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Noch kann von einem freien und offenen politischen Diskurs des Mannes, der Frau von der Straße im Web 2.0 nicht die Rede sein. Noch kann von einem freien und offenen politischen Diskurs des Mannes, der Frau von der Straße im Web 2.0 nicht die Rede sein.

Politik zum Mitmachen

Schwerpunkt

Im Web 2.0 wünscht sich die Politik rege Diskussionen. Mit der dafür nötigen Offenheit tut sie sich aber noch schwer.

Die Schönheit und zugleich der Fluch des Webs für politische Kampagnen ist, folgt man dem US-amerikanischen Campaigner Joe Trippi, dass plötzlich Tausende Leute für oder gegen einen arbeiten. Was für die USA gilt, kann zunehmend auch auf Österreich übertragen werden. Heimische Kampagnenverantwortliche sprechen von einer Übermacht der NutzerInnen, der schwer Herr zu werden ist. Es geht um die Kontrolle über die politischen Botschaften, die so im Web 2.0 nicht mehr aufrecht zu erhalten ist.

Erste Schritte ins Web 2.0

Während in anderen Ländern YouTube, Facebook und andere Plattformen des Web 2.0 bereits erfolgreich in Wahlkämpfen eingesetzt werden, herrscht in Österreich teils noch vorsichtige Zurückhaltung. Im Vorfeld der Tiroler Landtagswahl hat sich zwar auf studivz.net die Gruppe »ich wähl am 8.6. Herwig van Staa ab« gebildet, drei Wochen nach der Gründung wies sie aber erst 68 Mitglieder auf.
Der ebenfalls noch junge SPÖ-Channel auf YouTube zählte im April 2008 bescheidene zwölf AbonnentInnen. Von einer Übermacht ist hier noch wenig zu bemerken, die Befürchtungen österreichischer Kampagnenverantwortlicher sind dennoch nicht unbegründet. Aus öffentlich zugänglichen Foren weiß man schließlich schon lange, dass immer wieder provokante Postings vom politischen Gegner lanciert werden und eine Moderation solcher Plattformen schwierig sein kann. Dementsprechend konservativ zeigten sich die politischen Parteien noch im österreichischen Nationalrats-Wahlkampf 2006; sie setzten nur zu einem Teil auf dialogorientierte Online-Medien. Wer sich doch ins Web 2.0 wagte, sicherte sich gleich mehrfach ab.
Von dieser Vorsicht zeugen Communities, die nur für SympathisantInnen zugänglich sind, oder Blogs ohne Kommentarfunktion wie jener des ehemaligen ÖVP-Generalsekretärs Reinhold Lopatka. Seither haben sich zwar einige weitere PolitikerInnen an das Medium Blog herangetastet, bis auf wenige Ausnahmen stammen sie aber nur aus der zweiten oder dritten Reihe der politischen Parteien.

Agenda setting

Wer seine Ansichten verbreiten kann, darüber entscheiden im Jahr 2008 nicht mehr allein die Medien. Das Web 2.0 macht es einem leicht, online Inhalte zu publizieren und zu kommentieren. Ob die eigene Meinung auch gehört oder gelesen wird, steht allerdings wieder auf einem anderen Blatt.
Zahlreiche Blogger bleiben jahrelang im sogenannten »long tail« der Blogosphäre und haben nur wenig Publikum. Einzelnen A-Blogs gelingt es aber, eine kontinuierliche Leserschaft aufzubauen, und mit ihren Blog-Einträgen die Diskussion im Web und den anderen Medien zu prägen. So geschehen im Fall Kampusch, in dem der Blog von Peter Pilz aktuellere Informationen als andere Websites bot. Pilz bloggte direkt aus dem Parlamentsausschuss, erzählt Helge Fahrnberger in seinem eigenen Blog helge.at, und nutzte so die Schnelligkeit dieses Mediums.
Blogs erlauben, schnell und einfach Informationen zu veröffentlichen. Sie sind dialogorientiert, vernetzt und vor allem unmittelbar: Für politische Kommunikation sind Blogs also hervorragend geeignet. Das gilt auch für andere Anwendungen des Web 2.0, die einfaches Publizieren und Vernetzen zulassen. Wikis und andere Mitmach-Medien können aktivierend wirken und die Nutzer und NutzerInnen zu einem Teil der Kampagne machen. Politische Botschaften erreichen die Zielgruppe direkt und können von ihr weiterverbreitet werden.

