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Ein Volk voll Hoffnung Ghana zwischen Moderne und Tradition: Fischer westlich von Accra
Ein Volk voll Hoffnung
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Internationales

Globalisierung und die Länder des Südens - das Beispiel Ghana: Vom sozialistischen Staat zum neoliberalen Musterschüler.

Mit einem kolossalen Fest feierte Ghana, am 6. März 2007, 50 Jahre Unabhängigkeit von der ehemaligen Kolonialmacht Großbritannien. Die Hauptstadt Accra versank in einem Fahnenmeer. Es herrschte Jubelstimmung im Land und die Regierung nutzte die Gelegenheit, um ihre wirtschaftlichen Erfolge der letzten Jahre zu zelebrieren. Tatsächlich hat Ghana im Vergleich zu vielen anderen afrikanischen Ländern einiges vorzuweisen. 1957 wurde Ghana als erstes afrikanisches Land unabhängig, gilt wegen des unblutigen Wechsels zur Demokratie 1992 als demokratisches Musterland und weist zudem ein Wirtschaftswachstum von vier Prozent auf. Lob aus Europa und den USA sind der ghanaischen Regierung so sicher.

Weniger Grund zum Jubeln haben aber die 22,5 Millionen BürgerInnen, die bisher vom Wirtschaftswachstum kaum profitieren konnten. Ghana weist die typischen Merkmale eines Entwicklungslandes auf: niedrige Lebenserwartung, hohe Säuglingssterblichkeit, aufgrund von Verteilungsproblemen eine Unterversorgung mit Lebensmitteln in manchen Gebieten, eine überdurchschnittlich junge Population - die Hälfte der GhanaerInnen ist unter 16 Jahre alt, eine niedrige Alphabetisierungsrate, vor allem bei Frauen, sowie eine schlechte Infrastruktur.

Viele Menschen können sich weder ärztliche Betreuung noch Medikamente leisten. »Wir hoffen einfach, dass wir nicht krank werden«, sagt Victor Atapagrem, ein 35-jähriger Schneider in Accra, der oft wochenlang auf Arbeitsaufträge wartet.

Ghana@Lightsoff

Das Straßennetz in Ghana ist mangelhaft, wodurch sich die Verteilungsprobleme im Land verstärken. Vor allem Straßen in entlegenen Gebieten im wirtschaftlich besonders benachteiligten Norden des Landes sind kaum asphaltiert. Falls doch, befinden sie sich in sehr schlechtem Zustand. Leitungswasser, sofern vorhanden, ist meist verschmutzt und eine häufige Krankheitsursache. In den letzten Jahren gab es zudem immer wieder Probleme mit der Stromversorgung, sodass die Bevölkerung buchstäblich tagelang im Dunkeln saß. »Ghana@lights-off!« lachen die Menschen am Makola-Markt im Zentrum vom Accra, und verzerren dabei den Regierungsslogan zur Fünzig-Jahr-Feier Ghana@50. So leicht lässt man sich in Ghana die Laune nicht verderben.

Seit der Unabhängigkeit gibt es eine neunjährige allgemeine Schulpflicht. Sie zu überprüfen ist in einem Land wie Ghana ohne Meldepflicht beinahe unmöglich. Vor allem auf den Märkten arbeiten viele Kinder als HändlerInnen. Schule bleibt für sie ein unerreichbarer Traum. »Die Schuluniformen sind zu teuer und auch Hefte und Stifte sind unerschwinglich für viele«, sagt die 25-jährige Nafisatu Seidu, die mit einem Pastor zusammen eine kleine NGO betreibt, die eine Dorfschule finanziert. Im ländlichen Norden ist der Bildungszugang noch schlechter als in den urbanen Gebieten des Südens um die Hauptstadt Accra. Viele Schulen am Land verfügen über kein Gebäude, der Unterricht findet nicht selten unter einem großen Baum, am Boden sitzend statt.

Politische Entwicklung seit 1957

Nachdem Ghana die Unabhängigkeit erreicht hatte, regierte die sozialistische Convention Peoples Party (CPP) unter dem Panafrikanisten Kwame Nkrumah. Die wirtschaftliche Lage war gut, Ghana gehörte zu den vielversprechendsten Entwicklungsländern dieser Zeit. In der Regierungsperiode der CPP gab es viele infrastrukturelle Verbesserungen, wie den Bau des Voltastaudammes, den Bau der einzigen Autobahn, Universitätsgründungen etc. Allerdings waren auch Bespitzelungen und Verunglimpfungen an der Tagesordnung; die Meinungs- und Pressefreiheit war stark eingeschränkt. Viele RegierungsgegnerInnen landeten im Gefängnis. 1966 wurde die CPP aus dem Amt geputscht.

