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Ausschluss vom Abschluss

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Der »Hauptschulabschluss NEU« für Erwachsene, wie von der AK angeregt, wäre eine längst überfällige Reform, um es Weiterbildungswilligen nicht unnötig schwer zu machen.

Roman F., Liebhaber des Wiener Schnitzels und auch einem gut gezapftem Bier nicht abgeneigt, wischt sich den kalten Schweiß von der Stirn. Der herablassende Blick des Turnlehrers sagt alles: Sein Body-Mass-Index wird ihm die Rolle vorwärts vermasseln. Wird wohl nichts mit der Anstellung als Portier. Ein Stock weiter oben: Gül Ö. versucht, sich an all diese verschiedenen Blattformen aus dem Biologieunterricht zu erinnern. Das Ahornblatt kennt sie, Kanada hatte sie immer schon interessiert. Doch ihre Familie ging nach Österreich, jetzt will sie die Handelsschule am Abend besuchen - doch dafür braucht sie in Biologie zumindest ein »Genügend«.
Zehn Jahre nach Einführung der Berufsreifeprüfung ist es an der Zeit für eine neue bildungspolitische Innovation: für eine Reform des Hauptschulabschlusses für Erwachsene. Dieser ist ein zentrales Element des österreichischen Bildungssystems, jede/r in Österreich sollte ihn haben - oder nachholen können.
Doch manchmal gewinnt man den Eindruck, dass in Österreich das Prinzip gilt: Was Hänschen nicht lernt, macht man Hans besonders schwer. Anders ist es nicht zu erklären, warum jemand mit 40 genau das gleiche lernen muss und genau so geprüft wird wie ein 14-Jähriger, obwohl die Lebenssituation ja eine völlig andere ist.
Ohne Abschluss keine Lehrstelle
Wer keinen positiven Hauptschulabschluss hat, hat heutzutage keine Chance auf eine Lehrstelle. Der Besuch einer weiterführenden Schule (z. B. der Abendschule: Handelsschule, HAK, HTL) ist von vornherein ausgeschlossen, da der positive Abschluss der 8. Schulstufe dafür Voraussetzung ist. Dieser Abschluss muss auch im öffentlichen Dienst nachgewiesen werden, etwa für die Aufnahme als Portier.
180.000 ÖsterreicherInnen haben keinen Hauptschulabschluss. Sie können ihn zwar theoretisch nachholen, müssen aber dafür hohe Hürden überspringen:
Mit öffentlicher Förderung beträgt die Gesamt-Kursgebühr für Vorbereitungskurse auf den Hauptschulabschluss für Erwachsene zwischen 100 Euro und 590 Euro. Werden Kurse nicht öffentlich gefördert, kosten sie sogar bis zu 1.980 Euro (Preise 2006). Zum Vergleich: Die Hälfte der HilfsarbeiterInnen verdient weniger als 794 Euro netto im Monat, die Hälfte der Angestellten mit Hilfstätigkeiten sogar weniger als 650 Euro netto im Monat. Es liegt auf der Hand: Wer den Hauptschulabschluss im ersten Anlauf nicht schafft, kann sich den zweiten Anlauf schwer leisten.
Nicht erwachsenengerecht
Wollen Erwachsene zur Hauptschulabschlussprüfung antreten, müssen sie in denselben 14 Fächern positiv abschneiden wie 14-Jährige. Neben Deutsch, einer lebenden Fremdsprache und Mathematik werden beim Hauptschulabschluss für Erwachsene auch Kenntnisse und Fähigkeiten in Leibesübungen oder Musikerziehung geprüft. Es gilt der gesamte Lehrplan. Die KandidatInnen schneiden negativ ab, wenn sie nicht sportlich genug sind, die Unterschiede zwischen Teigarten nicht kennen oder nicht wissen, welches Blatt zu welchem Baum gehört.
Im Ergebnis sind es nur schätzungsweise 1.000 jährlich, die überhaupt in einen Kurs zum Nachholen des Hauptschulabschlusses einsteigen - und während des Kurses steigen viele wieder aus. Zwei von fünf AnfängerInnen (41 Prozent) brechen die Lehrgänge wieder ab, dort, wo es zusätzlich sozialpädagogische Betreuung gibt, ist es noch jede/r Fünfte.
Es geht auch anders
In Großbritannien und in Australien ist das Bildungsniveau höher als in Österreich. Die formale Ausbildung der 25- bis 64-jährigen Bevölkerung ist in Österreich mit durchschnittlich 11,8 Jahren um ein Jahr kürzer als in Australien (12,9 Jahre) und in Großbritannien (12,7 Jahre). Zugleich ist der Anteil der AkademikerInnen in Australien und in Großbritannien mit um die 30 Prozent doppelt so hoch wie in Österreich (15 Prozent). Das ist in Australien und in Großbritannien nicht zuletzt »Resultat der erfolgreichen Institutionalisierung eines komplexen Systems der Weiterbildung auf allen Qualifikationsebenen«, ergibt eine Studie von Gudrun Biffl vom Wirtschaftsforschungsinstitut:
Nationale Steuerungsgremien untersuchen in Australien und in Großbritannien seit den Neunzigerjahren, welchen Qualifikationsbedarf es in welchen Bereichen für welche Menschen gibt. Im Ergebnis werden an den jeweiligen Bedarf angepasste Weiterbildungsangebote entwickelt. Vertreten sind sowohl die zuständigen Ministerien als auch die Sozialpartner.