UserInnen entscheiden

Diese Möglichkeiten allein sind aber noch nicht die Garantie für erfolgreiche Web-Kampagnen. Zu häufig zeigt sich, dass Web-Angebote politischer AkteurInnen auf wenig Gegenliebe stoßen. »Der Nutzen für den User ist entscheidend«, erklärt dazu Wolfgang Zeglovits, Geschäftsführer der datenwerk innovationsagentur und einer der Masterminds hinter campa.at. Diese Plattform der SPÖ bietet Mitgliedern und SympathisantInnen die Möglichkeit, sich zu vernetzen, zu diskutieren, einen Blog zu schreiben und nebenbei eine gerade aktuelle »Mission« der Partei zu erfüllen. Nicht alle diese Features werden gleich gut akzeptiert; auch hier entscheiden die UserInnen, wie gut und nützlich sie ein Angebot finden. Ähnliche Plattformen - allerdings mit abgespeckten Funktionen - bieten auch ÖVP und Grüne Wirtschaft ihren SympathisantInnen an. Für alle diese Communities gilt: Wer wie viel mitgestalten darf, bestimmen jene, die eine Plattform bereitstellen.
Der deutsche Kommunikationsforscher Ansgar Zerfaß sieht durch digitale Öffentlichkeiten keinen herrschaftsfreien Raum entstehen. Zwar entscheiden die UserInnen über den Erfolg eines Anbots, die Rahmenbedingungen gestalten aber immer noch die Anbieter. Dies gilt auch für öffentliche Plattformen mit und ohne kommerziellen Hintergrund wie YouTube oder Wikipedia.

Alles beim Alten?

Von einem freien und offenen politischen Diskurs kann im Web 2.0 also nur eingeschränkt die Rede sein. Eine Studie der Universität Bamberg zeigt, dass sich Politblogger von der Gesamtbevölkerung durch ihre stärkere Beteiligung am politischen Geschehen und ihre höhere Bildung unterscheiden. Zudem werden politische Blogs eher von Männern als von Frauen geführt, Männer haben auch generell bessere Chancen in die Liste der A-Blogger aufzusteigen.
Das Web 2.0 bewirkt also keine Revolution der politischen Kommunikation. Was sich allerdings ändert, ist die Art der Diskussion, bei der sich die NutzerInnen viel stärker einbringen können als zum Beispiel in Printmedien. Für Kampagnen bedeutet das zum einen, dass sie unabhängiger von der Rezeption ihres Themas in den klassischen Medien agieren können. Zum anderen birgt diese Offenheit das Risiko, dass die Kommentare zum Thema unüberschaubar werden und die Kontrolle über die eigene Botschaft verloren geht. Die Steuerung der Kommunikation ist in so offenen Tools wie Wikis oder Communities schwierig, zumal einer meist kleinen Kommunikationsabteilung ein Potenzial von Tausenden NutzerInnen entgegensteht. Zugangsbeschränkungen und sogar Zensur waren bisher die Antwort vieler politischer Organisationen auf diese Herausforderung.

Ghostwriter haben ausgedient

Eine Alternative dazu könnte eine möglichst authentische Kommunikation sein, die mit Kritik umzugehen lernt. Dazu braucht es aber Zeit und Nerven, vor allem, wenn der eigene Standpunkt online nach allen Regeln der Kunst zerpflückt wird. Wer die eigene Meinung aber gut und vor allem authentisch argumentiert, hat im Web 2.0 schon fast gewonnen. Blogs, die von einer Kommunikationsabteilung oder -agentur für Dritte geschrieben werden, erfüllen den Anspruch der Authentizität aber nicht. Und sie verspielen die Chance auf einen ernsthaften politischen Diskurs, der alle Beteiligten ernst nimmt und aus den Beiträgen der NutzerInnen neue Ideen gewinnt.
Davon ist die politische Landschaft Österreichs noch weit entfernt. Die erfolgreichen Beispiele aus den USA zeigen aber, dass mit dem Web 2.0 durchaus Kampagnen zu machen sind; über das Wie wird man hierzulande aber noch nachdenken müssen.

WEBLINKS
SORA-Institute for Social Research and Analysis
www.sora.at
Blog von Helge Fahrnberger
www.helge.at
SPÖ-Plattform Campa
www.campa.at
Weblog von Peter Pilz
www.peterpilz.at

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Schreiben Sie Ihre Meinung an
tb@sora.at
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