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AK-Präsident Herbert Tumpel

Konjunktur allein reicht nicht

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Herbert Tumpel ist seit 1997 Präsident der Bundesarbeitskammer. Im jüngst präsentierten Maßnahmenpaket der Sozialpartner sieht er eine große Chance für die Zukunft des Arbeitsmarkts.

Arbeit&Wirtschaft: Kollege Herbert Tumpel, die Arbeitslosigkeit geht leicht zurück, trotz Turbulenzen auf den internationalen Finanzmärkten schätzen Wirtschaftsforscher die heimische Konjunktur als weiterhin dynamisch ein, wie siehst du die aktuelle Lage?

Herbert Tumpel: Ich freue mich über jeden Arbeitsuchenden weniger. Aber zum Jubeln ist es noch zu früh. Wir müssen die gute Konjunktur nützen und an der positiven Entwicklung des Arbeitsmarktes intensiv arbeiten. 

Manche sprechen bereits von Vollbeschäftigung?

Davon sind wir jedenfalls noch weit entfernt. Zusätzlich zu den Arbeitsplätzen für die aktuell über 277.000 Arbeitsuchenden werden wir in den nächsten zwei bis drei Jahren rund 120.000 weitere Arbeitsplätze brauchen, um die Wirkungen der demografischen Entwicklung und der Anhebung des Pensionsantrittsalters zu bewältigen. Da muss schon mehr passieren, als nur auf die gute Konjunktur zu bauen.
Die Regierung muss die gute Wirtschaftslage für tiefgreifende Strukturreformen auf dem Arbeitsmarkt nutzen: mehr und bessere Aus- und Weiterbildung der Jugend und der Arbeitsuchenden sowie eine deutlich verbesserte, maßgeschneiderte Beratung und Vermittlung durch das AMS. Alles wesentliche Punkte, die auch im aktuellen Maßnahmen-Paket der Sozialpartner gefordert werden. Das dafür notwendige Geld wäre jedenfalls gut investiert, wenn wir daran denken, dass uns etwa die Arbeitslosigkeit im Jahr 2006 rund sieben Milliarden Euro gekostet hat. 

Die gute Konjunktur allein - sagst du - reicht nicht, was braucht es noch?

Wir müssen auch die Inlandsnachfrage stärken, damit der Konjunkturmotor angekurbelt wird.
Das Wirtschaftsforschungsinstitut kritisiert in diesem Zusammenhang richtigerweise die stagnierenden Realeinkommen bei den ArbeitnehmerInnen. Daher brauchen wir eine Steuerreform, die massiv die kleinen und mittleren Einkommen entlastet und so die Kaufkraft stärkt.

Du hast das Maßnahmen-Paket der Sozialpartner angesprochen - deine Einschätzung dieses Pakets?

Dieses Maßnahmen-Paket enthält wichtige Vorschläge, um auf die Versäumnisse der letzten Jahre in der Arbeitsmarktpolitik erfolgreich zu reagieren. Ich habe immer gesagt: Wer morgen gut ausgebildete Fachkräfte will, muss heute mehr für die Ausbildung der Jungen tun. Und da haben die Unternehmen schwer ausgelassen.
In den letzten zwei Jahrzehnten hat die Wirtschaft 50.000 Lehrstellen abgebaut. Alle Anreize für die Betriebe, mehr Lehrlinge auszubilden, haben nichts oder fast nichts gefruchtet, denn sonst würden nicht 17.000 Jugendliche ohne betrieblichen Ausbildungsplatz dastehen. Das ist das eine.
Das andere ist, dass die Wirtschaft immer behauptet, es bestehe ein enormer Bedarf an Fachkräften, der in Österreich nicht gedeckt werden kann und daher die Grenzen geöffnet werden müssen, damit die benötigte Anzahl ins Land geholt werden kann.

Wollte die Wirtschaft damit die Übergangsfristen kippen?

Ja, diese Gefahr besteht tatsächlich. Ich war immer dagegen, jeden Bedarf der Wirtschaft auf Zuruf zu erfüllen. Das verleitet die Unternehmen nur, weiterhin die betriebliche Aus- und Weiterbildung sträflichst zu vernachlässigen. Und nur weil die Wirtschaft angeblich Hunderte oder Tausende Fachkräfte braucht, dürfen wir nicht für zigtausende den Arbeitsmarkt öffnen.
Es wäre ein verhängnisvoller Fehler, die gute Konjunkturlage nicht zur Senkung der bestehenden Arbeitslosigkeit in Österreich zu nutzen. Nach wie vor sitzen in diesem Jahr im Durchschnitt über 277.000 Arbeitsuchende auf der Wartebank.

Die Übergangsfristen sollen laut Sozialpartner zwar bis 2011 bleiben, aber Fachkräfte sollen bereits früher ins Land dürfen ...

