der sozialistischen SportlerInnen nur durch Hilfsmittel entstanden«, resümiert der Historiker Flandera. »Schließlich wurde etwa das Blutdoping 1972 im Westen entdeckt.«

Der Sportwissenschafter John Hoberman spricht von einem »Mythos der kommunistischen Sportwissenschaft. »Einige unserer Legenden vom unerlaubten Umgang mit der menschlichen Natur in der Sowjetunion und der DDR waren Projektionen, Experimente durchzuführen, zu denen uns selbst der Mut fehlte.«

»Wir sind politisch und wirtschaftlich missbraucht worden«, sagt die ehemalige Schwimmerin heute. »Aber wird der Sport heute nicht genauso politisch missbraucht, indem man den SportlerInnen einen Maulkorb umhängt?«

Die Unruhen in Tibet haben wieder einmal die Frage nach einem Boykott der Olympischen Spiele aufgeworfen. »Der Boykott würde nichts lösen. Im Gegenteil. Er bestraft nur unschuldige Athleten«, sagte IOC-Präsident Jacques Rogge. Für IOC-Vizepräsident Thomas Bach, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), wäre »Boykott der falsche Weg«, er ruft »beide Seiten zu einem Gewaltverzicht auf«.

Verständnis für Boykottappell

Der sechsmalige deutsche Ruder-Weltmeister Roland Baar, Exmitglied der IOC-Athletenkommission, zeigte Verständnis für den Boykott-Appell: »Ich bin dagegen, kann aber die Forderung verstehen. Jetzt soll der Sport wieder die moralische Instanz der Welt sein, aber die ganze Wirtschaft arbeitet mit China zusammen.« (Der Standard, 17. 3. 2008)

»Ich wüsste nicht, wie SportlerInnen heute unpolitisch sein sollen«, meint die ehemalige Spitzenathletin »Es werden die Hymnen der einzelnen Länder gespielt. Die AthletInnen vertreten ihr Land und sollen der ganzen Welt etwas verkünden. Wie kann man da sagen: Was rundherum passiert, das geht mich nichts an?«

Allerdings, räumt Sommer ein, »kann man nicht verlangen, dass SportlerInnen, die ihre ganze Karriere auf die Olympischen Spiele abgestellt haben, mit Boykott bestraft werden. Wirtschaftsunternehmen arbeiten weltweit mit China zusammen. Auch heute sind SportlerInnen DiplomatInnen, vielleicht sogar die Besseren?«

WEBLINKS
Artikel zum Prozess in der Zeit
www.zeit.de/1998/22/Die_blaue_Pille
Das Internetlexikon wikipedia über DDR-Sport
www.de.wikipedia.org/wiki/DDR-Sport
www.de.wikipedia.org/wiki/Doping

KONTAKT
Schreiben Sie Ihre Meinung an
gabriele.mueller@utanet.at
oder die Redaktion
aw@oegb.at

Artikel weiterempfehlen

Kommentar verfassen

Teilen |

(C) AK und ÖGB

Impressum