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Europäische Betriebsräe an den Verhandlungstisch! Europäische Betriebsräte müssen gemeinsam am Verhandlungstisch Platz nehmen
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Spannungsfeld Solidarität

Schwerpunkt

Eine Studie der Universität Linz mit dem ÖGB beleuchtet Erfolgsfaktoren, Barrieren und Handlungsanforderungen für Europäische Betriebsräte.

Euro-Betriebsräte (EBR) sind ein erster Schritt, um eine europäische Vernetzung von ArbeitnehmerInnenvertretungen zu erreichen und die in Mittel- und Nordeuropa übliche ArbeitnehmerInnenbeteiligung auf europäische Konzernzentralen auszudehnen. Eine funktionierende Kooperation zu entwickeln ist in heterogenen, weil multinationalen Gremien wie EBR schwierig.

Die EBR-Delegierten sind geprägt von nationalen Kulturen, die sich durch ihre Sprache, ihren Politikstil, ihr Mitbestimmungsverständnis unterscheiden. Sie stammen aus verschiedenen nationalen Arbeits-, Sozial- und Tarifsystemen und verfolgen divergente Standortinteressen, die Rivalitäten in den EBR erzeugen, wenn ein konzerninterner Standortwettbewerb existiert. Ein aktiver EBR-Vorsitzender, regelmäßige Treffen, die zum Aufbau persönlicher Kontakte genützt werden, und Englischkompetenzen aller Beteiligten sowie funktionierende interne Kommunikationsstrukturen fördern die Kooperation. Funktionierende Kommunikation erleichtert die sachliche Diskussion von Trennlinien, wie unterschiedliche Politikstile und -verständnisse oder Standortinteressen und im Optimalfall die Verständigung auf Kooperationsleistungen.

In manchen EBR kristallisiert sich ein unterschiedlich großer Kern von Delegierten heraus, die einander vertrauen und relativ gut miteinander kooperieren.
Mitbestimmungsverständnis
Wichtig ist, dass sich der EBR mit unterschiedlichen Politik- und Mitbestimmungsverständnissen der einzelnen Delegierten auseinandersetzt. ArbeitnehmervertreterInnen des mediterranen Raumes sind geprägt von autoritären Managementkulturen und haben deshalb nur wenig Verständnis für die Kooperationskulturen Österreichs und Skandinaviens. In angelsächsischen Konzernstammländern fehlt eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen ArbeitgeberInnen und ArbeitnehmerInnen, da die »Shareholder-value-Kultur« ArbeitnehmerInnenvertretungen nicht als Gremien der Beteiligung, sondern als Präsentationsforen für konzernstrategische Maßnahmen nutzt. Diese Divergenzen müssen offengelegt und verstanden werden, damit auf Basis von Vertrauen Kooperation möglich ist.

Ein interner Informationsaustausch standortbezogener Daten, die Koordination der Positionen bei Prämien- oder Arbeitszeitverhandlungen auf Standortebene, Umgangsweisen mit konzerninternen Standortkonkurrenzen und die Formulierung einer gemeinsamen Strategie der Interessenartikulation gegenüber den Konzernleitungen sind die wichtigsten Kooperationsleistungen von EBR.
Regeln für den Umgang
Für den konkreten Umgang mit dem konzerninternen Standortwettbewerb, der von Konzernleitungen forciert und von den Delegierten als Herausforderung wahrgenommen wird, kristallisieren sich drei Lösungsansätze heraus:

  • Die Delegierten verpflichten sich durch interne Verhaltenskodices zu solidarischem Verhalten bei Standortkonflikten.
  • Bei Produktionsverlagerungen beschränkt sich Solidarität wegen Standortinteressen auf eine Unterstützung der Verlierer des konzerninternen Standortwettbewerbs bei Sozialplanverhandlungen. Ziel ist ein optimales Verhandlungsresultat für die betroffenen Beschäftigten.
  • Die EBR stufen den Standortwettbewerb als durch ArbeitnehmervertreterInnen nicht veränderbare Realität ein, da Standortentscheidungen ausschließlich von den Unternehmensleitungen getroffen werden. Diese Haltung spiegelt Resignation, sorgt aber für ein entspanntes Binnenklima im EBR.

Exemplarisch für funktionierende ArbeitnehmerInnenkooperation ist der Euro-Betriebsrat bei MAN. »Wir vereinbaren mit dem Vorstandsvorsitzenden Richtlinien, die für den gesamten Konzern gelten«, berichtet Erich Schwarz, Zentralbetriebsratsvorsitzender von MAN Österreich.