... aber nur nach einer präzis festgelegten Vorgangsweise. Grundsätzlich sind sich die Sozialpartner einig darüber, dass die Übergangsbestimmungen für den österreichischen Arbeitsmarkt bis 2011 geltend bleiben sollen.
Das muss Österreich - also die Regierung - bei der EU auch vehement ver-treten. Um den Fachkräftebedarf der Wirtschaft abzudecken, sollen nur jene Arbeitskräfte früher ins Land dürfen, die in Österreich nicht verfügbar sind. Und dafür schlagen die Sozialpartner Spielregeln vor: Das Verhältnis zwischen Arbeitsuchenden und offenen Stellen wird für jeden Beruf laufend beobachtet. Das ergibt dann die sogenannte Stellenandrangsziffer.
Sie spiegelt wieder, wie viele Arbeitsuchende in Österreich auf eine freie Stelle am Arbeitsmarkt kommen. Wenn im Quartal statistisch höchstens 1,5 Arbeitsuchende auf eine Stelle, für die mindestens ein Lehrabschluss benötigt wird, kommen, ist ein erleichterter Zugang zu einer Beschäftigungsbewilligung möglich. Das AMS muss prüfen, ob ein Arbeitsuchender - auch jemand, der in Kürze den entsprechenden Kurs abschließen wird - für die Stelle zur Verfügung steht. Wenn ja, gibt es keine Beschäftigungsbewilligung, wenn nein, dann schon. Und natürlich muss laut Kollektivvertrag entlohnt werden.
Uns von den Gewerkschaften und der AK war immer wichtig, dass es nicht zu einem ungezügelten Zustrom auf den österreichischen Arbeitsmarkt und zu Sozial- und Lohndumping kommt, und das steht auch weiter im Vordergrund. 

Was bedeuten diese Vorschläge für die Arbeit des AMS?

Das AMS hat in den letzten Jahren falsche Vorgaben von der Politik bekommen. Vorrang hatte eine möglichst rasche Vermittlung, ohne Rücksicht auf Qualifi-kation. Gut qualifizierte Arbeitsuchende sind unabhängig vom angebotenen Job eher nachgefragt als weniger qualifizierte. Das hatte zur Folge, dass viele Qualifikationen und Entwicklungschancen von Arbeitsuchenden auf der Strecke geblieben sind. Für eine rasche Vermittlung auch in Stellen deutlich unter den Möglichkeiten des Arbeitsuchenden wurde also Dequalifikation in Kauf genommen.
Und jene, die nicht vermittelt werden konnten, wurden in Maßnahmen gesteckt, die oft gar nicht zu einer Höherqualifikation beigetragen haben. Jetzt muss sich das umdrehen: Passende Schulungen in nachgefragten Fachkenntnissen und passgenaue Vermittlung für bis zu 10.000 Fachkräfte pro Jahr. Dafür braucht das AMS mehr Personal und mehr Geld. Die Sozialpartner sind sich darüber einig: Diese erforderlichen Mittel soll das AMS bekommen.

Welche Botschaft hat der Präsident der Arbeiterkammer für die Jungen?

Meine Botschaft lautet: Es gibt eine Ausbildungsgarantie für alle - so steht es im Regierungsübereinkommen, und die Sozialpartner haben jetzt aufgezeigt, wie das gehen kann. Niemand soll Angst davor haben, auf der Strecke zu bleiben. Grundsätzlich ist der betrieblichen Lehrstelle der Vorzug zu geben.
Gibt es aber keinen entsprechenden Lehr- oder Schulplatz, muss eine gleichwertige Ausbildungsmöglichkeit bis zum Lehrabschluss angeboten werden. Das provisorische Auffangnetz soll durch eine reguläre überbetriebliche Ausbildung ersetzt werden.
Also Ausbildung bis zum Abschluss und mit der gleichen Existenzsicherung wie in den klassischen überbetrieblichen Ausbildungseinrichtungen.
Statt bisher 150 Euro monatlich für die jugendlichen Ausbildungsteilnehmerinnen und Teilnehmer gibt es 240 Euro und ab dem dritten Lehrjahr sogar 555 Euro. 

Du hast es bereits angesprochen, die Wirtschaft hat sich immer mehr aus der Ausbildung der Jungen zurückgezogen - trotz Ausbildungsprämien, trotz Blum-Förderung. Was macht Dich so sicher, dass es jetzt besser werden kann?

Wie bereits gesagt: Wir wollen die Möglichkeiten, eine Berufsausbildung er-folgreich bewältigen zu können, großzügig ausgebaut wissen. Und die Sozialpartner haben sich darüber hinaus auf einen »Zukunftsfonds« verständigt, der alle bisherigen Förderungen ablösen soll.
Es wird eine Basisförderung pro Lehrjahr geben und zwar im Nachhinein, damit nicht für etwas kassiert wird, was nicht stattfindet.
Daraus wird es stark qualitätsbezogene Förderungen geben. So sollen Ausbildungsverbünde extra unterstützt werden, genauso wie Betriebe, deren Lehrlinge die Lehrabschlussprüfung mit Auszeichnung oder gutem Erfolg abgelegt haben.
Es wird geförderte Maßnahmen zugunsten lernschwacher Jugendlicher geben oder eine Förderung von Zusatzausbildungen, die über das Berufsbild hinausgehen und einiges mehr.
Kurz: Wir wollen Anreize schaffen, damit den Jugendlichen wirklich eine fundierte, qualitativ hochstehende Ausbildung vermittelt wird. Engagierte und innovative Betriebe werden das hoffentlich schätzen und davon profitieren.

Wie stehen aus deiner Sicht die Chancen, dass die Regierung diese Sozialpartnervorschläge aufgreifen wird?

Bundeskanzler und Vizekanzler haben gemeinsam mit ÖGB, Wirtschafts- und Landwirtschaftskammer und der AK dieses Maßnahmen-Paket präsentiert. Daraus schließe ich, dass diese Anliegen auch Anliegen der Bundesregierung sind. Das stimmt mich optimistisch. Ich werde aber darauf achten, dass hier zügig die Umsetzung vorangetrieben wird.

Kollege Tumpel, wir danken für das Gespräch. 

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