Es folgten eine Reihe weiterer Putsche und häufige Regierungswechsel. Nach dem Putsch von 1981 kam Jerry J. Rawlings an die Macht. 1992 ließ Rawlings eine Umwandlung Ghanas zur Demokratie zu und gewann mit seiner als sozialdemokratisch geltenden Partei National Democratic Council (NDC) auch bei den Wahlen 1992 und 1996. Im Jahr 2000 unterlag die NDC der dem rechten Lager angehörenden New Patriotic Party (NPP) von John A. Kufuor. Im Dezember 2008 wird zum fünften Mal in der Geschichte Ghanas gewählt. Da in Ghana - ähnlich wie in den USA - das Mehrheitswahlrecht gilt, haben nur die regierende NPP und Rawlings Partei NDC eine reale Chance auf den Sieg. Kufuor selbst kann nicht wieder kandidieren, da er die zwei erlaubten Amtsperioden bereits regiert hat.

Wirtschaftliche Entwicklung

Ghana gehört nicht zu den ärmsten Ländern Afrikas - und es herrscht Frieden. Es gibt zahlreiche MigrantInnen aus den noch ärmeren Nachbarländern, besonders aus der Bürgerkriegsregion Elfenbeinküste. »In Ghana ist nicht alles toll, aber zumindest riskiere ich hier nicht ständig mein Leben«, sagt Didier Akwantey, 24, Student am GIL, der zum Studium von der Elfenbeinküste nach Ghana gekommen ist. Dennoch gibt es keinen Grund, zu optimistisch zu sein. Denn Ghana hat sich in den Jahren von einem sozialistischen Kurs unter Kwame Nkrumah zu einem neoliberalen Musterschüler entwickelt. Ab Ende der 60er Jahre verschlechterte sich die wirtschaftliche Lage. Die landwirtschaftliche Produktion - bis heute das Rückgrat der Wirtschaft in Ghana - ging stark zurück, ebenso wie die industrielle Produktion. 1983 wurde mit Hilfe des IWF und der Weltbank ein Reformprogramm erstellt, das diesen negativen Trend stoppen sollte. Das hohe Wirtschaftswachstum seither wirkte sich jedoch bisher nicht auf die Geldbörsen der Menschen aus. Das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen der GhanaerInnen liegt noch immer unter 400 USD pro Jahr (regionales BIP). Dazu kommt eine ungerechte Verteilung der Einkommen zwischen ländlichen und urbanen Gebieten sowie zwischen Norden und Süden des Landes. »Ich stamme aus dem Norden«, sagt Victor Atapagrem, »dort oben würde ich noch weniger verdienen als in Accra.« Grinsend fügt er hinzu:  »Die Menschen in meinem Dorf denken, dass ich reich bin, weil ich in der Hauptstadt wohne.« Das ärmste Fünftel der Bevölkerung Ghanas verfügt über ein Durchschnittseinkommen von nur 19 US-Cents am Tag, das reichste Fünftel erreicht ein Einkommen von einem US-Dollar/Tag. Viele Haushalte sind außerstande, ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen. Kurz gesagt, trotz guter Wachstumsrate gibt es in Ghana keine reale Verminderung der Armut.

Es existieren zahlreiche Gesetze zum Schutz der ArbeitnehmerInnen. Diese betreffen aber ausschließlich den formellen Sektor, in dem nur etwa 14 Prozent der ArbeitnehmerInnen tätig sind (Stand 1999). 86 Prozent der ArbeitnehmerInnen arbeiten im informellen Sektor, wobei Frauen noch seltener als Männer über einen geregelten Arbeitsplatz verfügen.

Auswirkungen der Globalisierung

Der Wunsch im internationalen Wettbewerb mitspielen zu können, hat viele Länder der Dritten Welt dazu gebracht, neoliberale Ideen zu übernehmen. Auch die Mitte-Links-Regierung Ghanas unter Rawlings hat seit den 80er-Jahren einen deutlich neoliberalen Kurs eingeschlagen. Der Versuch, ausländische InvestorInnen nach Ghana zu bringen, war allerdings nur mäßig erfolgreich, daher versucht die heutige rechts-liberale Regierungspartei unter Kufuor mit noch schärferen Liberalisierungsmaßnahmen und noch größeren Kürzungen im Sozialbereich für InvestorInnen interessant zu werden. Es wurden Wechselkursreformen und Zoll-Reduktionen durchgeführt, was den Import steigert. Ghanaische ProduzentInnen können dem Preisdruck aus dem Ausland nicht mehr standhalten und scheitern. Dadurch gehen viele der ohnehin zu wenigen Arbeitsplätze verloren. Weitere fehlen nach Einsparungen im öffentlichen Sektor. Die Arbeitslosen werden so vermehrt in den informellen Sektor gedrängt und müssen oft in unsicheren, unpassenden und auch gefährlichen Jobs arbeiten. Unter dem Stichwort einer effizienten Nutzung der Ressourcen kam es zu einem starken Anstieg der Kosten bei Bildung und Gesundheit und zu höheren Preisen bei Wasser, Strom und Wohnungen. Die ohnehin schlechte Sicherung des Wohlstandes durch Sozialleistungen des Staates wird indirekt durch die Zunahme des informellen Sektors weiter eingeschränkt. Mit Hilfe der Weltbank überprüft die Regierung zwar im Moment die Möglichkeit einer Ausweitung der Sozialversicherung auf den informellen Sektor, allerdings sind die staatlichen Sozialleistungen für den formellen Sektor schon nicht ausreichend und große Verbesserungen sind kaum zu erwarten.