Ein Erfolg der transnationalen Kooperation war die Einführung der im Konzernstammland Deutschland üblichen Produktivitätsprämie an den österreichischen Standorten. »Das bringt unseren Beschäftigten etwa 1.100 Euro pro Jahr.« Der EBR vereinbarte, dass es bei Problemen an einem Standort gemeinsame Protestaktionen geben soll.
Andererseits kann die Entwicklung von Kommunikation und Kooperation scheitern. In diesen Fällen bleiben die EBR eine Summe nationaler Einzelinteressen, deren Koordination auch nach Jahren der EBR-Praxis nicht gelingt. Erschwert wird der Aufbau stabiler Kommunikationsbeziehungen durch die zu geringe Zahl an EBR-Treffen, nicht vorhandene Englischkompetenzen und hohe Fluktuation im EBR.
Standortverteidigung
Entsolidarisierende Managementtechniken bewirken, dass sich einzelne Delegierte reflexartig auf eine Verteidigung ihrer Standortinteressen zurückziehen und kein Bewusstsein für gemeinsame Interessenlagen gegenüber dem Konzernmanagement entwickeln. Die Konsequenzen sind weitreichend: Die unbewältigten Standortkonkurrenzen verursachen Rivalitäten und belasten das Binnenklima unter den Delegierten massiv. Der Informationsaustausch ist schwach und thematisch beschränkt. Das interne Konkurrenzdenken beeinträchtigt seine Qualität, da standortbezogene Daten, die von anderen Delegierten genutzt werden könnten, um das Ranking des eigenen Standortes beim Konzernmanagement zu verbessern, nicht oder nur zurückhaltend kommuniziert werden. Weitere Kooperationsleistungen wie die Absprache standortbezogener Verhandlungspositionen oder Stellungnahmen zur Konzernstrategie sind nicht realisierbar. Es fehlt diesen EBR meist ein handlungskompetenter Vorsitzender, der konkrete Initiativen setzt, um die interne Kooperationsfähigkeit des EBR voranzutreiben.
Kritische Überprüfung
Zentral für die subjektiv wahrgenommene Sinnhaftigkeit eines EBR ist der Nutzen, der sich für die standortbezogene Interessenvertretungsarbeit ergibt. Dazu gehören Wissen über konzernstrategische Planungsansätze und das Abschätzen ihrer Beschäftigungsfolgen sowie Kenntnisse über die Arbeitsstandards konkurrierender Standorte. EBR erschweren es dem Management, Standorte gegeneinander auszuspielen, weil Managementaussagen über kostengünstigere Standards im Konzernverbund kritisch geprüft werden können. Vereinzelt versuchen Delegierte den EBR zur Lösung lokaler Probleme zu nutzen, indem sie ungelöste Streitfragen mit dem Standortmanagement in EBR-Sitzungen einbringen, um im Optimalfall Interventionszusagen der Konzernleitungen zu erwirken.

Die Studie der Universität Linz zeigt, dass ArbeitnehmerInnenkooperation in einem europäischen Kontext ein anspruchsvolles, aber nicht unrealistisches Projekt ist. Die Zusammenarbeit funktioniert, wenn intakte Kommunikationsbeziehungen aufgebaut werden konnten und die einzelnen BetriebsrätInnen individuellen Nutzen aus der Kooperation ziehen.
Schwierige Kooperationen
Einige ungelöste Probleme sind allerdings identifizierbar. Permanente Restrukturierungen, Fusionen und Übernahmen wegen der Shareholder-value-Orientierung der Konzernführungen erschweren den Aufbau persönlicher Beziehungen zwischen den EBR-Delegierten. Ihre Kooperation muss unter schwierigen Rahmenbedingungen immer wieder neu organisiert werden. Weil sie sich auf ihre interne Arbeitsfähigkeit konzentrieren, konnte nur eine überschaubare Zahl an EBR Verhandlungsbeziehungen mit ihren europäischen Konzernleitungen entwickeln. Dazu kommt, dass die Kapazitäten der Gewerkschaften auf europäischer Ebene zu gering sind, um die EBR ausreichend zu betreuen. Ein Leitfaden für neu entsandte EBR-Delegierte, der praktische Orientierung und Lösungsansätze für kritische Situationen bietet, würde wichtige Handlungsanleitungen bieten. Die Organisation der internen Kommunikation, der Umgang mit Standortkonkurrenz oder mit unterschiedlichen kulturellen Prägungen könnten auf diese Weise erleichtert werden.

Für den ÖGB ist die Mitwirkung von ArbeitnehmerInnen auf Unternehmensebene ein wesentlicher Bestandteil des europäischen Sozialmodells. Allerdings stößt die Entwicklung einer europäischen Sozialpartnerschaft auf Widerstände, da insbesondere angelsächsische ArbeitgebervertreterInnen die Mitwirkung der Beschäftigten als Relikt wahrnehmen, das den Flexibilitätsanforderungen einer internationalisierten Wirtschaft widerspricht.
Mitwirkungsrechte
Gibt es keine Mitbestimmung und nicht einmal Informationsverpflichtungen in Konzernen, sind Gewerkschaften und Betriebsräten auf nationaler Ebene in vielen Fällen die Hände gebunden. Wie die Beispiele Semperit oder Austria Tabak zeigen, können die ArbeitnehmervertreterInnen nur noch die Folgen von Standortverlagerungen oder Unternehmensschließungen für die Betroffenen sozial abfedern.

Aus Gewerkschaftssicht ist es inakzeptabel, dass Entscheidungen, die Zehntausende Beschäftigte betreffen, hinter verschlossenen Türen und ohne Beteiligung der ArbeitnehmervertreterInnen getroffen werden. So wie es auf nationaler Ebene üblich ist, müssen zumindest begrenzte Mitwirkungsrechte und eine Informationspflicht des Arbeitgebers verankert werden.

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Artikel zum Thema
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finden Sie auch auf unserer Website im Archiv
z. B. in der der Ausgabe 1/2008
www.arbeit-wirtschaft.at
Wikipedia Eurobetriebsrat
www.de.wikipedia.org/wiki/Europäischer_Betriebsrat
ÖGB und Europa
www.oegb.at/europa

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