  • »Qualifikationsrahmen« ermöglichen Weiterbildung im Bausteinsystem: In den Qualifikationsrahmen werden berufliche Kenntnisse genauso eingebaut wie formale Abschlüsse - und damit jemand einen Abschluss auf einem bestimmten Qualifikationsniveau erreichen kann, muss er/sie nur das nachmachen, was er/sie noch nicht kann.
  • Geringe bis null Gebühren: In Australien und in Großbritannien ist der zweite Bildungsweg für die Lernenden entweder kostenlos oder stark subventioniert.
  • Beispiel Australien: Die Australian National Training Authority ist auch eine Akkreditierungsinstitution. Sie stellt sicher, dass gewisse standardisierte Ausbildungsinhalte modular angeboten und zertifiziert werden können. Die Weiterbildung erfolgt in einem nationalen Qualifikations- und Ausbildungsrahmen, unterschiedliche Lernpfade sind möglich.
    Weiterbildung ist nicht nur aufgrund vorher erworbener Abschlüsse möglich. Sie baut auch auf dem Wissensstand auf, der informell erworben wurde, berufliche Fähigkeiten werden erfasst und zertifiziert.
    Die Weiterbildung erfolgt dann nicht nach dem System der Dauer eines Lehrgangs, sondern nach der individuellen Geschwindigkeit und dem individuellen Bedarf, um ein höheres Bildungsniveau und/oder zusätzliche Fähigkeiten zu erlangen.
  • Ein Beispiel aus Großbritannien: In den letzten Jahren wurde vor allem die Anhebung der Qualifikationen im unteren und im mittleren Bildungssegment subventioniert, zum Beispiel die »Employer Training Pilots«. Dabei handelt es sich um eine Höherqualifizierung von Beschäftigten mit einfachsten Qualifikationen auf dass »level 2«, bei dem Grundkenntnisse für einen bestimmten Beruf vermittelt werden. Dafür werden in einem ersten Schritt die Qualifikationsdefizite in den Betrieben erfasst und Fähigkeiten und Kenntnisse anerkannt, die am Arbeitsplatz erworben wurden.
    In weiterer Folge werden Zusatzqualifikationen angeboten. Ein formaler vorheriger Abschluss, wie etwa bei uns in Österreich der Hauptschulabschluss, ist nicht nötig.


Das AK-Modell
Österreich braucht flexible Formen der Weiterbildung, die den Einstieg auf jedem Niveau ermöglichen. Sonst bleibt es für viele unnötig schwer, sich höher zu qualifizieren; zudem kann es sich die österreichische Wirtschaft nicht leisten,
auf 180.000 Menschen ohne formalen Mindestabschluss zu verzichten. Vorrangig sind nach Auffassung der Arbeiterkammer:
Die AK will einen Hauptschulabschluss NEU: Statt 14 Fächern von Turnen bis Musikerziehung sollen Wissen und Fähigkeiten in Deutsch, einer lebenden Fremdsprache und Mathematik geprüft werden - und zusätzlich soll es drei Prüfungen aus vier Wahlmodulen geben: Naturwissenschaften, Wirtschaft und Gesellschaft, Kreativ-Modul sowie ein EDV-Modul.
Für die Prüfungsfächer will die AK einen neuen, gestrafften Lehrplan, der mehr Bezug zur Arbeitswelt und zu Erwachsenen generell hat.
Neues Weiterbildungsgesetz
Es soll ein Recht auf das Nachholen aller Abschlüsse bis zur Matura geben - und das Nachholen dieser Abschlüsse soll gebührenfrei sein. Geregelt werden soll das in einem neuen Weiterbildungsgesetz, das das Erwachsenenbildungs-Förderungsgesetz aus dem Jahr 1973 ergänzen soll.
Eine Steuerungsgruppe für Weiterbildung soll unter Vorsitz des Unterrichts- und des Wirtschaftsministeriums und mit Einbeziehung der Sozialpartner die aufgesplitterten Kompetenzen für Erwachsenenbildung koordinieren.
Ein entsprechender Antrag dazu wurde von der 147. Vollversammlung der AK Wien (13. November 2007) einstimmig angenommen. Das Unterrichtsministerium hat die Anregung aufgegriffen und behandelt diesen Punkt in der 2007 neu eingerichteten Arbeitsgruppe »Reformprojekt Bildungsangebot für Berufstätige«. Das gibt jedenfalls Anlass zu Optimismus.

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