Zukunftsprognosen

Armut kann man stoppen, ohne die Armen weiter zu belasten. Dazu müssen die Nahrungsmittelpreise gesenkt und stabilisiert und die Wechselkurse weniger flexibel gemacht werden, damit essenzielle Importgüter nicht zu teuer werden. Löhne, Gehälter und Sozialleistungen müssen an die Inflation angepasst und Ungleichheiten innerhalb Ghanas beseitigt werden. Dazu gehören eine verbesserte Infrastruktur im Norden des Landes, verbesserte Sozialleistungen, eine gerechte Steuerpolitik, ein vernünftiger Mindestlohn, ein höherer Erzeugerpreis für landwirtschaftliche Produkte und die Schaffung von Arbeitsplätzen. Ein gutes Wirtschaftswachstum allein reicht nicht aus, die Armut im Land zu reduzieren. Erst wenn die oben genannten Probleme gelöst sind, wird die Bevölkerung in Ghana wahrlich Grund zum Jubeln haben. »Ich weiß, irgendwann wird es mir besser gehen«, ist Victor Atapagrem zuversichtlich und bringt damit auf den Punkt, was viele GhanaerInnen hoffen. 

INFO&NEWS
Kritik des ghanaischen Gewerkschaftsbundes TUC (Trade Union Congress)Der ghanaische Gewerkschaftsbund schreibt den Grund für die fehlende Armutsverringerung folgenden Faktoren zu:

  • der hohen Inflationsrate durch exzessive Geldeinfuhr aus dem Ausland,
  • der massiven Abwertung der ghanaischen Währung Cedi durch die Flexibilisierung der Wechselkurse,
  • der schlechten Einkommenspolitik der Regierung, z. B. durch das Einfrieren von Löhnen und Gehältern, um ausländische InvestorInnen anzuziehen
  • und einer schlechten Steuerpolitik.
Im Zuge der strukturellen Veränderungen während der 80er- und 90er-Jahre kam es zu Privatisierungen und Liberalisierungen. Importierte Nahrungsmittel und Medikamente sind lebensnotwendig für die Bevölkerung, jedoch durch die Entwertung des Cedi oft unerschwinglich.
Auch die Steuerpolitik der Regierung trägt einen Teil zur schlechten Situation in Ghana bei. Die kleine Gruppe von ArbeitnehmerInnen im formellen Sektor kommt für etwa 35 Prozent aller Steuereinnahmen aus Einkommens- und Besitzsteuern auf, während die ArbeitnehmerInnen im informellen Sektor nur für etwa sechs Prozent der Steuereinnahmen im selben Bereich aufkommen (Stand 2000). Steuererleichterungen gab es in den letzten Jahren nur für die höchsten und mittleren Einkommensgruppen in Ghana.
Bei Verbesserungen im System profitieren normalerweise zuerst die Menschen in den südlichen Regionen des Landes. Es ist offensichtlich, dass für eine reale Armutsreduktion unbedingt zuerst das Verteilungsproblem gelöst werden muss. Der neoliberale Kurs hat zu Einschnitten beim Zugang zu Wasser, Gesundheit und Bildung geführt, was die armen Bevölkerungsschichten stärker getroffen hat, als die reichen. Die Regierung Kufuor ignoriert die Probleme in den oben genannten Bereichen und verlässt sich, laut Bericht des TUC, auf Hilfe und Kredite aus dem Ausland. Der Wohlfahrtssektor wird immer stärker von ausländischer Hilfe abhängig.

 

WEBLINKS
Allgemeine Informationen zu Ghana:
www.de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_politischen_Parteien_in_Ghana
www.de.wikipedia.org/wiki/Politik_Ghanas
www.de.wikipedia.org/wiki/Ghana
www.en.wikipedia.org/wiki/Trade_unions_in_Ghana
Ghana und Auswirkungen der Globalisierung: (Artikel der ILO)
www.ilo.int/public/english/bureau/inst/papers/2000/dp121/index.htm
www.ilo.org/public/english/dialogue/ifpdial/info/national/ghana.htm
Offizielle Seite des Ghana TUC:
www.ghanatuc.org/
www.gpn.org/data/ghana/ghana-analysis.doc
Einkommen in Ghana: (Weltbank)
www.worldbank.org/LSMS/country/gh/ghdata.html
Sozialversicherung in Ghana:
(Regierung von Ghana)
www.issa.int/pdf/banjul03/2osei.pdf

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